Selbstbestimmung am Lebensende?

Eine aktuelle empirische Untersuchung zeigt auf, dass hinsichtlich der vorsorglichen

Regelungen zur Selbstbestimmung am Lebensende Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander liegen.

In kaum einer anderen Frage lassen sich in den vergangenen Jahren in Deutschland zwei gleich bleibende gegensätzliche Einstellungen feststellen.

Auf der einen Seite Gesetzgeber wie Ärztebund, die bisher verbindliche gesetzliche Regelungen der Sterbehilfe ablehnen.

Auf der anderen Seite die Bevölkerung, die in den vergangen Jahren gleich bleibend zu rund 80 Prozent eine Sterbehilfe befürwortet, d.h. die Entscheidung über den eigenen Tod nicht den Medizinern überlassen will und eine klare gesetzliche Regelung wünscht.

Mit einer ebenso großen Eindeutigkeit hat der Deutsche Juristentag im September die Rechtsverbindlichkeit von Patientenverfügungen gefordert. Nur auf diese Weise könne die Grauzone in der Unsicherheit ärztlicher Verantwortung aufgehoben werden.

Entsprechend müssten die Menschen, die die Verfügungsgewalt über ihr Leben und Sterben behalten wollen, eine Patientenverfügung unterschrieben und hinterlegt haben.

 

Dennoch sorgen die wenigsten Menschen vor und treffen schon frühzeitig in einer Patientenverfügung Regelungen für den Ernstfall. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Studie des Instituts für Psychogerontologie der Universität Erlangen-Nürnberg und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Frieder R. Lang und Prof. Dr. Gert G. Wagner (DIW). Dazu befragten die Wissenschaftler im Sommer dieses Jahres 500 Personen zwischen 20 und 80 Jahren zu ihren Erwartungen über das Altern, ihre gewünschte Lebensdauer und ihre Gesundheit.

Die meisten Menschen wünschen sich, ungeachtet ihres aktuellen Alters, zwischen 80 und 89 Jahre alt zu werden. Eine solche ideale Lebensspanne halten dabei mehr als 50 Prozent der Befragten auch durchaus für realistisch bzw. wahrscheinlich. Ein langes Leben um jeden Preis wollen jedoch die Wenigsten: Über zwei Drittel der Befragten finden es kaum erstrebenswert, ihr Wunschalter zu erreichen, wenn sie dafür gesundheitliche Einschränkungen in Kauf nehmen müssten.

Aber nur etwa jeder Fünfte der über 65-Jährigen hat eine Patientenverfügung erstellt, in der ihr Willen zur weiteren medizinischen Behandlung im Falle einer schweren Krankheit oder Verletzung niedergelegt ist.

Dieser Anteil nimmt mit steigendem Alter sogar noch leicht ab. "Das weist vermutlich auf eine schlechtere Informiertheit und Entschlusskraft der über 80-Jährigen hin", erläutert Professor Lang. Noch geringer ist der Anteil unter den jungen Erwachsenen: Bei den unter 35-Jährigen haben nur vier Prozent, unter den 35- bis 64-Jährigen immerhin zehn Prozent bereits eine Patientenverfügung verfasst.

"Es zeigt sich, dass in der modernen Gesellschaft der Tod ein selten wahrgenommenes Ereignis ist und die meisten jüngeren Menschen mehr als Ältere der Auseinandersetzung mit den eigenen Lebens- und Sterbeperspektiven ausweichen", sagt Professor Lang. "Schon die Frage, wie lange man denn eigentlich leben möchte, wird von vielen Menschen nicht gerne beantwortet." So gaben in der Befragung rund 25 Prozent an, es sei ihnen egal, wie alt sie einmal werden würden. "Wer sich darauf einlässt, eine Patientenverfügung zu erstellen, von dem wird verlangt, dass er sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt und mit einer Vielzahl von ethischen Fragen, die das eigene Sterben und dessen Konsequenzen für die Angehörigen betreffen. Gerade für junge Menschen erfordert dies eine besondere Einsicht in die Endlichkeit und Verletzlichkeit des Lebens, die oft noch nicht besteht."

"Unsere Befunde deuten aber auch darauf hin, dass sich immer mehr Menschen einer grenzenlosen medizinischen Versorgung im Sterbeprozess verweigern. Angesichts der enormen biologischen und medizinisch-technischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte, erkennen viele Menschen, dass es für sie nicht um die Länge des Lebens, sondern in erster Linie um die Qualität und Würde des eigenen Lebens geht", berichtet der Psychologe.

 

Die Studie berührt eine Reihe von Fragen, die bisher noch nicht intensiv erforscht wurden.

Was hindert die Menschen daran, ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben in die gebotene juristische Form umzusetzen. Ist es die bislang fehlende eindeutige Rechtsverbindlichkeit der Patientenverfügungen?

Sind es tradierte Verhaltensweisen, vorwiegend religiös bestimmten Vorbehalten immer noch mehr Raum zu geben, als es dem individuellen Wunsch der Vermeidung von Leiden am Lebensende entspricht?

Ist es eine Verdrängung des Bewusstseins der Sterblichkeit und der rationalen Auseinandersetzung damit?

Ist es blindes Vertrauen in die „guten Menschen“ in den Krankenhäusern, die alles tun, um Leiden zu verhindern?

Ist es schlichte Uninformiertheit?

In dieser Frage der individuellen Entscheidungsautonomie sind die Unterschiede in verschiedenen Segmenten der Bevölkerung nur gering. Auch wenn sich Katholiken etwas geringer als Evangelische und Konfessionsfreie für eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe aussprechen, so ist auch ihre Zustimmung zu gesetzlichen Regelungen mit drei Viertel der befragten Katholiken eine absolute Mehrheit. Warum verweigern sich also die Politiker diesem individuellen Wunsch nach Selbstbestimmtheit?