Schrumpfungsprozess der katholischen Kirche

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Wien-Ottakring / Foto: Evelin Frerk

WIEN. (hpd) Die katholische Kirche in Österreich schrumpft weiter. Erstmals sind weniger als 5,6 Millionen Menschen Mitglieder. Zehntausende haben Österreichs größter Religionsgemeinschaft im Vorjahr den Rücken gekehrt. Ohne Taufen wäre der Schrumpfungsprozess noch dramatischer. Die katholische Kirche versucht die Entwicklung wegzureden.

Knapp 67 Prozent der 8,35 Mio. Österreicher sind Mitglieder der katholischen Kirche. So wenig wie nie zuvor. In den 50er Jahren lag der Bevölkerungsanteil der Katholiken bei 89 Prozent. 40.000 Menschen sind im Vorjahr aus der Kirche ausgetreten. Aus Ärger über die gesellschaftspolitische Haltung der Kirchenhierarchie, wegen des Kirchenbeitrags, oder, weil sie schlicht und ergreifend nicht mehr an Gott glauben.

Genaue Zahlen gibt es nicht. Anders als in Deutschland sind in Österreich die etwa 1 Million Konfessionslosen noch nicht von der Forschung entdeckt worden. Den Trend haben auch die so genannten Aufbruchskampagnen etwa der Diözese St. Pölten nicht aufgehalten. Dort werden seit vier Jahren im Sommer Tausende Plakate mit religiösen Botschaften affichiert. Finanziert wird das traditionell von kirchennahen Unternehmen wie der Raiffeisen-Gruppe oder der Verlagsgruppe „Niederösterreichisches Pressehaus“, das im Mehrheitseigentum der Diözese steht. Im Einflussbereich des als streng konservativ geltenden Bischofs Klaus Küng sank die Zahl der Mitglieder genauso wie bundesweit.

Die Zahl der Taufen entspricht in etwa der allgemeinen Entwicklung. Knapp 66 Prozent aller in Österreich geborenen Kinder werden von ihren Eltern als Mitglieder der katholischen Kirche registriert. Ähnlich wie in Deutschland ein Schritt mit lebenslänglichen juristischen Verpflichtungen für das Kind – es sei denn, es tritt später aus. In Österreich ist das ab dem 15. Lebensjahr möglich.

Es sind nur die Taufen, die die Religionsgemeinschaft vor einem noch stärkeren Mitgliederschwund bewahren. Rechnet man Taufen, Todesfälle, Austritte und die spärlichen (Wieder-)Eintritte Erwachsener zusammen, kommt man auf ein Minus von etwa 20.000 Mitgliedern.

Nur für die Kirche existiert der Mitgliederschwund nicht. Es gebe eine schwer einzuschätzende Zahl von "Untergrund-Katholiken", sagt etwa Erich Leitenberger, Sprecher der Erzdiözese Wien. "Es gibt unter den Immigranten Katholiken, die aus Ländern kommen, in denen es nicht ratsam war - oder immer noch ist -, seinen Glauben zu deklarieren", erklärt er gegenüber ORF.at. Subtext: Eigentlich gibt es wesentlich mehr Katholiken als bekannt, der Mitgliederschwund ist nur Einbildung.

Auch bei stark schwindender Mitgliederzahl bleibt die katholische Kirche mit Abstand die größte Religionsgemeinschaft im Land. Die zweitgrößte ist - noch - die Islamische Glaubensgemeinschaft, der etwa 5 Prozent der Bevölkerung angehören, gefolgt von den Protestanten mit etwa 4 Prozent. Die Islamische Glaubensgemeinschaft könnte demnächst empfindlich schrumpfen. Die Alleviten haben angekündigt, sie zu verlassen und eine eigene Religionsgemeinschaft gründen zu wollen. Konfessionslos sind etwa 12 Prozent der Bevölkerung.

Gottesdienstbesuch sinkt

Ein Faktum, das auch die katholische Kirche nicht wegleugnen kann, ist, dass die schwindende Zahl an Mitgliedern der Einrichtung und ihren Ritualen immer indifferenter gegenüber steht. Nur 13 Prozent der so genannten Gläubigen gehen regelmäßig in die Kirche, 2007 waren es 14 Prozent. Eine etwa gleich große Zahl kommt einmal im Monat. Einigermaßen gefüllt sind die Kirchen nur zu Ostern und Weihnachten, wo sich eine von den Verantwortlichen nicht näher bezifferte weitere Gruppe zu Messen einfindet. Die Vermutung liegt nahe, dass selbst zu den genannten Feiertagen nicht einmal die Hälfte der offiziellen Mitglieder einen Gottesdienst besucht.

Auch die Österreich-Ergebnisse der „Europäischen Wertestudie“ legen nahe, dass die Verantwortlichen versuchen, die Entwicklung herunterzuspielen. Sie wurde in Österreich von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien durchgeführt und ergab einen hohen Prozentsatz an Menschen, die sich als religiös bezeichneten. Dass auch das immer weniger werden, konnte die Studie auch nicht ganz wegrechnen.

Weniger als die Hälfte glaubt an Gott

Laut einer anderen Studie des renommierten Meinungsforschungsinstituts IMAS glauben in Österreich nur etwa 47 Prozent der Menschen an Gott, etwa 22 Prozent an Geister. Doppelnennungen wurden nicht herausgerechnet.

Bemerkenswerte Entwicklungen in einem Land, in dem vor allem in ländlichen Gegenden der soziale Druck die Menschen dazu bringt, doch noch dabei zu bleiben. „Ich glaube nicht daran, will aber nicht, dass meine Großmutter erfährt, dass ich ausgetreten bin“, lautet eine gängige Erklärung, warum man der Religionsgemeinschaft nicht den Rücken kehrt. Vielfach haben Menschen auch Grundstücke von der Kirche gepachtet, die nach der öffentlichen Hand der zweitgrößte Grundeigentümer des Landes ist. Konfessionelle Schulen mit Öffentlichkeitsrecht, in einzelnen Bezirken der einzige Zugang zu höherer Bildung, üben zusätzlich Druck aus.

Auch die Aufregung um die Atheisten-Buskampagne zeigt, dass ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung und beinahe die gesamte Politik noch nicht realisiert haben, dass die Zeit der absoluten Dominanz der katholischen Kirche vermutlich dauerhaft vorbei ist. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte lässt erwarten, dass der Mitgliederschwund der katholischen Kirche weitergeht.

Christoph Baumgarten