(hpd) Die Soziologin Necla Kelek geht in ihrem Buch „Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam“ auf kritikwürdige Aspekte des Islam in Vergangenheit und Gegenwart ein. Einerseits ist die oberflächliche Darstellung mit problematischen Verallgemeinerungen kritikwürdig, andererseits ist die emanzipatorische Forderung nach befreiender Individualität lobenswert.
Die in Istanbul geborene und in Berlin lebende Soziologin Necla Kelek ist durch Bücher wie „Die fremde Braut“ oder „Die verlorenen Söhne“ bekannt geworden. Darin beschrieb und kritisierte sie die ausgeprägte Benachteiligung von Frauen und das herrische Gehabe von Männern in der muslimisch-türkischen Gesellschaft in Deutschland. Einerseits wies Kelek dadurch auf gesellschaftlich bislang kaum beachtete Probleme mit und unter Einwandern hin, andererseits neigte sie in den journalistischen Arbeiten zu methodisch problematischen Verallgemeinerungen. Ähnlich verhält es sich auch mit ihrem neuesten Buch, das unter dem Titel „Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam“ erschien. Der inhaltlich schiefe Untertitel lässt eine autobiographische Arbeit zur Auseinandersetzung mit den Sprechern des organisierten Islam in Deutschland erwarten. Im Buch geht es aber mehr um eine allgemeine Betrachtung zum Islam bezogen auf seine Geschichte in im Entstehungskontext wie hinsichtlich der Gegenwart in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland.
Einleitend plädiert Kelek zunächst gegen eine verstehende Haltung gegenüber dem Islam in Deutschland, würde eine solche Perspektive doch zur unkritischen Akzeptanz von bedenklichen Gegebenheiten führen. Dem schließt sich ein erster Teil zum Islam als Glaube an, worin es um die Frühgeschichte des Islam mit Ausführungen zum Koran und zu Mohammed geht. Danach steht der Islam im deutschen Alltag im Zentrum des Interesses: Kelek hebt den Unterschied von gelebter europäischer und islamischer Kultur hervor, geht auf die Auseinandersetzungen um Moscheebauten ein, veranschaulicht exemplarisch die Motive für die Zuwanderung von Muslimen, kritisiert die Herabwürdigung der Frauen und geht auf den Streit um das Kopftuch ein. Und im dritten Teil behandelt die Autorin das Scheitern der Aufklärung im Islam, die bedenklichen Aspekte der historisch guten Beziehung von Deutschen und Islam und die Rolle der demokratisch nicht legitimierten „Islamverbände“. Das Buch schließt mit einem Appell an die Muslime zur Befreiung von den „Übervätern“.
Dazu heißt es: „Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass der Islam, so wie er sich in seinem politischen Kern heute darstellt und repräsentiert, nicht in eine demokratische Gesellschaft zu integrieren ist. Der politische Islam stellt sich in seinem ganzen Wesen als ein Gegenentwurf zur aufgeklärten Zivilgesellschaft dar. Ohne Säkularisierung wird der Islam fremd in ihr bleiben“ (S. 247). Und weiter: „Wir Muslime müssen damit beginnen, die Gewissheiten der Religion kritisch zu hinterfragen ... Wir Muslime müssen uns vorbehaltlos der eigenen Geschichte unserer Religion stellen. ... Wir müssen lernen, an Allah durch persönliche Gewissheit zu glauben, ihm durch Verantwortung für das eigene Leben zu dienen, demütig und für die Gemeinschaft da zu sein und im Übrigen wie jeder andere Bürger an der demokratischen Gestaltung dieses Landes teilzuhaben.“ In Anlehnung an ein berühmtes Zitat von Karl Marx heißt es dann zum Schluss: „Muslime aller Länder, bekennt euch zum Ich, ihr habt nichts zu verlieren außer der Scharia“ (S. 251).
Bilanzierend betrachtet fällt das Urteil über das Buch ambivalent aus: Einerseits mangelt es an einer klaren inhaltlichen Struktur. Kelek „wirft“ alle nur möglichen Aspekte in den Text des Buchs hinein. Sie reißt viele Dinge nur kurz an, begründet und belegt viele Aussagen nicht näher. Die hastige Schreibe hat zu oberflächlichen Ableitungen, schiefen Deutungen und problematischen Verallgemeinerungen geführt. Vielfach hätte differenzierter argumentiert und genauer gearbeitet werden müssen. Die Autorin ist mehr die engagierte Publizistin und weniger die differenzierte Soziologin. Andererseits verweist Kelek aber doch auf eine Reihe von gravierenden Problemen im Kontext von Islam und Muslimen hin, sei es das unsichere Wissen über die Frühgeschichte des Islam, sei es das Fehlen von Aufklärung in der Geschichte dieser Religion, sei es das bedenkliche Verständnis von „Respekt“, sei es der Umgang mit Frauen. Als wichtigster Gesichtspunkt darf dabei die Einforderung von mehr befreiender Individualität und Abkehr von unterdrückerischer Kollektivität gelten.
Armin Pfahl-Traughber
Necla Kelek, Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam, Köln 2010 (Kiepenheuer & Witsch-Verlag), 267 S., 18,95 €.