Religionskritiker II: Neuzeit

Eher unbeabsichtigt wurde der Naturforscher Charles Darwin (1809-1882), der Begründer der Theorie über die evolutionäre Entstehung der Arten, zu einem Religionskritiker. Ursprünglich hatte er Theologie studiert und wollte Landgeistlicher werden, entschied sich dann aber für einen anderen beruflichen Weg. Bereits nach den ersten Forschungsreisen begann Darwin Aussagen der Bibel wie die über Wunder in Zweifel zu ziehen. Im Laufe einer längeren Entwicklung brach der Naturforscher ganz mit dem Christentum, das er auch aufgrund dessen Intoleranz gegenüber Nicht-Gläubigen ablehnte. Entscheidend waren aber die Forschungsergebnisse, wonach die Eigenschaften der Menschen und Tieren auf Anpassungsprozesse an die Natur und nicht auf den Schöpfungsakt Gottes zurückgeführt wurden. Gerade diese Erkenntnis trug Darwin bis heute die Feindschaft religiöser Dogmatiker ein. Darauf reagierte er mit den Worten, er habe die christliche Lehre nicht angreifen wollen, sondern sei nur zu undogmatischen Schlüssen gekommen.

Als anarchistischer Aktivist und Theoretiker lehnte Michael Bakunin (1814-1876) nicht nur den Staat, sondern auch die Religion als Instrument zur Unterdrückung des Individuums rigoros ab. In seiner Schrift „Gott und der Staat“ von 1871 bemerkte er etwa: Wenn Gott existiere, sei der Mensch ein Sklave. Der Mensch könne und solle aber frei sein, folglich existiere Gott nicht. Wenn er wirklich existiere, müsse man ihn abschaffen. Die Idee von einem solchen Wesen galt Bakunin als Abdankung der menschlichen Gerechtigkeit und Vernunft, sie sei die entschiedenste Verneinung der menschlichen Freiheit und führe notwendigerweise zur Versklavung. Zwar wies er mitunter darauf hin, dass im religiösen Glauben auch ein Aufschrei gegen die gesellschaftliche Realität zum Ausdruck komme. Dominierend blieb allerdings die Deutung als Instrument zur Unterdrückung der Massen durch eine herrschende Elite. Diese Sichtweise prägte auch die Anhänger der anarchistischen Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert.

Für den als Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus geltenden Karl Marx (1818-1883) kam der Religion nur ein untergeordneter Stellenwert zu: Zum einen hielt er deren Kritik bereits für abgeschlossen, zum anderen handelte es sich für ihn um ein zweitrangiges Überbau-Phänomen. Bekannt wurde Marx' Bezeichnung der Religion als „Opium des Volkes“, womit er allerdings keine pauschale Verdammung beabsichtigte: Zwar sei sie Ausdruck eines falschen Bewusstseins, das die gesellschaftliche Realität nicht wahrnehme. Gleichzeitig artikuliere sich im Glauben aber der Unmut über die Gegebenheiten im Diesseits, welcher auf eine bessere Welt im Jenseits vertröstet werde. Der Kritik der als Illusion verstandenen Religion müsse daher eine Kritik der sie bedürfenden gesellschaftlichen Grundlagen folgen. Damit ging Marx über die am abstrakten Individuum orientierte Perspektive Feuerbach hinaus und wies allgemein für die Religionskritik auf die gesellschaftliche Bedingtheit des Glaubens hin.

Friedrich Engels (1820-1895) vertrat zwar weitgehend eine ähnliche Auffassung zur Religion wie Marx, er widmete dem Thema in seinen Schriften allerdings größere Aufmerksamkeit. Auch Engels sah im Glauben die phantastische Widerspiegelung von irdischen Gegebenheiten und Mächten. Gleichwohl könne man das Christentum, das immerhin gut 1800 Jahre den weitaus größten Teil der zivilisierten Menschheit beherrscht habe, nicht pauschal als von Betrügern zusammengestoppelten Unsinn erklären. Es komme vielmehr darauf an, die Entstehung und Entwicklung dieser Religion aus den historischen und gesellschaftlichen Bedingungen abzuleiten. So habe sich im Mittelalter das Christentum entsprechend der Entwicklung des Feudalismus ausgebildet und der Protestantismus sei als Abspaltung im Kontext des aufstrebenden Bürgertums entstanden. Somit postulierte Engels ähnliche wie Marx einen engen Zusammenhang von religiöser und sozialer Entwicklung ganz im Sinne ihres Basis-Überbau-Verständnisses.

Als wortgewaltiger Religionskritiker gilt der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) mit seiner Schrift „Der Antichrist“ von 1888. Dort argumentierte er aus der Bejahung von Leben und Natur gegen das Christentum, das ihm als Religion des Mitleids mit den Niedrigen und Schwachen erschien. Im Umkehrschluss sah Nietzsche darin die Abwertung des Höheren und Starken als dominierender und herrschender gesellschaftlicher Elite. Die christliche Religion habe durch Gleichheitsprinzip und Mitleid gegenüber den niederen sozialen Schichten zu dem Aufkommen einer Sklaven-Moral und Niedergang der Kultur maßgeblich beigetragen. Insofern kritisierte und verwarf Nietzsche das Christentum nicht als Religion, sondern als Moral. Zwar finden sich in seinem Werk ähnlich wie bei Feuerbach auch Deutungen des Glaubens als Ausdruck von Selbstentfremdung, sie mündeten aber nicht in einer entwickelten Religionskritik. Dieser Gesichtspunkt wurde in der atheistischen und freidenkerischen Rezeption des Philosophen häufig verkannt.

Als Autor von politischen Kampfschriften bekannt wurde Johann Most (1846-1906), zunächst Reichstagsabgeordneter der deutschen Sozialdemokratie, später Anarchist in den USA. Er veröffentliche 1883 erstmals die Schrift „Die Gottespest und Religionsseuche“, die bis in die Gegenwart hinein immer wieder über neue Auflagen Verbreitung fand. In dem kurzen Text stufte Most die Religion als Form einer Geisteskrankheit ein, wies ironisierend auf die Widersprüche ihrer Aussagen zu den Naturwissenschaften hin und rief zum Krieg gegen die Pfaffen auf. Die ganze Argumentation war stark von Michael Bakunins anarchistischer Religionskritik geprägt und wie diese mit einer Verdammung von Kapitalismus, Parlamentarismus und Staat verbunden. Mosts „Die Gottespest“ stellte auch mehr eine Agitation-, denn eine Aufklärungschrift dar. Wie seine Beteiligung an Kirchenaustrittskampagnen und Gotteslästerungsprozessen veranschaulicht gehörte er mehr zu den Praktikern und weniger zu den Theoretikern der Religionskritik.

Armin Pfahl-Traughber

Religionskritiker I: Antike und Mittelalter (11.3.2010)

 

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