Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung

FRANKFURT. (hpd) Wenn ein Mensch zu Kriegsdiensten zwangsrekrutiert werden soll, entsteht angesichts der damit verbundenen Freiheitseinschränkung und der Gefährdung von Leib und Leben ein Interessenskonflikt, so dass es naheliegt, die lebensgefährliche Freiheitsberaubung mit dem Verweis auf das Recht auf Leben und Selbstbestimmung abzulehnen.

Ein Kommentar von Gernot Lennert

Internationale Menschenrechtskonventionen verbieten Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit, aber Militärdienst und Militärersatzdienst sind von diesem Verbot ausdrücklich ausgenommen. (So: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats von 1950. Art. 4; Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte der UN, Art. 8.)

In jüngster Zeit ist immer häufiger von Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht die Rede, sowohl in der Friedensbewegung als auch bei Menschenrechtsorganisationen. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass Kriegsdienstverweigerung eben nicht als Menschenrecht für alle Menschen sondern nur als Ausnahmerecht für bestimmte Personen begriffen wird.

Kriegsdienstverweigerung als Ausnahmerecht aus Gewissensgründen

Im internationalen und im einzelstaatlichen Recht, ist es aber auch üblich geworden, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht vom Recht des Einzelnen auf Leben und Freiheit, sondern von der Gedanken-, Religions- oder Gewissensfreiheit abzuleiten. Dementsprechend spricht man in den meisten Sprachen nach dem Vorbild des englischen conscientious objection von Verweigerung aus Gewissensgründen. Im Deutschen werden bei Kriegsdienstverweigerung die Gewissensgründe mitgedacht.

Dabei wird die staatliche Zwangsrekrutierung nicht grundsätzlich in Frage gestellt, das Recht der Militärdienstverweigerung wird an das Vorhandensein einer Überzeugung, auf die Überprüfung dieser Überzeugung sowie an den Zwang zum Ersatzdienst für Militärdienstverweigerer gebunden. Reduziert man die Kriegsdienstverweigerung auf die Verweigerung aus Gewissensgründen, dürfen nur Menschen, die sich auf Gewissensgründe berufen, den Kriegsdienst verweigern, andere nicht. Egal wie liberal die entsprechende Gewissensprüfung gehandhabt wird, bleibt damit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Ausnahmerecht für Menschen mit einer bestimmten Motivation definiert, nicht als Menschenrecht für alle.

Die Ausnahmestellung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung im Menschenrechtsdiskurs zeigt sich im Vergleich. Menschenrechtsorganisationen lehnen z.B. auch die Folter ab. Was würde geschehen, wenn auf Foltervermeidungswillige die Kriterien für Kriegsdienstverweigerung analog angewendet würden? Dann müssten sie sich gefallen lassen, dass überprüft wird, ob ihr Wunsch nach Folterverschonung einer bestimmten ethischen Überzeugung entspringt. Wenn sie dann als berechtigt anerkannt würden, von Folter verschont zu bleiben, müssten sie aber noch, um in der Analogie zur Militärdienstverweigerung zu bleiben, eine Ersatzrepression über sich ergehen lassen. Was im Kontext von Folter absurd wirkt, gilt bezüglich des Kriegsdienstzwangs vielen als selbstverständlich.

Wird, wie in der Kriegsdienstverweigerungsgesetzgebung der Fall, das Gewissen als feststellbarer Geisteszustand definiert, der zur Untauglichkeit für den Militärdienst führt, liegt nichts näher als zu überprüfen, ob dieser Zustand vorhanden ist, analog zur Untersuchung der körperlichen Tauglichkeit in der Musterung. Zum Musterungsausschuss gesellt sich dann der Gewissensprüfungsausschuss. Dabei geht es keineswegs darum, ob der Einzelne Militärdienst leisten will, sonder darum ob er gemäß dem Urteil anderer Militärdienst leisten kann. Nicht anerkannt wird derjenige, der aufgrund rationaler Abwägung seiner und anderer Menschen Interessen und unter Berufung auf seine Rechte als Individuum keinen Kriegsdienst leisten will. Anerkannt wird nur, wer keinen Militärdienst leisten kann, aber nicht wer zwar könnte, wenn er wollte, aber nicht will.

Das Recht auf Militärdienstverweigerung wurde in der frühen Neuzeit zuerst Angehörigen gewaltfreier christlicher Glaubensgemeinschaften zugestanden. Auch heute wirkt der absolut gewaltfreie Christ, der in altruistischer Selbstverleugnung jegliche Gewalt gegen andere ablehnt und auch bereit ist, dafür zu leiden, als Leitbild, dem auch säkulare Verweigerer tendenziell entsprechen müssen, was sie gegenüber religiösen Verweigerern benachteiligt. Infolge der Leidensbereitschaft der frühneuzeitlichen christlichen Verweigerer wird auch heute erwartet, dass Militärdienstverweigerer Menschenrechtsverletzungen wie Gewissensprüfungen und Zwangsarbeit auf sich nehmen.

Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen impliziert auch, dass diejenigen, die keine Gewissensgründe nachweisen können oder gar nicht diesen Anspruch erheben, nicht anerkannt werden und auch nicht verdienen, anerkannt zu werden.

Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht

Das gegenwärtig vorherrschende Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen genügt jedenfalls nicht den Kriterien für ein Menschenrecht, weil es nur ein an bestimmte Voraussetzungen gebundenes Ausnahmerecht ist, über dessen Inanspruchnahme der Staat willkürlich entscheidet, und weil es weitere Menschenrechtsverletzungen wie Gewissensprüfungen und Zwangsersatzdienst mit sich bringt.

Da das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung in den klassischen Menschenrechtsdeklarationen nicht separat erwähnt wird, muss es entweder neu postuliert oder aus anderen bereits akzeptierten Menschenrechten abgeleitet werden.

Zu einem Menschenrecht gehört, dass es allen Menschen unabhängig von Gesinnung und Motivation und ohne jede Bestrafung zustehen muss.

Der Kriegsdienstzwang verletzt zahlreiche anerkannte Menschenrechte: die Rechte auf persönliche Freiheit, auf Berufsfreiheit, auf Freizügigkeit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Leben. Es würde schon genügen, diese Menschenrechte konsequent zu beachten und auch für den militärischen Bereich keine Ausnahme zuzulassen, um das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung weitgehend zu garantieren.

Allerdings ist es auch wichtig, auf der Gewissensfreiheit zu beharren, um Berufssoldaten und -soldatinnen, die sich erst während ihrer Militärzeit aus Gewissensgründen gegen Kriegsdienst entscheiden, zu ermöglichen, das Militär legal und vorzeitig zu verlassen, und um im zivilen Bereich Menschen zu ermöglichen, Arbeit für Krieg und Unterdrückung als unzumutbar zu verweigern.

Kriegsdienstverweigerungsrecht und Krieg

Wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung an Gewissensgründe gebunden, ist garantiert, dass es immer Menschen geben wird, die mangels nachweisbarer Gewissensentscheidung zum Militär gezwungen werden können. Eine Personalbestandsgarantie fürs Militär. Wer die Abschaffung von Krieg und Militär will, kann nicht wollen, dass auch nur eine einzige Person, egal wie gewissensmotiviert oder gewissenlos sie ist, Militärdienst leistet.

Gernot Lennert ist Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Hessen