Der Islam braucht eine sexuelle Revolution

Eigener muslimischer Weg der sexuellen Revolution

Seyran Ates tritt aber dafür ein, dass die muslimische Gesellschaft einen eigenen Weg der sexuellen Revolution finden muss. Ein blindes Kopieren des westlichen Vorbildes lehnt sie strikt ab. Ihrer Meinung nach vertreten westliche FrauenrechtlerInnen oft eine Auffassung, die von einer unpassenden Toleranz geprägt ist. „Denn von einem freien Willen im Hinblick auf die Befolgung religiöser Regeln kann in den meisten Fällen gar nicht die Rede sein. Dafür müsste der Islam den freien Willen als Erziehungsziel überhaupt erst anerkennen.“ (Seite 126)

Doch auch muslimischen Frauenrechtlerinnen, die die Meinung vertreten, eine „richtige“ Auslegung des Korans würde genügen, um eine bessere Welt für beide Geschlechter zu schaffen, tritt sie entgegen und meint, dass diese nicht die dazu dringend notwendige Trennung von Staat und Religion fordern.

Was dann sehr überrascht, ist, dass Seyran Ates ein Kapitel auch der Bürde widmet, dass die Sexualmoral, die die Frauen unterdrückt und den Männern (scheinbar) jede Freiheit lässt, auch den Männern auferlegt ist. Sie ist der Meinung, dass das Sexualleben der Männer genauso fremdbestimmt ist wie das der Frauen. „Die ständige Berieselung mit dem Thema Sex, die ständige Betonung, wie potent er sein, wie wenig er seine Triebe kontrollieren könne, setzen den Mann unter Druck.“ (Seite 135)

Missbrauch von Kindern

Im Weiteren spricht sie dann etwas aus, das auch für den Westen zu einem Tabu geworden ist, wenn er über islamische Gesellschaften nachdenkt: dass dort der Missbrauch von Kindern legal sein kann. „Im Iran zum Beispiel beträgt das Mindestalter für die Eheschließung bei Mädchen dreizehn Jahre...“ (Seite 149) Man muss sich vorstellen, dass dieses Heraufsetzen auf 13 Jahre bereits als Erfolg gefeiert wurde; gab es doch bereits Hochzeiten 9-jähriger Kinder. Diese werden oft mit viel älteren Männern verheiratet. Und da diese das „Recht“ auf ehelichen Geschlechtsverkehr haben, Ich muss das nicht ausweiten: wir nennen das Pädophilie; im Islam wird das von Mullahs abgesegnet.

Homophobie des Islam

Seyran Ates berichtet auch über gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen; die im Islam verboten (und teilweise mit dem Tode bestraft werden), jedoch natürlich – wie überall auf der Welt –, gelebt werden. Homosexualität wird als Krankheit betrachtet, als heilbare Krankheit (und nicht als sexuelle Identität) – hier allerdings muss man leider sagen, beginnt auch im Westen neuerdings wieder die eine oder andere fundamentalistische Gruppierung, diese unwissenschaftliche, aber moralische Irrlehre zu verbreiten. Im Iran wird zum Beispiel die Existenz homosexueller Menschen geleugnet (und mit staatlich legitimierten Geschlechtumwandlungen alles in seine vermeintliche Ordnung gebracht). Dennoch wurden und werden Homosexuelle dort allein aufgrund ihrer Homosexualität zum Tode verurteilt.

Die Macht der ungelebten Sexualität

Ates verweist bereits in dem Spiegel-Interview darauf, dass sie sich an den Schriften von Wilhelm Reich orientiert. Und so wie jener bereits 1945 darüber schrieb, dass es eine Perversion der körperlichen Liebe bedeutet, dass Menschen heiraten müssen, nur um Sexualität zu leben, so sieht Seyran Ates die jungen Muslime heute vor dem gleichen Problem. Sie ist der Auffassung, dass die sexuelle Revolution im Westen ans Tageslicht brachte, wie sehr „die gelebte und nicht zuletzt die ungelebte Sexualität eine Gesellschaft prägen.“ (Seite 180) Diese Gesellschaften sind im Innersten krank, weil verlogen. Diese Gesellschaften halten weder mit dem wissenschaftlichen noch mit dem industriellen Fortschritt mit. Das können sie unter anderen – nach Seyran Ates – nicht, weil sie viel zu viel ihrer Energie darin stecken, gegen die menschliche Natur angehen zu wollen und die Sexualität der Menschen beobachten, werten und unterdrücken. Andererseits nutzen die (reichen) Muslime sehr gern die Technik des Westens.

Auf der wirklich letzten Seite des Buches versichert sie, eine gläubige Muslima zu sein. Doch sagt sie auch: „Ich bin der Ansicht, wenn Allah gewollt hätte, dass Frauen ihre Haare verhüllen, dann hätte er uns keine Haare gegeben ... Wenn er gewollt hätte, dass Frauen schweigen, dann hätten wir keine Zunge.“ (Seite 197)
Ich wünsche ihr, dass sie ihre Zunge weiterhin benutzt und nicht schweigt. Dass das Buch viel und oft gelesen und begriffen wird: als Plädoyer der Aufklärung und der Menschlichkeit.

Frank Navissi

Seyran Ates: Der Islam braucht eine sexuelle Revolution – Eine Streitschrift, 219 Seiten, Hardcover, Ullstein Buchverlag, Berlin 2009, 19,90 Euro.