Radikalisierungsprozesse junger Muslime

(hpd) Der Soziologe und Terrorismusforscher Peter Waldmann fragt in seinem Buch „Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden“ nach den Gründen dafür, warum sich bestimmte muslimische Migranten im Westen mitunter gewalttätig gegen ihre Aufnahmegesellschaften wenden.

Auch wenn er nicht eine häufig gewünschte „runde Antwort“ liefert, enthält sein Buch wichtige Anregungen und Erklärungsansätze, Hypothesen und Typologien.

„Warum wenden sich muslimische Migranten im Westen gegen ihre Aufnahmegesellschaften und greifen sie zum Teil gewaltsam an?“ (S. 9). Diese Frage formuliert Peter Waldmann als zentrale Problemstellung seines neuesten Buchs „Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden“. Der Soziologe, der lange als Professor an der Universität Augsburg lehrte, gilt als renommierter Terrorismus-Experte. Diesen Ruf erwarb er sich nicht durch TV-Interviews mit dramatisierenden Untertönen, sondern durch differenzierte Analysen politischer Gewalttaten. Insbesondere sein Ansatz, Terrorismus auch als Kommunikationsstrategie zu deuten, brachte die Forschung in diesem Bereich weiter. Auch die neueste Studie bedient sich eines integrierten Ansatzes, um die unterschiedlichen Ebenen bei der Aufschlüsselung und Erfassung von Radikalisierungsprozessen junger Muslime zu unterschieden. Es geht um die Mesoebene der Diasporaexistenz, die Mikroebene individueller Entwicklungsprozesse und die Makroebene der Migrationspolitik.

Entsprechend gliedert sich auch das Buch in drei große Teile mit neun Kapitel auf: Zunächst geht es darum, die Radikalisierungsprozesse junger Muslime im Lichte ihrer Diaspora-Erfahrungen und –Verarbeitungen zu analysieren. Waldmann nimmt dabei wichtige Unterscheidungen von Radikalisierungsformen vor und betont den Stellenwert von Religiosität im untersuchten Entwicklungsprozess. Der zweite Teil nimmt dann die Radikalisierungsprozesse bezogen auf die individuelle und kollektive Dimension ins Visier. Hierbei geht es um Krisen- und Neugeburts-Wahrnehmungen sowie den Gruppendruck entsprechender Cliquen. Und schließlich widmet sich der Autor noch dem Kontext von Migrationspolitik und Radikalisierung, wobei ein problemorientierter Vergleich von vier europäischen Ländern und allgemein Europas mit den USA vorgenommen wird. Im Anhang des Bandes findet sich noch ein kurzes Portrait von Peter Waldmann mit einer Würdigung des Gewalt- und Terrorismusforscher durch den Soziologen Peter Imbusch.

Keine monokausalen Erklärungen

„Radikalisierung in der Diaspora“ enthält keine monokausalen Erklärungen. Waldmann macht deutlich, „dass es nicht einen Tätertypus und nur eine Ausgangskonstellation gibt, die zur unversöhnlichen Ablehnung des Westens führt, sondern ganz unterschiedliche Prädispositionen und situative Umstände dafür verantwortlich sein können“ (S. 12). Mit anderen Worten: „Ob Radikalisierungsprozesse stattfinden und sich zu Gewalttaten hochschaukeln oder beides vermieden werden kann, ist ... auch zufallsbedingt ...“ (S. 191). Gleichwohl lassen sich bestimmte Bedingungsfaktoren ausmachen, welche in einer Kombination und einem Wirkungsverhältnis miteinander zu einem Radikalisierungsprozess hin zu islamisch motivierten Gewalttaten führen können: die fehlende Integration in die Diasporagesellschaft und deren islamistische Deutung, die persönliche Krise und soziale Neuorientierung, die Migrationspolitik der Aufnahmeländer und die dortigen Entfaltungsmöglichkeiten für den Islam und die Muslime.

Wer in dem Buch eine abgerundete Kernaussage im Sinne von „Islamist wird man wenn Faktor A und B aufeinandertreffen“ erwartet, dürfte nach der Lektüre enttäuscht sein. Dies liegt dann aber nicht am Unvermögen des Autors, solche Gesichtspunkte zu benennen. Es liegt an der Komplexität des untersuchten Phänomens. Allzu sehr unterscheiden sich die einzelnen Akteure und Zusammenhänge, gleichwohl können auf einer mittleren Ebene Wirkungskontexte ausgemacht werden. Dafür liefert Waldmanns Analyse wichtige Ansätze und Reflexionen. Mitunter werfen seine Ausführungen mehr Fragen auf denn sie Antworten geben. Der Soziologe liefert aber wichtige Ansätze und Perspektiven für die Forschung, wofür seine Aufarbeitung der Erkenntnisse aus dem Ausland ebenso stehen wie die Typologien für unterschiedliche Akteure des islamistischen Terrorismus. Die Frage des Untertitels „Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden“ bleibt somit unbeantwortet. Waldmann liefert aber wichtige Anregungen für solche Antworten.

Armin Pfahl-Traughber

Peter Waldmann, Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden, Hamburg 2009 (Murmann-Verlag), 248 S., 16 €