Philosophie des politischen Liberalismus

(hpd) Der US-amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002) präsentierte in seiner posthum erschienenen „Geschichte der politischen Philosophie“ seine Deutung von Hobbes, Locke, Rousseau, Hume und Mill sowie Marx. Damit trat er für einen politischen Liberalismus ein, welcher die Gleichheit der Freiheiten und Rechte mit der Forderung nach allseitigem Nutzen bei sozialen Unterschieden verband.

 

Der US-amerikanische Sozialphilosoph John Rawls (1921-2002) gehörte bereits zu Lebzeiten zu den Klassikern der politischen Theorie, hatte er doch mit seinem 1971 erstmals erschienen Werk „A Theory of Justice“ eine Renaissance des vertragstheoretischen Denkens eingeleitet: Darin begründete Rawls verbindliche Gerechtigkeitsprinzipien aus einem Gedankenexperiment, wobei sich rationale Akteure im Unwissen über ihren sozialen Status auf solche Minimalbedingungen verständigen würden: Erstens: „Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist.“ Und zweitens: „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu regeln, dass sie sowohl (a) den am wenigsten Begünstigten die bestmöglichen Aussichten bringen als auch (b) mit Ämtern und Positionen verbunden sind, die allen gemäß der fairen Chancengleichheit offen stehen.“ Nicht nur in den USA avancierte das Werk binnen kurzer Zeit zur modernen Grundlagenschrift des politischen Liberalismus.

Hauptberuflich arbeitete Rawls als Professor für Philosophie an der Harvard University, wo er seit Mitte der 1960er Jahre bis zu seiner Emeritierung 1995 regelmäßig eine Lehrveranstaltung mit dem Titel „Politische Philosophie der Neuzeit“ anbot. In ihr begründete und diskutierte er die unterschiedlichsten Aspekte seine Gerechtigkeitstheorie, stellte aber auch die Ansätze und Positionen älterer Autoren vor. Die Texte dieser Vorlesungen erschienen erstmals 2007 als „Lectures on the History of Political Philosophy“ und in der deutschen Übersetzung als „Geschichte der politischen Philosophie“. Beide Titel täuschen indessen, handelt es sich doch um keine Einführung oder Gesamtdarstellung. Vielmehr ging es Rawls darum, wie er in den „Einleitenden Bemerkungen“ schrieb, ein „Bild der besonders zentralen Merkmale des Liberalismus zu vermitteln, wonach sie eine politische Konzeption der Gerechtigkeit ausdrücken, wenn der Liberalismus von einem Blickpunkt innerhalb der Tradition des demokratischen Konstitutionalismus betrachtet wird“ (S. 20).

Eine Richtung dieses Denkens bestand für Rawls in den Gesellschaftstheorien in Form der Auffassungen von Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau und eine andere Richtung im Utilitarismus in Gestalt des Denkens von David Hume und John Stewart Mill. Eine gegenteilige Position erblickte er in der sozialistischen Perspektive insbesondere repräsentiert durch Karl Marx als interessantesten Kritiker des Liberalismus. Den Ansätzen dieser sechs Denker geht Rawls in den abgedruckten Vorlesungen bezüglich so verschiedener Aspekte wie Eigentumstheorie und Freiheitsverständnis, Gerechtigkeitsbild und Naturvorstellung, Vernunftgebrauch und Vertragskonzeption nach. Hierbei wird eng am Text analysiert und kommentiert, wobei kein Anspruch auf die alleinig richtige Deutung erhoben wird. Selbstkritisch bemerkt Rawls: „Es handelt sich hier um eine sehr umfassende und komplizierte Anschauung, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, sie zu deuten. Wir sollten jeden allzu schlichten Interpretationsvorschlag mit Misstrauen betrachten“ (S. 72).

So könnte man tatsächlich auch gegen die Darstellung von Hobbes und Rousseau Einwände erheben, ist deren Einreihung in die Ahnengalerie eines politischen Liberalismus doch nicht ganz unproblematisch. Bei Ersterem deutete Rawls entsprechende Aspekte bei den Ausführungen zur Rolle des Souveräns an, bei Rousseau fehlen indessen kritische Anmerkungen zu dessen identitärem Gesellschaftsbild. Besondere Beachtung verdienen darüber hinaus die Ausführungen zu Marx, hatte sich Rawls doch in seinen sonstigen Schriften mit ihm nur ganz am Rande beschäftigt. Durch alle Vorlesungen hindurch zieht sich die Absicht einer Verteidigung der liberalen, politischen Konzeption der Gerechtigkeit, die für Rawls aus drei Hauptelementen besteht: „eine Liste gleicher Grundrechte und Grundfreiheiten, den Vorrang dieser Freiheiten und die Gewährleistung, dass alle Angehörigen der Gesellschaft über angemessene und universell einsetzbare Mittel verfügen, um von diesen Rechten und Freiheiten Gebrauch zu machen“ (S. 39).

Armin Pfahl-Traughber

John Rawls, Geschichte der politischen Philosophie. Herausgegeben von Samuel Freeman. Aus dem Amerikanischen von Joachim Schulte, Frankfurt/M. 2008 (Suhrkamp-Verlag), 671 S., 38 €