(hpd) Klingt schon ein wenig alt, der Neue Atheismus. Dabei ist er zu einem festen Bestandteil des säkularen Humanismus geworden, allen Unkenrufen zum Trotz. Und er wächst so schnell wie der siebte Kreis der Hölle. Physiker Victor Stenger, seit seinem Werk God: The Failed Hypothesis selbst an vorderster Front der Aufklärungsbewegung, hat dem Neuen Atheismus nun ein eigenes Buch gewidmet.
Der Untertitel von Stengers Buch nimmt bereits vorweg, worum es geht: Taking a Stand for Science and Reason. Es geht darum, die wissenschaftliche Methode und das rationale Denken zu verteidigen. Nicht nur im Bereich der Religion, wohlgemerkt, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Obwohl die meisten Mitglieder der Bewegung, darunter Richard Dawkins, Sam Harris, Daniel Dennett und Christopher Hitchens („Die vier Reiter der Apokalypse“) diesen Namen nie sehr treffend fanden (natürlich ist er aus philosophischer Sicht auch nicht sehr treffend), ist auch der Neue Atheismus als Begriff inzwischen fest etabliert.
In The New Atheism fasst Victor Stenger die Gemeinsamkeiten der modernen Aufklärer zusammen und definiert erstmals den Neuen Atheismus aus seiner eigenen Perspektive, schließlich wurde er bislang eher von schlagzeilengestaltenden Journalisten definiert. Außerdem bringt Stenger noch einmal seine Position zur Thematik auf den Punkt, derzufolge der Gott der abrahamitischen Religionen (Christentum, Judentum, Islam) wissenschaftlich, und nicht nur philosophisch, widerlegt sei und er geht auf die Argumente von Kritikern ein. Stenger ist einen Schritt weitergegangen als Dawkins und co., was die wissenschaftliche Erklärung der Religiosität betrifft und er bezieht ein paar der Studien mit ein, die in Religion: Die neuesten Erkenntnisse vorgestellt wurden. Das ist insofern relevant, da den Neuen Atheisten vorgeworfen wird, die Religion nur polemisch bekämpfen zu wollen, ohne sie überhaupt (wissenschaftlich) zu verstehen.
Zeit für Klartext
Wie die anderen Bücher der Neuen Atheisten zeichnet sich auch dieses durch absolute Klarheit aus, sowohl gedanklich als auch sprachlich. Der Autor nimmt dabei keine Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen oder weltanschauliche Empfindlichkeiten. Zum Beispiel bezeichnet er die Position der Neuen Atheisten nicht nur als naturalistisch, sondern als materialistisch. Bis wir etwas Neues entdecken, können wir davon ausgehen, dass außer Materie nichts existiert. Nun ist „Materialismus" ein Begriff, der aufgrund seiner durchs Christentum geprägten Assoziationen mit Geldgier und Egoismus gemeinhin von Naturalisten vermieden wird, aber im Grunde hat Stenger natürlich recht und wir sind Materialisten (im philosophischen Sinne). Wie schon der Begriff „Hedonismus“ soll nun auch der „Materialismus“ zurückerobert werden.
Stenger lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Neuen Atheisten keine Szientisten sind, also meinen würden, es genüge, die gesamte Welt alleine mit Hilfe der Naturwissenschaften zu beschreiben: „Atheisten würdigen die Schönheit der Kunst, Musik und Poesie ebenso wie Gläubige, genau wie die Freuden der Liebe, der Freundschaft und der Elternschaft, wie auch andere menschliche Beziehungen. Wir lieben das Leben sogar noch mehr als der Gläubige, weil es alles ist, was wir haben.“
Auf Beliebtheit scheint es Victor Stenger nicht gerade abgesehen zu haben, wenn er vor jedes Kapitel ein provokantes Zitat stellt, etwa vom griechischen Philosophen Heraclitus („Religion ist eine Krankheit“) oder vom klassischen Aufklärer Denis Diderot („Die Menschen werden niemals frei sein, ehe nicht der letzte König in den Eingeweiden des letzten Priesters erstickt wurde“). Man bekommt den Eindruck, dass dieses Buch in erster Linie für Atheisten und Agnostiker geschrieben wurde – und die möchte Stenger von der neuen Richtung überzeugen. Doch es geht um mehr als das.