MANNHEIM. (hpd) Der Baden-Württembergische Verwaltungsgerichtshof hat heute entschieden, dass ein so genannter „Kirchenaustritt“, der sich ausschließlich hinsichtlich der staatlichen Rechtsfolgen der Kirchenzugehörigkeit erklärt, gegen die Pflichten des Kirchenmitglieds verstößt und deshalb nicht statthaft sei.
Das Urteil kam nicht überraschend. Der Vorsitzende Richter hatte bereits in der mündlichen Verhandlung am vergangenen Donnerstag deutlich erkennen lassen, dass er der Auffassung des Erzbistums zuneige.
Der emeritierte katholische Kirchenrechtler Prof. Hartmut Zapp hatte 2007 gegenüber dem Standesamt seines Wohnortes seinen Kirchenaustritt erklärt und dabei die Religionsgemeinschaft als „römisch-katholisch, Körperschaft des öffentlichen Rechts“ bezeichnet. Er betrachtet sich weiterhin als Mitglied der Glaubensgemeinschaft der römisch-katholischen Kirche und meinte, er sei nur aus dem Steuerverband und dem Zwang des staatlichen Inkasso ausgetreten, da er weiterhin 0,8 Prozent seines Einkommens – in Anlehnung an die italienische Kultursteuer – an die katholische Kirche überweise.
Der inhaltliche Grund war jedoch ein anderer: In Deutschland besteht die kirchliche Praxis, dass ein Katholik, der vor einer staatlichen Stelle seinen „Kirchenaustritt“ erklärt, automatisch exkommuniziert wird, d. h. von den Sakramenten ausgeschlossen wird. Diese Praxis widerspricht jedoch dem katholischen Kirchenrecht, was der Vatikan 2006 bestätigt hatte, dass eine Erklärung vor staatlichen Stellen für die katholische Kirche ohne Belang und nicht mit Kirchenstrafen zu belegen sei. Im Widerspruch zu dieser Klarstellung hatten die deutschen Bischöfe bekräftigt, an ihrer „bewährten Praxis“ festhalten zu wollen. Dem widerspricht Zapp mit der Formulierung seines „Kirchenaustritts“. Seine Absicht ist es, dem römischen Kirchenrecht auch in den katholischen Bistümern in Deutschland Geltung zu verschaffen. Dem musste das Erzbistum Freiburg, in dessen Bereich Zapp wohnt, widersprechen. Das Verwaltungsgericht Freiburg gab jedoch in erster Instanz Zapp Recht und urteilte, dass sein "Austritt" gültig sei.
Bekennende katholische Journalisten hatten nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg, in dem Zapp Recht bekommen hatte, er sei trotz des Austritt aus dem Steuerverband des Verband der Diözesen Deutschlands weiterhin Mitglied der römisch-katholischen Kirche, von „Sterbeglocke schlägt für Kirchensteuer“ phantasiert. Auch Bischof Müller aus Regensburg meinte die Kirchenmitglieder mit Schauermärchen erschrecken zu müssen, da er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse erklärt hatte, dass bei einem Rückgang der katholischen Kirchensteuer Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet seien. Das war schlicht gelogen, aber verständlich, denn es geht um Geld, viel Geld.
In einer umfangreichen Arbeit („Ungestraft aus der Kirche austreten? / Der staatliche Kirchenaustritt in kanonistischer Sicht“) hatte es René Löffler bereits 2008 detailliert begründet: „Bewährte Praxis“ der deutschen Bischöfe ist rechtswidrig, denn: „Aus der Erklärung, mit bürgerlicher Wirkung aus der Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts auszutreten, läßt sich nicht erkennen, daß der Betreffende den Willen zur vollständigen Trennung von der katholischen Kirche hat. Der dem Körperschaftsaustritt zugrunde liegende Geschäftswille ist die Aufgabe der Pflichten im bürgerlichen Bereich, was nicht identisch ist mit einer bewußt angestrebten Trennung von der Kirche Jesu Christi.“ (Seite 365)
Juristischer Spagat
Mit dem heutigen Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wieder einen typisch deutschen juristischen Spagat vollführt.
Einerseits verweist das Urteil auf § 26 Abs.1 des Kirchensteuergesetzes Baden-Württemberg in dem es heißt:
Ҥ 26 Austritt aus einer Religionsgemeinschaft
(1) Jeder hat das Recht, aus einer Religionsgemeinschaft durch eine Erklärung gegenüber dem für seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Standesbeamten mit bürgerlicher Wirkung auszutreten. Die Erklärung ist persönlich zur Niederschrift abzugeben oder in öffentlich beglaubigter Form einzureichen; sie darf keine Bedingungen oder Zusätze enthalten. Der Nachweis der Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft ist nicht erforderlich.“
Durch den von Zapp gewählten Zusatz habe er, so der Verwaltungsgerichtshof, nicht zu erkennen gegeben, dass er sich „ernsthaft und vollständig von der Religionsgemeinschaft lossagen wolle“. Insofern sei die Erklärung ungültig, Zapp weiterhin Mitglied der kompletten katholischen Kirche und somit auch kirchensteuerpflichtig.
Anderseits wird festgestellt: Mit welchen Sanktionen die Kirchen aus einer gegenüber staatlichen Stellen abgegebenen Kirchenaustrittserklärung vorgehen würden, das sei eine rein innerkirchliche Angelegenheit und vom Gericht nicht zu beurteilen.
Die Unsinnigkeit, dass vor einer weltanschaulich neutralen staatlichen Stelle überhaupt kein „Kirchenaustritt“, d. h. aus einer Glaubensgemeinschaft, erklärt werden kann und der Begriff etwas Falsches suggeriert, stand nicht zur Erörterung.
Prof. Zapp kann jetzt entweder gegen das Urteil vor dem Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einlegen oder er kann den innerkirchlichen Rechtsweg beschreiten, der im Vatikan in Rom endet.
Sofern er den innerkirchlichen Weg beschreitet, dürfte interessant werden, ob der Vatikan bei seiner bisherigen Auffassung bleibt oder das Kirchenrecht ändert, da nicht nur die römische Weltkirche sondern auch der Vatikan zu den Nutznießern der sprudelnden Kirchensteuereinnahmen in Deutschland gehört. Es geht dabei um derzeit rund fünf Milliarden Euro.
Carsten Frerk