Staatlicher Ethik-Unterricht rechtmäßig

BERLIN. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Anspruch einer Schülerin auf Befreiung vom Ethikunterricht verneint

und damit eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des <Ethikunterrichts bestätigt>.

Der Ethikunterricht an den öffentlichen Schulen im Land Berlin ist zum Schuljahr 2006/2007 als ordentliches Lehrfach für die Jahrgangsstufen 7 bis 10 eingeführt worden. Von der Teilnahme an dem Unterricht kann nur aus wichtigem Grund befreit werden. Nach Auffassung des zuständigen 8. Senats lag ein solcher Grund in dem zu entscheidenden Fall nicht vor. Die Pflicht der Schüler zur Teilnahme an dem bekenntnisfreien, also religiös und weltanschaulich neutralen Ethikunterricht verletze insbesondere weder das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit noch das elterliche Erziehungsrecht. Die Religionsfreiheit einschließlich der Vermittlung ethischer Werte in christlichem Glauben werde durch das Angebot freiwilligen schulischen Religionsunterrichts unverändert gewahrt.

 

Aus den Gründen des Beschlusses vom 23. November 2006 (- OVG 8 S 78.06 - ), der dem hpd jetzt schriftlich vorliegt:

„1. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe versäumt zu prüfen, wann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 2 GG verletzt seien, ist unberechtigt. (...)
Die Pflicht zur Teilnahme an dem vom Antragsgegner im Rahmen seiner Befugnis nach Art. 7 Abs. 1 GG gesetzlich eingeführten ordentlichen Unterrichtsfach Ethik lässt das Grundrecht der Religionsfreiheit unberührt.

Das einheitliche Grundrecht der Religionsfreiheit in seiner Ausgestaltung als Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist umfassend und vorbehaltlos gewährleistet (...) Der Staat darf dem Einzelnen einen Glauben oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten (negative und positive Glaubensfreiheit). Das schließt die Freiheit ein, gemäß den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln, namentlich an den kultischen Handlungen teilzunehmen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet, und  –  umgekehrt  –  kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben (...). Dem entspricht ein grundsätzliches Gebot staatlicher religiös-weltanschaulicher Neutralität (...). Untersagt ist danach ein staatlicher Schulunterricht mit „missionarischen" Zielen und Verbindlichkeitsanspruch. Ein Pflichtunterricht zu wertorientierter Erziehung ist dagegen statthaft, wenn er nicht bekenntnismäßig geprägt ist. (...) Der Ethikunterricht ist in Berlin nach dieser Bestimmung darauf gerichtet, dass sich die Schüler unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft gemeinsam konstruktiv mit grundlegenden kulturellen und ethischen Problemen des individuellen Lebens und in der Gesellschaft auseinandersetzen, um die Grundlagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben sowie soziale Kompetenzen, interkulturelle Dialogfähigkeit und ethische Urteilsfähigkeit zu erwerben. (...) Die Erziehung soll im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit stattfinden; diesem zentralen Anliegen werden als weitere Themen Toleranz und Achtung anderer Überzeugungen, Verantwortung für die Erhal-tung der natürlichen Lebensgrundlagen und Vermeidung gewaltsamer Konfliktlösungen beigeordnet. Damit wird insgesamt erkennbar der ethische Standard des Grundgesetzes in Bezug genommen, der von einem Menschenbild geprägt ist, das von der Würde des Menschen und der freiheitlichen Entfaltung der einzelnen Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung ausgeht. Zugleich wird damit verdeutlicht, dass die Einführung und Ausgestaltung des Unterrichtsfachs Ethik ausschließlich verfassungslegitime Ziele verfolgt. Ein derartiger allgemeiner Pflichtunterricht im Fach Ethik ist verfassungsrechtlich unbedenklich

 

2. Eine Verletzung der Religionsfreiheit lässt sich entgegen der Ansicht der Antragsteller auch nicht daraus herleiten, dass die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen Art. 4 Abs. 1 GG verstößt. Die dortige und die hiesige Fallgestaltung und Problemstellung weisen insoweit keine relevanten Übereinstimmungen auf. Die bekenntnisbezogene Beeinträchtigung ist dort darin gesehen worden, dass Kreuze in Unterrichtsräumen zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit dem Symbol bestimmter Glaubensüberzeugungen und ihrer missionarischen Ausbreitung konfrontieren und zwingen, „unter dem Kreuz" zu lernen. Beeinträchtigt wird dadurch die negative Bekenntnisfreiheit. (...)

 

3. Die Annahme der Antragsteller, nach der Entstehungsgeschichte sei das neue Unterrichtsfach Ethik „kirchen- und religionsfeindlich", entbehrt einer tragfähigen Grundlage und jedes Belegs; der Gesetzestext ergibt dafür ohnehin nichts. (...)

 

4. Eine Verletzung des Grundrechts der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG liegt auch nicht darin, dass, wie die Antragsteller meinen, der Zwang, am Ethikunterricht teilzunehmen, die Teilnahme am Religionsunterricht erschwert. Das ist nicht der Fall. Der Antragstellerin zu 1. steht es frei, außer dem Ethikunterricht auch den Religionsunterricht zu besuchen, der gemäß § 13 SchulG im Land Berlin kein ordentliches Lehrfach, sondern von vornherein ein zusätzliches Angebot darstellt, das angenommen werden kann, aber auch ohne Angabe von Gründen nicht wahrgenommen zu werden braucht. Daran hat sich nichts geändert.

 

5. Endlich lässt sich ein Anspruch auf Befreiung vom Ethikunterricht auch nicht aus einem von den Antragstellern postulierten Wahlrecht zwischen Religions- und Ethikunterricht herleiten. Ein solches Wahlrecht besteht nicht; es gibt dafür keine Rechtsgrundlage. Das Fach Ethik ist gesetzlich im Land Berlin als verbindliches Pflichtfach für alle Schüler der Sekundarstufe I, nicht lediglich als alternatives „Ersatzfach" für diejenigen von ihnen eingeführt worden, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Das ist nicht zu beanstanden, denn es ist nicht zwingend geboten, bekenntnisneutrale und bekenntnisgebundene Werteorientierung in der Schule stets nur alternativ anzubieten. (...)

 

6. Ebenfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass auch das elterliche Erziehungsrecht der Antragsteller zu 2. und 3. nach Art. 6 Abs. 2 GG dem mit dem Ethikunterricht verfolgten Erziehungsziel nicht entgegensteht. Es hat dazu im Wesentlichen die einschlägigen Gründe der Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, denen auch der beschließende Senat folgt, wiedergegeben und zitiert, dass das Elternrecht und der staatliche Erziehungsauftrag einander zwar gleichgeordnet sind, aber schulischer Ethikunterricht elterliche Moralerziehung  –  auf welcher weltanschaulichen oder religiösen Grundlage auch immer  –  keineswegs ausschließt, sondern ergänzt.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar."