Chauvinismus der Nordhalbkugelbewohner

OLDENBURG. (hn/hpd) Zitate von Richard Dawkins werden meistens auf religionskritischem Terrain benutzt, neben Aussagen, die das Berufsfeld Richard Dawkins betreffen: die Evolutionsbiologie. Ganz selten oder vermutlich gar nicht werden seine Aussagen im Kapitel „Natürliche Selektion als Bewusstseinserweiterer“ besprochen. (*) Vier atheistische Humanisten haben das jedoch begonnen.

Fähigkeit zu Humanität, Menschlichkeit und Kooperation: Von Joachim Bauer hören und lesen wir in seinen Werken vom „kooperativem Gen“ und von der Aussage, dass wir Menschen von Natur aus kooperieren auf dem Prinzip Menschlichkeit. Auch deshalb behauptet Joachim Bauer, Richard Dawkins mit seinen Vorstellungen des „egoistischen Gens“ widerlegen zu können und vieles der Lehren von Darwin für überholt zu halten.

Die Macher des Weblogs „Compass1492“ - vier Mitwirkende (atheistische Humanisten) plus Interessierte, früher berufspraktisch per „Ärmelhochkrempeln“ auf allen Kontinenten zuhause als Seemann, Entwicklungshelfer oder Auslandslehrer oder sonstwie -, sind da eher skeptisch gegenüber Bauers Thesen und bejahen die für sie traurige Erkenntnis, dass auch zu viele Deutsche mit dem unbewusstem „Nordhalbkugelbewohner-Chauvinismus“ (Richard Dawkins) behaftet sind und dieses „Virus“ in die Welt hinaustragen. Die meisten Nordhalbkugelbewohner kooperieren nicht auf dem Prinzip Menschlichkeit mit den meisten Bewohnern der Südhalbkugel, weder "kooperativ-genetisch" von Natur aus, noch durch Memplex, hauptsächlich dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten aus Sozialisierung, Erziehung, Einstellung."Compass1492" möchte wesentlich bürgerrechtlich humanistisch wirken zu einer Kooperation auf dem Prinzip Menschlichkeit.

Diesem Inhalt und vielen anderen Themen widmet sich das kleine Team der „Schreibwerkstatt Compass1492“ mit dem eigenen Weblog ab 2007.

Richard Dawkins stellt sich gemäß Science – Fiction – Raumschiff – Klischee vor, dass Astronauten schon mal von Heimweh sprechen und damit den Frühling assoziieren, der wohl gerade zur Zeit die aktuelle Jahreszeit auf der Erde sei, wenn sie jetzt heimkehren würden. Keine Vorstellungskraft? … und dass jetzt schon strengster Winter statt noch Herbst in Patagonien wie Süd-Argentinien oder Chile herrscht? Der „unbewusste Chauvinismus der Bewohner der Nordhalbkugel unseres Planeten“ sei einfach „zu tief verwurzelt“ (Dawkins), dass solche Aussagen gemacht würden. Und Richard Dawkins überlegt, dass man auf der Nordhalbkugel bewusstseinserweiternde Erfahrungen machen könnte, wenn man Landkarten in den Klassenzimmern hätte, die Australien und Neuseeland „oben“ zeigten. „Tag für Tag würden die Kinder daran erinnert, dass „Norden“ eine willkürliche Bezeichnung ist, die kein Monopol auf das „Obere“ hat“.

„Compass1492“ hält das Jahr 1492 für sehr bedeutend und möchte diesem Datum mehr Gewicht verleihen. 1492 erscheint der erste Globus. Der Konstrukteur – ein Deutscher mit Namen Martin Behaim – entscheidet 1492, was geographisch „oben“ und „unten“ ist. Auf seinen Globus setzt er Europa auf die obere Seite, so bildet Europa die obere Welthalbkugel. Schon seitenverkehrt? Sicherlich schon durch Memplex und weiterem Sozialisationskomplex selbst als Seefahrer beeinflusst entschied er, dass die Europäer „ihr Europa“ gut einsehen könnten. Stellen wir uns das bildlich vor: Der nicht zu große Globus steht auf dem Tisch, wir betrachten ihn von oben (Norden). Am Nordpol (oben) und Südpol (unten) ist die Verankerung des Stativs vom Globus. Die Nordhalbkugel wird deutlich ohne Mühe oder Anstrengung der Betrachtung sichtbar, vielleicht verstärkt durch optimale Lichtquellen. Suchten wir auf dem Globus Tansania, Sambia, Angola, Zaire, Paraguay oder Neuguinea, müssten wir uns eventuell in gymnastischer Kniebeugeübung bücken oder von „oben herabsehen“, wenn wir uns nicht nach „unten“ neigten oder nicht den Globus in die Hand nähmen und ihn nach oben heben würden. War wohl alles zunächst verständlich aus Martin Behaims Sicht, weil europäische Seeleute eben überwiegend in europäischen Gewässern „herumschipperten“.

Artikelverfasser von Compass1492 – z. T. früher selbst Seeleute auf Weltmeeren – wissen, wovon sie reden: Auf deutschen Schiffen noch mit fast nur deutscher Schiffsbesatzung war in den 60iger Jahren nicht selten unter der Crew zu hören: „Wir fahren nach „unten“ zu den Kanakkern, da „unten“ ist es so eklig schwül und heiß, und noch weiter „runter“ ist alles korrupt, endlich geht`s „rauf“ in den zivilisierten Norden… die da „unten“ ticken doch nicht sauber“.

„1492 entdeckte Christoph Kolumbus Amerika, obwohl Wikinger schon vor ihm dort waren. Und das erste große Völkermorden setzte ein im “perfektionierten” Vernichtungsstil von Europäern an Nichteuropäern auch mit Waffen, die den Ureinwohnern unbekannt waren.“ Die von da „oben“ begannen die da „unten“ zu beherrschen. „Da „bockige und sture“ oder „uneinsichtige“ Ureinwohner sich nicht christlich missionieren lassen wollten, versuchten es die Gehilfen der Christenherren dann auch schon mal mit Alkohol, sie gefügig zu machen“, so die saloppe Ausdrucksweise bei Compass1492, mal im satirischen Stile von „oben“ herab… „…und weil Arbeitskräfte zum großen Rohstoffabbau und Goldklau aus dem Atzteken- und Inka-Reich fehlten, konnte aber reichlich “abgeholfen” werden durch den ersten großen Massenimport an „Rohstoffen“ aus Afrika: Schwarzafrikaner als Sklaven, Menschenverachtung, Rassismus pur. Es folgte ein unendliches Leid vieler Menschen in die Ausweglosigkeit…“. Die Inhumanisierung durch Verdinglichung des Menschen durch Menschen setzte im großen Stile ein. Und deshalb glaubt Compass1492, dass die Globalisierung schon 1492 begann und nicht erst in jüngster Geschichte, eine Globalisierung der weltweiten merkantilen Verflechtung und des Kulturexports. Die seefahrenden Europäer ab dem 15. Jahrhundert importierten zunächst Gewürze, Tropenhölzer, viel später Kautschuk und „exportierten“ das Christentum und im Falle Lateinamerikas die Spanische Sprache, die dann etliche Sprachkulturen zunächst „erstickte“ bis zur bescheidenen „Wiederbelebung“.

1492 begann der „Hegemonialtrend“ der Europäer zu „Weltmächten“ wie die Länder Spanien und Portugal. Die katholische Kirche half ihnen enorm. Der „Hegemonieboom“ wurde imperialistisch durch die Weltmacht England fortgesetzt, im Osten durch Russland in Richtung Sibirien, Holländer in Indonesien verstärkt, Franzosen, Deutsche und Belgier in Afrika hauptsächlich. Aber auch arabische Eroberungen mit dem Verbreiten des Islam fanden weite Ausdehnungen bis hin zur Südhalbkugel nach Indonesien. Arabische Eroberungen in Spanien wurden allerdings 1492 durch die spanische Reconquista beendet.

„Compass1492“ nutzt die bildhafte Sprache, um die Dawkinsche Feststellung des „unbewussten chauvinistischen“ Bewusstseins einer Nordhalbkugel-Herren-Mentalität (hat er nicht gesagt, vielleicht gemeint) zu verdeutlichen und anzuklagen:

Nach „Compass1492“ gilt es zu helfen, die Kräfte und das Selbstbewusstsein der Südhalbkugelbewohner zu mobilisieren. Warum sollen die Erdnusspreise der Erdnüsse aus Paraguay an der Wallstreet-Börse festgelegt werden? Warum sorgen die Nordhalbkugelbewohner nicht für Durchlässigkeit der Fair-Trade-Märkte, damit die Südhalbkugelbewohner sich auf den Weltmärkten behaupten können? Die südamerikanischen Präsidenten Chavez und Morales und etliche sind dabei, eine NATO des Südens zu installieren, als Akt der Selbsthilfe oder des Heimatschutzes? Vor neuer Nordkugelbewohner-Invasion? (Amerikanisierung/Europäisierung der Welt?)

„Compass1492“ glaubt, dass das Jahr „1492“ eine Art „Mahnmal“ bleiben muss, wider das Vergessen, erinnern an den Beginn des Völkermords an den Vorfahren Amerikas und der Versklavung Afrikas, aber auch deshalb, weil das Mittelalter abgelöst wurde und ab dieser Zeit landweit und weltweit wesentlich durch Handel kommuniziert wurde. Allerdings darf nach der wahren Darstellung der Geschichte nicht vergessen werden, dass die relativ hoch entwickelten Völker der Inkas, Mayas oder Atzteken ebenso Völkermord betrieben hatten vor 1492. Aber das eine entschuldigt nicht das andere. Ein spanischer Bürger im näheren Bekanntenkreis war kürzlich in Südamerika sehr empört darüber, dass er von indianischer Seite zu oft hörte von der spanischen Ausbeutung Lateinamerikas, die „Spanier, die Schlächter, Ausbeuter, Konquistadoren…. Dieser Spanier – Jahrhunderte nach den Eroberern Francisco Pizarro und Hernán Cortés geboren – glaubt nicht an Erbschuld oder dergleichen, ebenso wenig wie ein 20 ig jähriger Deutscher Anfang 2000 an der uruguayischen Grenze, der mit „Heil Hitler“ begrüßt wird. Das letzte ist ein extrem seltenes Ereignis, zur Beruhigung der Uruguay-Liebhaber.

„Compass1492“ berichtet auch, dass das Globus-Denk-Modell von „Oben“ und „Unten“ aktuell z. T. so nicht mehr stimmig ist bezogen auf die o. g. Nord- und Südhalbkugel-Anschauung. Was das Nord/Süd-Gefälle angeht behaupten sich Brasilien, Argentinien und Indonesien als Südhalbkugel-Staaten ernstzunehmend weltweit neben Australien und Neuseeland, die schon lange nach Teil-Ausrottung der Urbevölkerung mit Nordhalbkugelbewohnern gleichgesetzt wurden. Nach Compass1492 gibt es eine weiteren „Chauvinismus der Nordhalbkugelbewohner“ neben der vertikalen Kompassbetrachtung von oben/unten auch im horizontalen des Koordinatensystems vom Kompass: The West for the Rest! – Dieser Haltung sagt Compass1492 den Kampf an: East and South like North and West! Und empfiehlt, schon mal den Richard Dawkins Vorsatz umzusetzen: Neuseeländische oder australische Weltkarten in die Klassenzimmer mit der Wechseldarstellung von Nord- und Südhalbkugel. Sollte die Weltkartenbestellung auf sich warten lassen, empfiehlt Compass1492 bis zur Lieferung seine webeigene Neue Weltkarte.

Hasso Bensien

(*) Der Gotteswahn, Berlin 2007, ab Seite 158