Schwangerschaftsabbruch international

Das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird von westlichen Politikern gerne bemüht,

um die Zustände in islamischen Gemeinwesen zu kritisieren. Doch wenn es um die Entscheidung geht, Mutter zu werden oder nicht, zeigt sich, dass auch im Westen, insbesondere in christlich geprägten Staaten, von einer selbstbestimmten Entscheidung der betroffenen Frauen keine Rede sein kann. In Nicaragua wurde das Abtreibungsrecht Ende Oktober dramatisch verschärft; in Polen fordert die Regierungspartei Liga Polnischer Familien eine Verfassungsänderung, um Schwangerschaftsabbrüche ohne Ausnahme zu kriminalisieren. Und in Deutschland darf ein Arzt, der Abtreibungen vornimmt, nach einem höchstrichterlichen Urteil als Tötungsspezialist für ungeborene Kinder verunglimpft werden. In diesen Tagen erscheint ein Sammelband, in dem Frauen aus vier Kontinenten über die Situation in ihren Ländern, über positive und negative Entwicklungen berichten. hpd sprach mit der Herausgeberin Sarah Diehl.


hpd: Dein neues Buch befasst sich mit Abtreibung, der Titel ist „Deproduktion“ – was ist darunter zu verstehen?
Sarah Diehl: In dem Buch habe ich Texte gesammelt, die in vielschichtiger Hinsicht Normvorstellungen über Weiblichkeit und die Reproduktionsarbeit von Frauen in Frage stellen. Deshalb wollte ich einen Titel wählen, der diesen Aspekt gleich zu Beginn mit einer Negierung dieser Norm betont. Aber die Interpretation des Titels will ich weitgehend den Leserinnen und Lesern überlassen.
hpd: Aus welchen Gründen entscheiden sich Frauen gegen eine Schwangerschaft?
Sarah Diehl: Im Buch zitiere ich Jennifer Johnson-Hanks: „Indem ein Schwangerschaftsabbruch eine ungeplante Mutterschaft abwenden kann, bildet er nicht nur eine Quelle für Schande, sondern kann auch vor einer solchen schützen.“ Das zeigt, dass es sehr verschiedene Gründe sind, die auch mit der Doppelmoral in der Gesellschaft zu tun haben, warum Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Die Gründe beruhen oft auf ökonomischen, sozialen oder moralischen Vorstellungen. Aber ebenso wichtig ist, dass Frauen nicht nur in „Notfällen“ die Berechtigung haben dürfen, ihre Schwangerschaft abzubrechen, sondern auch wenn sie schlichtweg keine Mütter werden wollen.
hpd: An einer Stelle im Buch heißt es, dass das Recht, im juristischen Sinne, auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft wieder verloren werden kann, wenn es nicht gelingt, das Recht darauf auch im ethischen Sinne durchzusetzen. Welche Anzeichen siehst du, dass eine solche Entwicklung droht?
Sarah Diehl: Die Bewegung der Abtreibungsgegner hat in den letzten Jahren nicht geschlafen. Eine Taktik, die derzeit vermehrt zur Anwendung kommt, ist die Einflussnahme auf das Gesundheitspersonal. Sie ziehen die Leute auf ihre Seite und die weigern sich dann aufgrund von moralischen Bedenken, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. In Salzburg, haben sich zum Beispiel sämtliche Gynäkologen geweigert, noch Abbrüche durchzuführen, so dass engagierte Ärzte einmal die Woche aus Wien kommen, um Frauen in Salzburg noch den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch zu gewährleisten. Das Argument der „moralischen Bedenken“ weitet sich in einigen Ländern sogar auf Verhütungsmittel aus – paradoxerweise das Mittel, mit dem man ungewollte Schwangerschaften und somit Abbrüche am besten vermeiden kann. Dies geht so weit, dass Abtreibungsgegner es mit ihrer Lobbyarbeit geschafft haben, dass in den USA bereits in drei Bundesstaaten Gesetze verabschiedet wurden, die Apothekern erlauben, aus moralischen Bedenken die Herausgabe von Verhütungsmitteln und der so genannten Pille danach zu verweigern. In Texas gab es 2004 sogar einen Fall, in dem ein Apotheker nach einer Vergewaltigung die Herausgabe der Pille danach ablehnte. Das gibt einen beunruhigenden Ausblick darauf, wie weit die reproduktiven Rechte von Frauen mit dem Argument ethischer Befindlichkeiten des Gesundheitspersonals auf dem Spiel stehen.
hpd: Andererseits gibt es aber auch positive Entwicklungen. Ein Beitrag im Buch beschreibt die Situation in Südafrika, wo nach dem Ende der Apartheid ein ausgesprochen liberales Gesetz eingeführt wurde.
Sarah Diehl: Südafrika hat eines der liberalsten Abtreibungsgesetze weltweit. Die Zivilgesellschaft spielte bei der Legalisierung eine wichtige Rolle. Als 1994 der African National Congress (ANC) an die Regierung kam, wurde das ganze politische und juristische System, das Schwarze jahrelang unterdrückt hatte, umgekrempelt. Das betraf auch das Gesundheitssystem. Der Gesundheitsminister Nkosazana Zuma ernannte ein Komitee, das öffentliche Anhörungen durchführte, um sicherzustellen, dass die Stimmen entmachteter Bevölkerungsgruppen bei dieser Umgestaltung berücksichtigt werden. Aufgrund deren Ergebnisse kamen die Behörden zu dem Schluss, dass Schwangerschaftsabbrüche unvermeidlich sind und wurden für den Horror sensibilisiert, dem Frauen ausgesetzt sind, wenn sie keinen legalen Zugang zu einer Abtreibung haben. Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich: wenn den Frauen einmal wirklich Raum gegeben wird, darüber zu reden, welche Konsequenzen sie aufgrund der moralischen und juristischen Beschränkungen bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs tragen müssen, erscheinen diese nur noch als Bigotterie.
Solche Erfolge werden aber zum Beispiel durch die Gag Rule wieder zunichte gemacht. Diese Verordnung wurde 1984 in den USA eingeführt und besagt, dass für NGOs, die Informationen und Dienstleistungen bezüglich des Schwangerschaftsabbruches zur Verfügung stellen oder sich nur befürwortend dazu äußern, alle Zuschüsse der US-Regierung gestrichen werden. Dies ist auch dann der Fall, wenn die jeweilige Regierung fördert, dass NGOs zu diesem Thema arbeiten, wie z.B. in Südafrika. Dies hatte dramatische Auswirkungen auf viele Organisationen, die sich für die reproduktiven Rechte von Frauen einsetzen und sich dieser Bevormundung widersetzten. Tatsächlich löst die Gag Rule das Gegenteil zu dem aus, was sie angeblich intendierte. Denn durch die Streichung von Geldern können die betroffenen NGOs ihrer Aufklärungsarbeit in der Familienplanung nicht mehr nachkommen, was eine Erhöhung der Anzahl von ungewollten Schwangerschaften und damit von Abtreibungen zur Folge hat. Als Reaktion darauf gründete die International Planned Parenthood Federation 2006 den Global Safe Abortion Fund, der sich extra darauf konzentriert, NGOs und andere Organisationen, die von der Gag Rule betroffen sind, mit den notwendigen Finanzmitteln zu versorgen.
hpd: Lässt sich systematisch darstellen, in welchen Ländern es die Frauen am schwersten haben?
Sarah Diehl: Das hat zum einen sehr viel mit der Stärke der Kirche zu tun und inwieweit die Frau noch als Eigentum des Mannes bzw. der Familie gesehen wird und zum anderen mit der Qualität der medizinischen Versorgung im jeweiligen Land.
hpd: In deiner Einleitung bekennst du dich eindeutig zum Selbstbestimmungsrecht der Frau. Trotzdem nähert sich dein Buch dem Thema auf eine ganz andere Art und Weise als die kämpferischen Publikationen der 1970er und 1980er Jahre, als es um die Abschaffung des § 218 ging. Was hat sich verändert, dass du dich entschieden hast, das Thema weniger konfrontativ, sondern sehr facettenreich zu behandeln?
Sarah Diehl: Auf was genau spielst du jetzt an?
hpd: Auf das Gespräch mit Julia Black über ihren Film My Foetus, der von Pro-Choice-Gruppe ja dafür kritisiert wurde, dass die Gegenseite so ausführlich zu Wort kam. Oder auf den Beitrag von Andrea Trumann, der reflektiert, ob die selbstbestimmte Entscheidung gegen ein behindertes Kind wirklich so selbstbestimmt ist, wie es der Frau im Moment der Entscheidung vielleicht erscheint...
Sarah Diehl: Abtreibung ist ein Thema, das emotional so aufgeladen ist, dass es in vielerlei Hinsicht missbraucht werden kann. Im Interview mit Julia Black erinnert die Filmemacherin daran, wie wichtig es ist, auf die Argumentationen der Abtreibungsgegner einzugehen, damit diese nicht die moralische Oberhand gewinnen, wie es in den meisten Ländern leider der Fall ist. Bei Andrea Trumann wird deutlich, dass unsere Gesellschaft Frauen bei Behinderung oder Intersexualität des Fötus an Stelle von Verbesserungen des sozialen Zusammenlebens und der gerechteren Verteilung der Verantwortung als einzige Alternative die Abtreibung anbietet, womit Leben ganz klar der vorherrschenden kapitalistischen Effizienzlogik unterworfen wird. Emotional muss das aber immer noch von der Frau ausgebadet werden, weil der Staat und unsere Gesellschaft gleichzeitig suggeriert, dass Abtreibung unmoralisch und verurteilungswürdig ist.
Die Anthologie vertritt sehr kompromisslos das Recht auf den Schwangerschaftsabbruch, aber die Diskussion hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten weiterentwickelt. Ich habe versucht, auf die verschiedenen „Fallstricke“ einzugehen, gerade um Abtreibungsgegnern entsprechend begegnen zu können.
hpd: Du hast in deine Anthologie auch literarische Texte aufgenommen, die zwangsläufig eine sehr persönliche Perspektive wählen. Warum?
Sarah Diehl: Ich wollte mit der Anthologie dem Motto „das Private ist politisch“ auch strukturell gerecht werden. Deshalb dachte ich, dass rein akademische Texte dem Thema nicht entsprechen können. Denn bei dem Thema geht es ja gerade um eine auch psychologische Zurichtung von Frauen, denen ich nicht nur mit Statistiken begegnen wollte. Obwohl etwa jede dritte Frau weltweit in ihrem Leben wenigstens eine Abtreibung hat, ist diese Erfahrung der Frauen immer noch kein Thema, das gesellschaftlich verhandelt wird. Auch in der Literatur, in Spielfilmen und in der Kunst gibt es nur sehr rare Beispiele für eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Somit haben Frauen oft nur die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit Abtreibungen im Zerrspiegel der politischen, moralischen und religiösen Kämpfe in der Gesellschaft zu erleben. Aber gerade wenn Frauen selbst über ihre komplexen Erfahrungen diesbezüglich reden, entblößt sich der ganze Unsinn und der Zwang, dem Frauen, betreffend ihrer reproduktiven Fähigkeiten, immer noch ausgesetzt sind.
hpd: Ich danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Sarah Diehl (Hrsg.): Deproduktion. Schwangerschaftsabbruch im internationalen Kontext. Aschaffenburg: Alibri 2007. 252 Seiten, kartoniert, Euro 17.-, ISBN 3-86569-016-5