Jugend, Sex, Internet: Generation Porno

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Buchtitel: Fackelträger

(hpd) Der Journalist Johannes Gernert begibt sich auf die Suche und findet kluge Antworten auf die Frage, wie Eltern, Lehrer und die Gesellschaft damit umgehen sollten, dass schon (ihre) Kinder mit einem Mausklick Zugang zum harten Sex erhalten können - und wollen.

Nicht zum ersten Mal machen sich Erwachsene Sorgen wegen der „Fluten und Wellen“ von Sex und Gewalt, in denen Jugendliche ertrinken können, meint der Autor. Das Thema spaltet, die Meinungen gehen extrem weit auseinander. Tatsache ist, dass sich in den vergangenen drei Jahrzehnten die Verfügbarkeit von Pornografie sehr stark verändert hat: Seit der Einführung von VHS-Videokassetten, danach Internet und schließlich DSL nahm die Möglichkeit des individuellen Zugangs zum Hardcore zu. Wir sprechen hier einem Spektrum, das von Soft-Erotik bis hin zu zehnfachen Cumshots in ein Frauen-(„Schlampen-“)-gesicht und Doppelanalverkehr in Großaufnahme reicht: Filmchen, die beispielsweise auf „SchülerVZ“ verlinkt oder von Schülern per Handy verbreitet werden. – Im Internet fragt selten einer ernsthaft nach dem Alter wie früher in den „Deep Throat“-Schmuddelkinos, warum auch. Und im Fernsehen gab es im Verlauf der elterlichen Jugend vielleicht die Serie Klimbim, in der sich eine der Schauspielerinnen mal auszog, mehr nicht.

"Porno Chic" wurde Pop

Überhaupt haben viele Porno-Elemente Einzug in unsere Gesellschaft erhalten. Die Rapper Sido und Bushido nutzten pornografische Texte, um über die Sprengung von Tabu-Grenzen zu Ruhm zu kommen. (Es gibt sogar Songs, die Straftatbestände erfüllen.) Verkauft sich gut, denn auch pubertierende Jugendliche wollen schocken und Tabu-Grenzen sprengen. Sängerinnen wie Madonna und Christina Aguilera haben mit ihren Videos, Outfits und ihrer Selbstdarstellung die Gesellschaft gewissermaßen pornografisiert, „Germany’s Next Topmodel“, „Deutschland sucht den Superstar“ und derlei Sendungen bedienen sich auf anderen Ebenen ähnlicher Elemente der Selbst-Entblößung wie die Pornografie und etablieren standardisierte (sowie nahezu unerreichbare) Körper-Leitfiguren. „Porno Chic“ wurde zu Pop, meint Gernert.

Gernert, das merkt man ihm an, sucht wirklich Antworten. Er begleitet Jugendliche, zeigt, dass Carl und Ric völlig unterschiedlich mit Pornos umgehen und diese auf jeden anders wirken, weil sie in unterschiedlichen sozialen Kontexten aufwachsen. Er stellt Pastor Siggelkow vor, der den sexuellen Gau voraussagt und stellt ihm Rabe-Rademacher und Gunter Schmidt gegenüber, die das ganze Thema wesentlich lockerer sehen, da Jugendliche sich doch schon immer für Sex interessiert haben. Mädchen kommen zu Wort, die sich zum Teil durch Pornos unter Druck sehen, zu früh Sex haben zu müssen, auch wenn sie nicht wirklich wollen, so wie „Pink Porno Barbie“.

Persönliche Probleme ergeben sich vor allem daraus, dass zum einen viel mehr Jungen Pornografie nutzen als Mädchen, die das tendenziell eher eklig finden, zum anderen, dass sie in der Regel noch keine eigenen sexuellen Erfahrungen gemacht haben, wenn sie damit beginnen. Das führt zu einem unrealistischen Bild von Sexualität, da sie das, was sie sehen, für authentisch halten, wird auch meist so verkauft. Dass Pornodarstellerinnen in Wahrheit harte Arbeit leisten und diverse Hilfsmittel wie Gleitmittel und vorheriges Dehnen der Körperöffnungen benötigen, um die Vorgänge so spontan und leicht wirken zu lassen, wissen die Jugendlichen nicht – wenn man es ihnen nicht sagt. Wer demnach Pornos konsumiert und daraus seinen Leistungsstandard sowie den der Partnerin ableitet, schafft Druck. Außerdem können ernsthafte Körperschädigungen durch unvorbereiteten Analverkehr oder Geschlechtskrankheiten durch ungeschützten Sex folgen, kommt alles vor.

Gekonnt relativieren und aufklären

Das Relativieren der betrachteten Bilder kann durch gesprächsbereite Eltern und Fachleute – gut ausgebildete Lehrkräfte, Sexualaufklärung wie etwa bei Pro Familia – geschehen. Der Druck kann in Gesprächen den Jungs – „Schwänze sind durchschnittlich nur 13,9 cm groß, außerdem haben Mädchen Angst vor so großen...“ – und Mädchen - „Ab wann muss ich mit meinem Freund schlafen?“ - genommen werden. Technische Kontrolle dagegen funktioniert nicht wirklich, sagt die Bundesprüfstelle, die Gernert neben anderen Fachleuten und Institutionen besuchte („Bravo“s erster Dr. Sommer dürfte als beides durchgehen).

Eltern sollten ihre Kinder im Internet nicht allein lassen, sondern sie dabei begleiten, Regeln aufstellen und ihnen mögliche Gefahren schildern, ohne ihnen direkt Angst zu machen. So, wie sie ihren Kindern beibringen, nicht bei Rot über die Straße zu gehen. Man solle sich allerdings als allererstes selbst klar werden, wie man zu dem Thema steht. Am besten fängt man früh an und klärt den Nachwuchs en passant immer wieder auf,  unterhält sich, etwa beim Fernsehen. Und vor allem die Kinder fragen, wie solche Bilder bei ihnen ankommen, nachfragen, zuhören. Die häufig von den technischen Errungenschaften überforderten Eltern sollten sich diese von ihren Kindern erklären lassen. Und auf Kinder wirken die infrage kommenden Inhalte häufig ganz anders als man sich so denkt. Ja, auch einen brauchbaren Ratgeber enthält das sehr empfehlenswerte Buch am Ende. Leider aber kein Literaturverzeichnis, die Literaturangaben befinden sich jeweils passend nur im Text.

Fazit: Wer Kinder hat oder mit Kindern arbeitet, die unter 18 sind, sollte dieses Buch lesen. Da Porno-Verbote weder etwas nützen (eher verstärken) noch technisch durchführbar sind, sollte man für sich und seine Kinder Wege suchen, mit Pornografie auf angemessene Weise umzugehen. Allerdings nicht nur mit Pornografie, sondern mit sämtlichen blinkenden, lauten Angeboten und Verlockungen, die das Internet bereitstellt, denn auf YouTube gibt es trotzdem alles.
 

Fiona Lorenz

Johannes Gernert : Generation Porno. Jugend, Sex, Internet. Fackelträger Verlag, 288 Seiten, 19,95 EUR