Gar nicht erst ignorieren!

BERLIN. (hpd) Warum fragen manche Menschen danach, ob Gott existiert? Diese einfache Frage stellen sich viele AtheistInnen gar nicht erst. Zu einer aktuellen Debatte einige „Überlegungen zur ‘Gottesfrage’“, zu einer ungeprüften, vermutlich aber unter problematischen Voraussetzungen „ausgedachten“ Frage.

Von Frieder Otto Wolf

Sich diese Frage nach Gott erst gar nicht zu stellen ist naiv – vielleicht einer naturwissenschaftlichen Mentalität geschuldet, in der es in aller Regel eben nicht darum geht, Fragen zu hinterfragen, sondern nur noch darum, Antworten auf Fragen zu finden, von denen nicht grundsätzlich bestritten wird, dass sie sinnvoll gestellt werden können.

Aber auch in den Naturwissenschaften gab und gibt es historische Fragen, die sich als korrekturbedürftig herausgestellt haben – wie etwa die Frage nach dem Phlogiston, dem Feuerstoff, oder nach dem Äther, der „dünnen Materie“, welche die Räume zwischen den Sternen füllt. Allerdings bedurfte es hier nur einer gleichsam eindimensionalen Korrektur – danach geht es um die Rolle des Sauerstoffs im Prozess der Verbrennung oder um die „Grundkräfte“ des physikalischen Kosmos. Aber immerhin lässt sich eine sinnvolle Frage formulieren, welche an die Stelle der korrigierten, „falschen“ Frage tritt.

Im 19. Jahrhundert war es ganz üblich, die „Gottesfrage“ nach genau dem selben Muster zu „korrigieren“: So trat in der feuerbachschen Anthropologie die Frage nach „dem Menschen“ an ihre Stelle, im „Materialismus“ eines Moleschott „die Materie“, im „Positivismus“ eines Auguste Comte „die Gesellschaft“, im Sozialdarwinismus eines Spencer „die Evolution“. Das führte jedenfalls auf eine problematische Weise zu „kompletten“ Weltanschauungen, wie sie etwa Bert Brecht immer kritisiert hat.

Eine Debatte, welche nur TheistInnen, AtheistInnen und AgnostikerInnen kennt, verharrt auf diesem „naiven“ Niveau: Sie unterstellt – völlig ungeprüft – dass „die Gottesfrage“ eine derartige Frage ist, auf die es überhaupt eine sinnvolle Antwort gibt bzw. die zumindest in korrigierter Form sinnvoll und triftig beantwortet werden kann.

Genau das ist aber zu prüfen – angesichts der realen Menschheitsgeschichte, in der die Menschen die meiste Zeit und in ihrer großen Mehrheit ohne diese „Gottesfrage“ ausgekommen sind. Auch wenn die – immer noch stark christlich geprägte – „Religionswissenschaft“ hier große Verrenkungen unternimmt, um auch noch in der Praxis der Schamanen oder den Feiern der modernen Säkularen ihre Gottesfrage „wiederzufinden“ – in summa per Unterstellung.

Was also ist eigentlich die Frage, auf die die Geschichten vom Schöpfergott, vom „Gott der Philosophen“, von JHWE, von der Heiligen Dreieinigkeit oder von Allah die Antwort geben sollen?

Solange wir diese Frage nicht historisch untersucht haben – der Monotheismus ist ein menschheitsgeschichtlich eher junges und insgesamt recht partielles Phänomen – sollten wir uns nicht dazu überwältigen lassen, die „Gottesfrage“ der monotheistischen Religionen zu beantworten. Und die moralische oder politische Haltung von Personen oder Gruppen schon gar nicht danach beurteilen, wie sie sich zu einer zumindest ungeprüften, vermutlich aber unter problematischen Voraussetzungen „ausgedachten“ Frage verhalten.

Also, wie die ÖsterreicherInnen es so plastisch sagen: „Gar nicht erst ignorieren!“ Das ist die wirklich aufgeklärte und intellektuell radikale Haltung zur sogenannten „Gottesfrage“.