Friedhofsführung kreuz und queer

BERLIN. (hpd) Auf einem der schönsten Friedhöfe Berlins fand am Sonntag eine „Kreuz&Queer“-Führung statt, in dessen Mittelpunkt die Grabstätten von Schwulen standen, die für eine humanistische Bestattungs- und Erinnerungskultur Anstöße geben können.

Der vergangene Sonntag war dieses Jahr mit dem Datum des 17. Mai ein besonders geeigneter Tag für eine der seltenen „Queer-Führungen“ über den Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin Schöneberg/Tempelhof. Der 17. Mai, klarer als 17.5. geschrieben, ist / war der klassische kämpferische Tag der Schwulenbewegung in Deutschland, da das Datum den alten § 175 des Strafgesetzbuches symbolisierte, der seinerzeit homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. „Queer“ ist ein zusammenfassender Begriff für Lebensweisen und „Menschen, die sich innerhalb der heteronormativen Ordnung nicht platzieren lassen, wollen oder können“, u. a. also auch für Schwule und Lesben. Entsprechend nennt sich ein Internetportal für schwul-lesbische Nachrichten in Deutschland „queer.de“.
 

Der Alte Matthäus Kirchhof ist ein evangelischer Friedhof, der 1856 begründet wurde, vor den Stadtmauern Berlin nahe dem Dorf Schöneberg, und der zu der Kirche gehört, die heute noch neben der Neuen Nationalgalerie steht.

Um die Kirche herum bildete sich das damalige so genannte bürgerliche „Geheimratsviertel“ und das erklärt zum Teil, warum einige Bekannte und Berühmte auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhestätte haben. So der Komponist Max Bruch, der wohlhabende Meiereibesitzer Carl Andreas Julius Bolle, der Pädagoge Wilhelm Diesterweg, der Mediziner Rudolf Virchow und die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm, um nur einige wenige zu nennen.


Bild: Grabstelen von Hermann, Rudolf, Wilhelm und Jacob Grimm

Die evangelische Kirchengemeine erlaubt auch nicht-konfessionelle Bestattungen und so sind dort – über das ganze Friedhofsgelände verteilt -, 85 Schwule in rund 70 Gräbern beerdigt. Das mittlerweile älteste und erste Grab eines Schwulen besteht dort seit 20 Jahren. Ludger Wekenborg, der zu der Gruppe E.F.E.U. e.V. gehört („Erhalten, Fördern, Entwickeln Unterstützen“) und die „Queer“-Führung leitet, sieht drei Gründe dafür. Zum einen befinde sich der Friedhof in der Nähe des Schwulen-Kiezes, zum anderen hätten einige prominente Schwule, die eine Grabstelle pachteten, andere nach gezogen und schließlich sei es einer der schönsten Friedhöfe in der Stadt.


Ludger Wekenborg erläuert die Geschichte des Friedhofs

Gerade Schwule hätten in den vergangenen zwanzig Jahren eine besonders intensive Beschäftigung und Klärung von Tod und Begräbnis erlebt, da HIV und AIDS auch und gerade Männer „in den besten Jahren“ tötete. Das Siechtum und Sterben fand im Freundeskreis statt und so bildete sich ein eigenes Verhältnis zu Trauerfeiern heraus, die auch anders sein konnten, auf denen auch durchaus gelacht werden durfte. Und es wurde immer mehr ein besonderes Augenmerk darauf gelegt – auch selbst von den Sterbenden –, dass die Individualität auch im Grab und seiner Gestaltung seinen Ausdruck fand.

Zur Grabpflege, meinte Ludger Wekenborg, hätten sie manchmal etwas scherzhaft gesagt: „Ich gehe mal die Freunde begießen.“ Und diese beinahe alltägliche Gegenwart des Todes im Freundes- und Bekanntenkreis bedeutete: „Man kann es nur rund kriegen, wenn man den Tod nicht ausblendet, sich schon vorher damit beschäftigt und es gemeinsam macht.“

Darum geht es, um die Individualität des Menschen, für sich und für die Anderen. Nicht der Rückgriff auf traditionelle Engel, Kreuze oder Palmenwedel als Grabschmuck, nicht die großbürgerlichen Gruften, die primär den gesellschaftlichen und finanziellen Status des Toten darstellen, sondern die Phantasie für Elemente, die der Persönlichkeit des Menschen entsprechen, auch und schließlich für sein Grab. Die Menschen sind sich auch im Tod nicht gleich.

Carsten Frerk

 

 
Der Gebärdensprachdozent
Gunter Trube / Der Schriftsteller Hans-Georg Stümke

 

 
Die Verlegerin Gudula Lorez / Der Künstler und Fotograf Jürgen Baldiga

 

 
Der 'Lebenskünstler'
Napoleon Seyfarth / Die Frauenrechtlerin Minna Cauer

 
Der Opernregisseur Andreas Meyer-Hanno / Der Schriftsteller Avigdo Ben Trojan

 
Der Gastronom Reinhard von der Marwitz / Der Choreograph und Tänzer Lothar Gessler

 


Reiner Geiger / Marcin Klatt (Detail)



Das Sammelgrab
„Denk-mal-positivHIV“

 

Fotografien © Evelin Frerk