„Los von der Kirche!“

BERLIN (hpd) Es geht um Adolph Hoffmann, den „Zehn-Gebote-Hoffmann“, und seinen bevorstehenden 150. Geburtstag.

Es scheint für diesen unbequemen und noch dazu gottlosen Sozialisten und Preußischen Kultusminister a.D. keine offiziellen Ehrungen derjenigen zu geben, die dafür maßgeblich in Frage kämen, die Berlin-Brandenburger Staatsregierungen, wenigstens die für Kultur zuständigen Minister bzw. Senatoren, vor allem aber die beiden Nachfolgeparteien der deutschen Arbeiterbewegung, die SPD und Die LINKE. So sind es wieder einmal die eher bescheiden zu nennenden Veranstaltungen freidenkerischer und humanistischer Organisationen, die Adolph Hoffmann ehren. Die Humanistische Akademie Berlin lädt am 15. März 2008 zu einer Tagung und zu einer Bus-Tour.

Mögliche Gründe für den Mangel an Ehrung

Es mag der etablierten Geschichtswissenschaft lediglich als normales Desiderat gelten, aber es ist ein wissenschaftspolitischer Skandal, dass es bisher nicht dazu kam, über Adolph Hoffmann eine ordentliche, d.h. historisch-kritische Biographie herauszugeben und Forschungen dazu zu finanzieren.

Die fehlende Forschung zu Adolph Hoffmann (23. März 1858 - 01. Dezember 1930; Pseudonym: J.F.A. Volkmann) hat sicher mehrere Gründe. Man mag sie erstens in seiner wechselvollen Biographie selbst suchen: ein außereheliches Armeleutekind, das sich von unten auf hocharbeitet. Er hat sich als Schiffsjunge, Holzfäller, Korbmachergehilfe, Laufbursche, Kunstmaler und Vergolder und gelernter Graveur durchgeschlagen und vom Hausierer zum Kolporteur mit Büchern und Zeitschriften zum Buchhändler und Verleger (seit 1893) entwickelt. 1873 (mit 15 Jahren) tritt er der Freireligiösen Gemeinde Berlin bei, 1893 wird er Zweiter und 1913-1926 ist er Erster Vorsitzender. Als Freidenker bekannt seit der Gründung des DFV 1881, an der er teilnimmt. Später Publizist und Politiker (1902/1906, 1920/24 MdR; 1908/21, 1926/30 MdL; 1900/21 Stadtverordneter), Kriegsgegner; Sozialdemokrat seit 1876, zwischenzeitlich Kommunist (1920/21). Der Ehrenplatz im Rondell auf dem Berliner Sozialistenfriedhof steht ihm berechtigt zu.
Zu den Sperrigkeiten seines Lebenslaufs gehört, dass er ein bekennender Freigeist und abstinenter Nichtraucher war, der dem letzten SPD-Parteitag (1913) vor dem ersten Weltkrieg zum Schluss, als alle schon nach Hause wollten, vom Podium aus seine spezielle Pointe aufzudrücken versuchte: Nachdem die Genossen schon 1903 das Schnapsverbot nur widerwillig hingenommen hatten, sollte nun auch noch auf Bierausschank und Tabakgenuss verzichtet werden. So nüchtern wollte die Sozialdemokratie damals dann doch nicht sein, so kriegsbesoffen viele dann auch waren, als es ab August 1914 um die Kriegskredite ging. Adolph Hoffmann sah sich als Pazifist (noch ein Erbe-Aneignungs-Verhinderungsgrund?) redete öffentlich für den Januarstreik 1918 (vgl. Bild in pdf Hoffmann Rede Januarstreik; alle Bilder innerhalb der pdf’s sind der Broschüre von Gernot Bandur aus dem Jahr 2000, s.u., entnommen).

Gründe für die Nichtforschung liegen zweitens auch darin, dass Hoffmann als Emporkömmling, wie ihn die hochwohlgeborene Elite sah, sich überall versuchte und dilettierte, wo die selbsternannten „Kulturträger“ der Nation ihr Revier sahen. Er wollte aber gar nicht ihnen, sondern Arbeitern ein belletristischer Historiker („Hoffmann’s Erzählungen“, 1928) und blumiger Dichter („Spätherbstblüten“, 1925) sein. Tatsächlich brillierte Hoffmann als humoriger Episodenerzähler und Anwender manchen Bibelspruchs, wenn es um politische Plakate während des Sozialistengesetzes ging.

In „Die Zehn Gebote und die besitzende Klasse“ hatte er gedichtet:

„Kein Himmel wird das Heil Dir senden,
Es fällt aus keines Gottes Schoß,
Die Menschheit muss mit eig`nen Händen
Erkämpfen sich ein bess`res Los.“

Hoffmann war durchaus in der Lage, seine politischen Gegner lächerlich zu machen:
1908 im Preußischen Landtag. Hoffmann sprach in seiner Jungfernrede zum Reizthema „Los von der Kirche!“. Er verwechselte er des Öfteren „mir“ und „mich“. Die Konservativen hänselten ihn. Aber Hoffmann konterte und rief in den Saal: „Ich, meine Herren, verwechsele zwar manchmal mir und mich, Sie aber immer , Mein` und ,Dein`.“ Ergebnis: Betretenes Schweigen im Saal, drei Ordnungsrufe und Wortentzug.
Die Hemmnisse, Adolph Hoffmanns Leben wissenschaftlich aufzuarbeiten, liegen wohl drittens wirklich im Roman dieses Lebens selbst, im stets strittigen Urteil über seine theoretischen wie praktischen und vor allem politischen Werke. Sozialdemokrat und Kommunist gewesen zu sein – das würde ja noch angehen. Dass ihn Walter Ulbricht 1958 auf einem Parteitag der SED als Kronzeuge aufrief für seine „10 Gebote der sozialistischen Moral und Ethik“ und als Erfinder der Jugendweihe pries – geschenkt.

„Ausmister“ – nicht Minister

Welche der beiden roten Parteien würde sich heute noch zur wirklichen Großtat dieses umtriebigen Atheisten und Humanisten öffentlich bekennen wollen – zu seiner derart rigorosen (und dann teilweise in der Weimarer Reichsverfassung gemilderten) Trennung von Staat und Kirche in der Revolution 1918/19, dass ganz im Westen vor Weihnachten 1918 sogar deswegen mit der Abtrennung vom Reich gedroht wurde. Das waren Zeiten!
Wer heute wissen will, was das Grundgesetz unseres Landes zum Verhältnis von Staat und Kirche sagt, wird verwiesen auf die unserer Verfassung angehängten (inkorporierten) Artikel eben dieser Weimarer Reichsverfassung. Artikel 140 GG lautet

„Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“

Deren Kern ist das Werk dieses Adolph Hoffmann, nicht die Formulierung im Detail, aber die Schaffung sozialpolitischer Tatsachen, welche die Staatsverfassung dann zusammenzufassen hatte – und wie sie wesentlich durch diesen Adolph Hoffmann (gemeinsam mit Konrad Haenisch als Co-Kultusminister) per Revolutionsdekret vollzogen wurden: das Ende der Staatskirche, die Beendigung der Pflichtigkeit von Religionsunterricht, die Gewissens-, Glaubens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Freiwilligkeit der religiösen Eidesformel, die Weltlichkeit des Schulwesens, Kostenfreiheit des Kirchenaustritts (oft heute zurückgenommen) – und besonders die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen (noch immer Verfassungsauftrag!).

Wie bezeichnete sich Hoffmann selbst, als ihm als Preußischer Revolutionsminister 1918/19 die Beamten dienstbeflissen entgegen kamen, besser und viel teurer gekleidet als er selbst? Man möge ihm doch bitte Körbe für die alten Akten bringen, nicht Minister sei er, sondern „Ausmister“.

Veranstaltung der Humanistischen Akademie

Diesem Adolph Hoffmann, würdig einer großen wissenschaftlichen Konferenz, berühmt durch seine legendären Schriften „Die zehn Gebote und die besitzende Klasse“ (1891) – was ihm den Spitznamen „Zehn-Gebote-Hoffmann“ eintrug (vgl. pdf Titelblatt 10 Gebote im Anhang) – und „Los von der Kirche!“ (1908) – was der ersten großen Kirchenaustrittsbewegung 1910 die Losung gab –, widmet die Humanistische Akademie Berlin eine Woche vor seinem 150. Geburtstag ein kleines Kolloquium und eine ebenfalls bescheidende „Adolph-Hoffmann-Bustour“.

Die Akademie würdigt zugleich den wichtigsten Historiker, der über diesen freidenkerischen Sozialisten gegen Widerstände aller Art gearbeitet hat, zuletzt den Altersschwächen des eigenen Körpers ausgesetzt, die ihn haben nahezu erblinden lassen: Gernot Bandur. Er muss leider der Tagung fern bleiben. Aber der Tagung und der Öffentlichkeit liegt seine umfängliche Studie vor (siehe pdf im Anhang: Gernot Bandur - Adolph Hoffmann : Gernot Bandur), Redaktion im Auftrag der Humanistischen Akademie: Dr. Eckhard Müller. In sie sind Passagen (z.T. stark verändert) einer im Jahr 2000 erschienenen Broschüre eingegangen (s. pdf Vulkan im Anhang), die Bandur in geringer Auflage im Selbstverlag veröffentlichte.
Das Programm der Tagung „’Los von der Kirche!’ Staat-Kirche-Trennung in Deutschland und humanistische Kulturbewegung“ mit „Adolph-Hoffmann-Bus-Tour“ und Anmeldeformular sind als pdf-Dateien in der Anlage zu finden.

Wer kauft Hoffmanns ehemaliges Wochenendhaus „Waldesfrieden“?

Das ehemalige Wochenendhaus „Waldesfrieden“ von Adolph Hoffmann (Schillerstr. 29 in 15378 Fredersdorf-Vogelsdorf im Landkreis Märkisch Oderland nahe Berlin) steht seit Längerem zum Verkauf an (siehe aktuelles Foto von Adelheid Teichmann in der Anlage).
Hier war noch bis 1990 (siehe pdf Haus mit Tafel im Anhang) eine eigenhändig von Hoffmann angebrachte Tafel an der Hausfront zu besichtigen, deren Text lautete:

„Mit Trinken, Spielen und Rauchen
Kann man viel Geld verbrauchen.
Spart man daran, pro Woche drei Mark,
spricht mancher, das ist ein rechter Quark.
Ich hab´s mir 50 Jahre getraut
und davon Waldfrieden gebaut.
Adolph Hoffmann
Erbaut 1906-1923.“

Im Haus befand sich bis zur „Wende“ eine Kinder- und Jugendeinrichtung. Adolph Hoffmann hatte diesen Verwendungszweck in seinem Testament verfügt. Die Erbin Charlotte Manthe ist inzwischen verstorben. Über deren Erben ist nichts öffentlich bekannt. Der Sohn Adolph Hoffmanns, Arthur Hoffmann, war 1945 bis ca. 1947/48 Bürgermeister von Petershagen.

Aus dem Gebäude könnte ja eine „Adolph-Hoffmann-Gedenkstätte“ werden. Wenn es dazu einer behördlich-kameralistisch einprägsamen Begründung zur Aufbringung der Finanzen bedarf: Er war Preußischer Kultusminister, auch wenn er in der Wiki-Liste leider noch fehlt.

Horst Groschopp

Titelbild: Relief von Martin Meyer-Pyritz, Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde „Gedenkstätte der Sozialisten“