Das Paradigma der Unschuld

(hpd) Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon plädiert in seinem Buch „Jenseits von Gut und Böse. Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind“ für das „Paradigma der Unschuld“ als Alternative zum „Sündenfall-Syndrom“. In gewohnt lockerer Schreibe plädiert er für den Abschied von „Gut“ und „Böse“ sowie von der „Willensfreiheit“ zugunsten einer „neuen Leichtigkeit des Seins“ auf Basis von innerer Gelassenheit und aufklärerischem Veränderungswillen.

Gegen das „Sündenfall-Syndrom“ anschreiben will der freischaffende Philosoph Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano Bruno-Stiftung, in seiner Streitschrift „Jenseits von Gut und Böse. Warum wir ohne Moral die besseren Menschen“ sind. Was ist aber mit dieser Bezeichnung gemeint? Für den Autor handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für eine spezifische Normierung des Denkens, Empfindens und Handelens im Sinne der in der biblischen Paradieserzählung („Adam und Eva“) angelegten Auffassung von moralischer Schuld und Sühne. Deren Axiome - also grundlegende Denkvoraussetzungen - bestünden in folgenden Annahmen: Erstens, der Mensch verfüge im Unterschied zu anderen Lebewesen über „Willensfreiheit“, zweitens, „das Böse“ und „das Gute“ existierten als absolute moralische Kategorien, und drittens, aus der Kombination von beidem ergebe sich das moralische Schuld-, Sühne- und Sündenprinzip (vgl. S. 16-18). An diesem arbeitet sich Schmidt-Salomon in seinem Buch argumentativ ab.

Es gliedert sich in sieben Kapitel, die in zwei große Teile aufgeteilt sind. Unter der Überschrift „Die neuen Früchte der Erkenntnis“ geht es zunächst um eine Kritik an der Auffassung von „Gut“ und „Böse“ und von der „Willensfreiheit“. Letztere sei Ausdruck einer Illusion: „Wie andere Lebewesen auch, sind Menschen nicht in der Lage, Naturgesetze zu überschreiten. Daher ist es schlichtweg unmöglich, dass sich eine Person unter exakt den gleichen Bedingungen anders entscheiden könnte, als sie sich de facto entscheidet.“ Und weiter: „’Gut’ und ‚Böse’ sind moralische Fiktionen, für die es in der Realität keine Entsprechung gibt.“ Grausamkeit und Gewalt, Hilfsbereitschaft und Liebe könnten evolutionstheoretisch weitaus besser erklärt werden als durch die metaphysischen Fiktionen von „Gut“ und „Böse“. Daraus leitet Schmidt-Salomon folgende Einsicht ab: „Mit der Verabschiedung der beiden zentralen Prämissen des Sündenfall-Syndroms ist auch deren lebenspraktische Konsequenz obsolet: das moralische Schuld- und Sühneprinzip“ (S. 201).

Paradigma der Unschuld

Ihm wird das „Paradigma der Unschuld“ als alternative Perspektive entgegengestellt, wofür der zweite Teil mit der Überschrift „Die neue Leichtigkeit des Seins“ steht. Darin zeigt der Autor, dass die Einsicht „Du kannst nichts dafür!“ keineswegs ein „Aufruf zu fatalistischer Passivität, sondern vielmehr zu größerer Autonomie“ bedeute. Erst derjenige, der sich selbst verzeihen könne, verfüge auch „über die notwendige innere Gelassenheit, um sich selbst effektiv verändern zu können“ (S. 210f.). Danach skizziert Schmidt-Salomon die Grundprinzipien einer inneren Gelassenheit für das Individuum, für die Kritik und für die Gesellschaft. Diese neue Lebensweise stehe auch für gegenseitiges Verzeihen: „Wer sich von der moralischen Fiktion befreit hat, dass sich eine Person zum Zeitpunkt ihrer Tat anders hätte verhalten können, als sie sich verhielt (...) dem fällt es leichter, zu verzeihen: Warum? Weil er unter dieser Voraussetzung den Schaden, den er erlitten hat, als Ausdruck eines natürlichen Übels begreift und nicht als moralisches Übel ... (S. 275).