Großer Ärger um ein kleines Ferkel

BONN. (hpd) Bundesfamilienministerium will religionskritisches Kinderbuch indizieren.

 

Im Oktober 2007 kam das satirische

Kinder- und Erwachsenenbuch „Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke auf den Markt und fand sehr bald eine große Fangemeinde. Auch Pädagogen und Psychologen waren von der frechen, kleinen Geschichte („Dawkins for Kids") angetan. So urteilte der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Peter Riedesser, Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das Buch sei „als Gegengift zu religiöser Indoktrination von Kindern pädagogisch besonders wertvoll". Ursula von der Leyens Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sieht die Sache jedoch völlig anders: Das Ministerium beantragte die Indizierung des Kinderbuchs als jugendgefährdende Schrift. Nach Angaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird die mündliche Verhandlung Anfang März stattfinden. Der Verlag und die Autoren wehren sich entschieden gegen die Vorwürfe des Ministeriums und sprechen von politischer Zensur: Der Indizierungsantrag sei ein durchsichtiger Versuch, Religionskritik aus den Kinderstuben zu verbannen. Man werde diesen „Anschlag auf die Meinungsfreiheit" nicht hinnehmen, heißt es. Folgt auf den Karikaturenstreit nun ein Kinderbuchstreit?

Die Argumentation des Ministeriums

Im ministerialen Indizierungsantrag wird behauptet, das Buch sei „geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer (sic!) eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden". Jugendgefährdend seien Medien, „wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen". Dass ausgerechnet die niedlich illustrierte Geschichte vom kleinen Ferkel zu solcher „Verrohung" beitragen könne, wird damit begründet, dass in dem Buch „die drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und das Judentum verächtlich gemacht" und „die Besonderheiten jeder Religion (...) der Lächerlichkeit preisgegeben" würden. Nach Ansicht des Ministeriums werde dabei insbesondere das Judentum auf diffamierende Weise angegriffen, so dass „Text und Abbildung mithin antisemitische Tendenzen" aufweise.

„Mit dem Antisemitismusvorwurf an der falschen Adresse!"

Autor Schmidt-Salomon, der aufgrund seines jüdisch klingenden Namens selbst seit Jahren Zielscheibe antisemitischer Propaganda ist, findet diese Behauptung „ungeheuerlich": „Dieser Antisemitismusvorwurf ist nichts weiter als ein fadenscheiniger Vorwand, um Religionskritik aus den Kinderstuben zu verbannen! Offensichtlich hat es einige Leute irritiert, dass sich das Ferkelbuch in der Weihnachtszeit besser verkaufte als die traditionelle, apologetisch-religiöse Kinderliteratur. Also hat man nach einer Möglichkeit gesucht, um dem einen Riegel vorzuschieben. Doch mit dem Antisemitismusvorwurf spaßt man nicht! Und bei mir, der ich als humanistischer Philosoph ganz wesentlich durch säkulare Juden wie Freud, Einstein, Marx oder Erich Fromm geprägt bin, sind die Damen und Herren des Ministeriums nun wirklich an der falschen Adresse gelandet!"
Schmidt-Salomon, dessen „Manifest des evolutionären Humanismus" zu den meistverkauften dezidiert humanistischen Büchern der letzten Jahre zählt, war noch vor wenigen Monaten in iranischen Medien als „zionistischer Agent Israels" bezeichnet worden, da er als Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung die PR-Kampagne „Wir haben abgeschworen!" des „Zentralrats der Ex-Muslime" geleitet hatte. „Insofern bedeutet der Antisemitismusvorwurf eine interessante Erweiterung meines Portfolios!", scherzt der Philosoph bitter. „So viele antisemitische jüdische Agenten dürfte es ja nicht geben..."

Was ihn am Indizierungsantrag des Familienministeriums besonders stört, ist „das darin zum Ausdruck kommende, undifferenzierte Bild des Judentums". Offenbar wisse man im Ministerium nicht, „dass die allermeisten Juden progressiv, wenn nicht gar säkular, denken und sich in einer Schärfe, die das Familienministerium arg erschrecken würde, von jenen ultraorthodoxen Wirrköpfen distanzieren, die meinen, das Alte Testament bzw. die Thora wörtlich nehmen zu müssen". Nur dieses orthodox-religiöse Judentum werde „mit guten Gründen" in dem Buch kritisiert, nicht „die" Juden schlechthin. Auch greife das Buch nicht „die" Religionen an, sondern nur jene Formen, die nicht durch die Schule der Aufklärung gegangen seien.

„Schwere Wahrnehmungsstörungen"

Die Argumentation des Ministeriums sei über weite Strecken derart grotesk, dass er am Anfang gedacht habe, es handle sich um einen „dummen Scherz", erklärt Schmidt-Salomon: „So wird uns vom Ministerium doch allen Ernstes vorgeworfen, dass während der Sintflut Omas, Babys und Meerschweinchen ertrinken! Ja, um alles in der Welt, haben diese Leute denn noch nie die Bibel gelesen?! Wenn dies ein Grund sein sollte, um ein Buch zu verbieten, so müsste man doch zuerst einmal die Bibel auf den Index der jugendgefährdenden Schriften stellen! Unser Buch hebt diese biblischen Ungeheuerlichkeiten doch auf humorvolle Weise auf! Es sagt den Kindern augenzwinkernd: Nur keine Sorge, ihr braucht wirklich keine Angst zu haben! Diese Geschichte vom biblischen Rachegott, der Omas, Babys und kleine Meerschweinchen ertränkt, ist frei erfunden!"

Auch Helge Nyncke, der das „kleine Ferkel" illustriert hat, ist über den Indizierungsantrag empört. Dass „ausschließlich der Rabbi" als unsympathisch und gewalttätig dargestellt werde, wie es im Schreiben des Ministeriums heißt, könne nur behaupten, wer unter „schweren Wahrnehmungsstörungen" leide oder gar „bewusst einseitig und tendenziös sichtbare Tatsachen" ignoriere oder verfälsche. „Ich empfinde das als eine äußerst bedenkliche Wirklichkeitsverzerrung", sagt Nyncke. Ganz offensichtlich werde in dem Antrag „ein Feindbild aufgebaut, das in dem Buch überhaupt keine Entsprechung findet". Im Gegenteil, die „ganz bewusste gestalterische Gleichbehandlung aller drei Religionsvertreter werde absichtlich unterschlagen und in antijüdische Propaganda umgemünzt". „Eine Unverschämtheit", so der Zeichner.

Fassungslos habe er zur Kenntnis genommen, sagt Nyncke, dass die Antragsteller in dem Handgemenge zwischen den streitenden Gottesdienern ausgerechnet dem Rabbi Mordabsichten unterstellten, diese aber weder beim Bischof noch beim Mufti zu entdecken glaubten. Eine so offensichtliche Projektion der eigenen vorurteilsgeprägten Sichtweise auf eine ganz anders gemeinte bildliche Darstellung sei „an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten".

Zu viele Gewaltvideos angeschaut?

Möglicherweise habe „die verantwortliche Referentin des Familienministeriums in Ausübung ihrer beruflichen Pflichten zu viele Gewaltvideos angeschaut", meint Schmidt-Salomon. Andernfalls könne er sich kaum erklären, warum die Jugendschutzreferentin fantasiere, dass der Rabbi „einem Vertreter des christlichen Glaubens eine Schriftrolle auf den Mund drückt und ihn zu ersticken droht", wie es in dem ministerialen Schreiben heißt: „Also ehrlich: Den Unterschied zwischen einer harmlosen Rauferei und einem Mordversuch sollte man doch schon erkennen können! Nebenbei: Haben Sie schon einmal versucht, einen Menschen mit einer dünnen Papierrolle zu ersticken? Wenn Ihnen das gelingen sollte, melden Sie sich doch bitte bei Uri Geller!"

„Anschlag auf die Meinungsfreiheit"

Gunnar Schedel, der Leiter des Alibri Verlags, in dem das Kinderbuch erschienen ist, spricht von einem „Anschlag auf die Meinungsfreiheit". Den Indizierungsantrag aus dem Haus von der Leyen sieht er im Zusammenhang mit dem Bestreben konservativer Politiker, der Religion bei der Kindererziehung wieder mehr Gewicht zu verleihen: „Offenbar stört unser ‘Ferkelbuch' die Pläne des Familienministeriums zur christlichen Werteerziehung", meint der Verleger. Mit ihren Bemühungen, Kinder gegenüber nicht-religiösen Sichtweisen abzuschotten, stehe Ministerin von der Leyen freilich nicht alleine. „Ich erinnere nur an den Aufruf Edmund Stoibers, die Kinderbücher des ‘falschen Propheten' Janosch aus deutschen Kinderzimmern zu verbannen", sagt Schedel.

Für den Fall einer Indizierung kündigt der Verleger den Gang durch die juristischen Instanzen an: „Wir werden diesen durchsichtigen Zensurversuch sicherlich nicht hinnehmen." Schedel ist davon überzeugt, dass eine solche Klage die Unterstützung zahlreicher nationaler wie internationaler säkularer Verbände finden würde, „schließlich geht es hier nicht nur um ein Kinderbuch, sondern um eine Verteidigung von Grundrechten!"

Auch die beiden Autoren wollen eine mögliche Indizierung ihres Buchs keineswegs akzeptieren. „Auch Kinder haben ein Recht auf Aufklärung", meint Michael Schmidt-Salomon. „Schauen Sie sich doch einmal in der Welt um! Nie zuvor war Religionskritik so wichtig wie heute! Man kann gar nicht früh genug damit beginnen, den Menschen die Angst vor archaischen Glaubenssätzen zu nehmen. Diese Glaubenssätze führen, wie wir tagtäglich in den Medien erfahren müssen, zu jener Verrohung, die man nun ausgerechnet dem Ferkelbuch unterschieben möchte. Wer die Geschichte vom kleinen Ferkel gelesen hat, der weiß, dass sie ganz sicher nicht zu Hass aufstachelt, sondern zu Heiterkeit. Das kleine Ferkel führt uns auf humorvolle Weise jene menschlich-allzumenschlichen Unzulänglichkeiten vor, die sich auch, aber nicht nur, im religiösen Glauben widerspiegeln. Es mag ja Menschen geben, die eine solch humorvolle Sichtweise der menschlichen Existenz nicht ertragen können und deshalb beleidigt nach Zensur schreien. Derartige Leute sollten in Ministerien aber wirklich nicht das Sagen haben!"

„Man muss auf alles gefasst sein..."

Glaubt der Autor, dass es am 6. März, dem Tag der mündlichen Verhandlung, tatsächlich zu einer Indizierung seines Kinderbuchs, also zu einem weitreichenden Verkaufsverbot, kommt? „Wenn vernünftige Argumente bei dieser Verhandlung auch nur einen Pfifferling wert sind, kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen!", sagt Schmidt-Salomon. „Ich gehe fest davon aus, dass die Verantwortlichen der Bundesprüfstelle diesen verrückten Indizierungsantrag abschmettern werden und somit das Buch auch weiterhin frei über den Buchhandel erhältlich sein wird! Allerdings sollte man nicht übersehen, dass auf der Gegenseite mächtige Interessensgruppen mit im Spiel sind. Man muss also auf alles gefasst sein..."

Stefanie Finke

 

Links: Informationen zum „Ferkelbuch" auf der Website von Michael Schmidt-Salomon (siehe dort auch das FAQ zum „Ferkelbuch)."

Anlagen:
- Screenshot: Platz 1 für „Wo bitte geht's zu Gott, fragte das kleine Ferkel" in der Amazon-Bestsellerliste, Kategorie „Religiöse Kinder- und Jugendbücher" (16. Dezember 2007)
- Der Indizierungsantrag des Bundesfamilienministeriums als pdf-Dokument