FRANKREICH. (lp/hpd) Auf dem Hintergrund der aktuellen Kyoto-, Kopenhagen- und Davoseuphorie setzt sich die Libre Pensée (französische Freidenkerorganisation) in der letzten Ausgabe ihrer Zeitschrift kritisch mit den theoretischen Grundlagen der ökologischen Krisendiskussion auseinander.
Eine interpretierende Besprechung des Artikels „Nachhaltige Entwicklung“ (Développement durable) in der Zeitschrift „L’idée libre“, Nr. 287 von Dezember 2009.
Danach sind die prinzipiellen Fundamente der Anhänger der Klimakatastrophe religiösen Ursprungs und der ganzen ökologischen Bewegung drohe die Gefahr der Mythologisierung. Ausgangspunkt dieser Argumentation ist die angebliche Verbindung zwischen den Prinzipien der Enzyklika Rerum Novarum des Papstes Leo XIII und ihrer nachfolgenden Enzyklika einerseits und der These der nachhaltigen Entwicklung andererseits.
Die maßgebenden päpstlichen Offenbarungen sehen die Ungleichheit der Menschen als eine natürliche, ja göttliche Notwendigkeit, da auch das Privateigentum, mit den ihr adäquaten Verhaltensweisen, der Natur konform bzw. es ein natürliches Recht der Menschen ist. Die heute auch durch die Kirchen festgestellten ökologischen Gefahren können also nicht aus diesem gesellschaftlichen System entspringen, sondern sind das Resultat der diesem System zuwiderlaufenden Handlungen des individuellen Menschen. Es ist die individuelle Gier der Überkonsumtion aller Menschen, welche die Erde, die Schöpfung Gottes, bedroht. Fazit: Es ist die Aufgabe aller sozialen Schichten auf der ganzen Welt diese Schöpfung zu retten.
Diese Thesen der katholischen Kirche basieren natürlich auf noch viel älteren Glaubensbekenntnissen. War doch die Verbannung aus dem Paradies und die damit einhergehenden Zwangsverpflichtungen des Menschen bereits zu verstehen als die Konfrontation der urmenschlichen Glücks- und Wissensbestrebungen mit ihrem durch Gott als endlich geschaffenen Umwelt (… verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang …). Die Ökologen von heute finden dabei, als historische Brücke zu Moses, den Pfarrer Malthus, der bereits im 18. Jahrhundert die Lehre von der göttlichen Endlichkeit der Erde benutzte, um daraus seine berüchtigte Überbevölkerungs- und Überkonsumtionsthesen zu basteln. Eine neue universelle Schuld gegenüber Gott wurde somit kreiert, die aber anders als die Ursünde, durch entsprechendes Handeln entschuldet werden kann und muss: die demografische Blockade und die Reduktion der Konsumtion. Der Atheist Marx roch sofort den Braten und zerriss den mythologischen Schleier seines Kontrahenten, indem er nachwies, dass die Überbevölkerung und –konsumtion nicht durch eine irgendwie göttlich determinierte Enge der Ressourcen und sexuellen Übereifer der niederen Klassen, sondern durch die eigentumsbedingte Art und Weise der Aneignung, d. h. der Verarbeitung und Verbrauch dieser Ressourcen entsteht.
Die Enzykliken der Ökologen, wie der Meadows Bericht des Club of Rom (1972) oder der sogenannte Brundtlandreport der UNO (1987) und ihre verschiedenen nachfolgenden Dokumente und Entwicklungsprogramme sehen das, bezogen auf die zerstörerischen Verhaltensweisen der Menschen, heute genau so gottesgläubig wie seinerzeit Malthus.
Nicht das durch den Menschen geschaffene und heute vorherrschende ökonomische System mit seinen spezifischen Verhältnissen zwischen den Menschen und zwischen Mensch – Natur ist Verursacher der drohenden Klimakatastrophe, sondern das generelle, sozial- und regional-indifferente Wachstum in einer endlichen Ressourcenwelt. Ergo verlangen sie als Entschuldung gegenüber Gottes Schöpfung die altmalthusianische Entkonsumierung der entwickelten Industrieländer und einen Bevölkerungs- und Konsumstopp in der Dritten Welt. Das universale Nullwachstum ohne politisch relevante Berücksichtigung der sozialen Disparitäten.
Ausgehend vom Subordinitätsprinzip des Thomas von Aquin, der Unterordnung unter Gott, geht es um das Wohl der unteilbaren Erde und es ist nur das kirchliche Subsidiaritätsprinzip zu befolgen. Politisch soll die Wohnungsfrage mit der Verteuerung des sozialen Wohnungsbaus, der Hunger und die Unterernährung mit der Brachlegung von Boden, die Luftverschmutzung mit der Stilllegung bzw. Auswanderung von Industrieunternehmen bzw. mit dem Tausch von Verschmutzungsanrechten, etc. gelöst werden. Die Entschuldung gegenüber Gott bringt so keine neuen Paradiese hervor, sondern bewahrheitet die These von Walter Benjamin, dass der Kapitalismus ein verschuldender Kultus ist, der nicht entsühnend wirkt, sondern auf ewig verschuldet.
In diesem Sinne wirkt die Kopenhagener Ökologisierung à la Merkel nicht anders als einen themenspezifischen Teil des Neoliberalismus. Auch beim Letzteren wird nicht das System als Ganze für die als Finanzkrise firmierte Gesellschaftskrise verantwortlich gemacht, sondern nur das Abweichen der finsteren Finanzmanager von den göttlichen Regeln des kapitalistischen Marktsystems. Auch hier sind nicht wesentliche Ursachen wie z. B. die chronische Arbeitslosigkeit, die Unterkonsumtion der unteren Einkommensempfänger, die Zerstörung der öffentlichen Güter weltweit zu bekämpfen, sondern neue Wege der parasitären Geldvermehrung werden gesucht und inthronisiert.
Die neoliberale Interpretation der Nachhaltigkeit wirkt umso verheerender, da die Überkonsumtion tatsächlich eine Gefahr für die Existenz der Menschheit darstellt. Jedoch nicht im Sinne ihrer oberflächlichen neoliberalen Mainstreamauffassung, sondern als eine der immanenten Elemente des vorherrschenden Wirtschaftssystems. Nicht die Menge an Konsumtion an sich bedroht die großenteils durch Unterkonsumtion zu charakterisierende Welt, sondern die Struktur dieser Konsumtion. Sie wird durch mannigfaltige Instrumentarien so gesteuert, dass sie vorrangig die Reproduktion der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse dient. Sind es doch die Konsumtionspräferenzen, die Art und Weise der Konsumtion die das Verhalten der Massen letztendlich diktiert. Nicht die Nachhaltigkeit im Sinne der Durchbrechung der göttlichen Endlichkeit, der nachhaltigen Entschuldung der Menschheit ist heute ihr Ziel, sondern nur die Rettung der Nachhaltigkeit des Wirtschaftssystems. Nicht ihre Potenziale für die Realisierung der humanistischen Ziele der Aufklärung werden gefordert, sondern nur ihre Möglichkeiten zur Verunendlichung der Zwangsverschuldung gegenüber die Pflicht zur Mehrwertschöpfung. Bei zunehmender Krisenanfälligkeit ist dabei mit noch raffinierten Konsumzwängen zu rechnen.
Wird dieser Kreislauf nicht paradigmatisch durchbrochen, droht uns ein neuer sakraler Mythos mit einem Gott, der als Strafe für unsere „Umwelt-Sünden“ die ganze Welt zerstört. Noch ist Zeit, durch eine Demokratisierung der Konsumsteuerung, umzukehren, doch die Realität der aktuellen politischen Machtstrukturen und Leitbilder lassen das Entstehen eines neuen Gottesstaates realistischer erscheinen.
Übersetzung: Rudy Mondelaers