USA: Das Ende der Neokonservativen

(hpd) Wodurch kam es in den USA seit den 1970er Jahren zu einer immer größeren Ausweitung sozialer Ungleichheit? Waren hierfür primär

ökonomische oder politische Faktoren von Bedeutung? Und, welche Schritte sollten zur Minimierung der extremen Ungleichheit zukünftig unternommen werden?

 

Diese Fragen erörtert Paul Krugman, der an der Princeton University lehrt und seit Jahren als Anwärter auf den Wirtschaftsnobelpreis gilt, in seinem jüngsten Buch. Es trägt in der deutschen Übersetzung den Titel „Nach Bush. Das Ende der Neonkonservativen und die Stunde der Demokraten". Damit wird der inhaltliche Kern des Buchs aber ebenso wenig getroffen wie im Originaltitel „The Conscience of a Liberal" („Das Gewissen eines Liberalen"). Es handelt sich weder um eine Kommentierung der aktuellen politischen Situation in den USA noch um die reine „Bekenntnissschrift" eines der bedeutendsten Keynesianer unter den Ökonomen. Vielmehr präsentiert Krugman eine kommentierte Wirtschaftsgeschichte seines Landes seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Ausgangspunkt seiner Erörterungen ist die Feststellung, dass es in den USA der 1950er und 1960er Jahre eine relativ egalitäre Mittelschichtengesellschaft und einen weitgehenden Konsens zwischen den dominierenden politischen Kräften gab. Dem war davor und danach nicht so. Die Gründe hierfür will Krugman in den 13 Kapiteln seines Buchs um der Lehren für die Gegenwart willen erörtern. Im historischen wie politischen Zentrum steht dabei die New Deal-Politik unter Roosevelt, welche die USA dem demokratischen Ideal nähergebracht und eine egalitäre Mittelschichtgesellschaft geschaffen habe. Ebenso wie dies Ausdruck einer politischen Entscheidung gewesen sei, sei auch die gegenläufige Entwicklung seit den 1970er Jahren eine politische Entscheidung gewesen. Für diesen Prozess macht Krugman eine Konservative Bewegung verantwortlich, welcher es um den Abbau des Wohlfahrtsstaates und um Steuersenkungen für Reiche gegangen sei. Deren Ablösung durch eine liberale und progressive Politik stünde aber durch politische und soziale Entwicklungen unmittelbar bevor.

Förderung der wachsenden Ungleichheit

Demgemäss behauptet der Autor nicht wie in vielen anderen Darstellungen zu ökonomischen Umbrüchen einem Einfluss der Wirtschaft auf die Politik, sondern von der Politik auf die Wirtschaft. So erzählt er folgende Geschichte: „Radikale von der Rechten, die entschlossen waren, die Errungenschaften des New Deal wieder abzuschaffen, übernahmen im Laufe der siebziger Jahre die Republikanische Partei und schufen eine Kluft zu den Demokraten, die zu den wahren Konservativen wurden, zu Verteidigern der bewährten Institutionen der Gleichheit. Die Machtübernahme der harten Rechten ermutigte die Wirtschaft, einen Großangriff auf die Gewerkschaftsbewegung zu starten, der die Verhandlungsmacht der Arbeiter entscheidend schwächte; sie befreite die Wirtschaftsführer von den politischen und sozialen Zwängen, die exorbitanten Vorstandsbezügen bisher Grenzen gesetzt hatten; sie senkte drastisch den Steuersatz auf hohe Einkommen; und sie förderte auf vielfältige sonstige Weise die wachsende Ungleichheit" (S. 13).

Krugman, der auch als Starkolumnist der „New York Times" gilt, kann komplexe Sachverhalte gut verständlich darstellen. Diese Fähigkeit zeichnet auch sein neuestes Buch aus, welches im lockeren Plauderton salopp ein gutes Jahrhundert Ökonomie- und Politikgeschichte der USA Revue passieren lässt. Gleichwohl vermisst man hier und da doch Differenzierungsvermögen und Genauigkeit, biegt der Autor sich doch manchmal den Stoff etwas in seine Deutungsrichtung. So wirkt denn auch sein Verweis auf den entscheidenden Einfluss der Konservativen Bewegung ein wenig wie eine Konspirationsvorstellung. Dies streitet Krugman noch nicht einmal ab, heißt es doch schlicht: „Das Wesen des Einflusses der Konservativen Bewegung auf die Republikanische Partei lässt sich sehr einfach zusammenfassen: Ja, Virginia, es gibt eine riesige rechte Verschwörung" (S. 180). So bedeutsam der Einfluss bestimmter neo-konservativer Think Tanks auf die US-amerikanische Politik sein mag, so eindimensional und monokausal wirkt aber eine solche Überbewertung.

Wechselverhältniss von ökonomischen, politischen und sozialen Einflüssen

Man wird dem Buch allerdings nicht gerecht, wenn man die Einschätzung nur auf diesen Gesichtspunkt bezieht. Das inhaltlich wie methodisch Erkenntnisfördernde besteht in der Erörterung des Wechselverhältnisses von ökonomischen, politischen und sozialen Einflüssen auf die Entwicklung der USA. So fragt Krugman etwa danach, warum gerade weiße Arbeiter entgegen ihrer wirtschaftlichen Interessenlage für die republikanische Partei votieren: „Die wichtigste anhaltende Quelle dieser Stärke in Wahlen war die Rassenfrage - man konnte einen Teil der weißen Wähler dadurch für sich gewinnen, dass man ihrer Angst vor den Schwarzen zumindest verdeckt Nahrung lieferte" (S. 227). Auch diese Einschätzung klingt überspitzt, hat aber durchaus etwas für sich. Dabei geht es jedoch weniger um das ethnische und mehr um das soziale Ressentiment. Auch hier hätte Krugman mehr differenzieren können. Gleichwohl verdient sein Buch in mehrfacher Hinsicht Beachtung. Selbst zur deutschen Mindestlohn-Debatte liefert es Diskussionsstoff aus US-amerikanischer Sicht.

Armin Pfahl-Traughber

 

Paul Krugman: "Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten." Aus dem Englischen von Friedrich Griese, Frankfurt/M. 2008 (Campus-Verlag), 320 S. geb., 24,90 €