JENA. (mpg) Die Erfindung der Landwirtschaft gilt als Revolution der Menschheitsgeschichte: Vor rund 7500 Jahren breiteten sich Ackerbau und Viehzucht in Mitteleuropa aus. Im Zuge dieser Entwicklungen musste sich der Mensch an neue Umweltbedingungen, ein verändertes Nahrungsangebot, sowie den engen Kontakt zu domestizierten Tieren und deren Krankheitserregern anpassen. Die damit verbundenen Selektionsprozesse spiegeln sich im Genom heutiger Europäer wider. Ein Forscherteam um Wolfgang Haak und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hat dazu nun neue Erkenntnisse gewonnen.
Die aktuell in Nature veröffentlichte Studie beruht auf einer Datenbasis, deren räumlicher und zeitlicher Umfang über bisherige Untersuchungen hinausreicht. Dafür hat ein internationales Forschungsteam die Genome von 230 Individuen aus der Zeit von 6500 bis 300 vor Christus ausgewertet und mit entsprechenden Daten von mehr als 2300 heutigen Europäern verglichen. "Unser Datensatz umfasst einen Zeitraum, der von der späten und jüngeren Steinzeit über die Bronzezeit bis in die Gegenwart reicht und sich räumlich von der Eurasischen Steppe bis nach Spanien erstreckt", sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Erstmals konnten in die Studie auch die Genome von 26 Steinzeitbauern aus dem Westen der heutigen Türkei einbezogen werden. Im direkten Vergleich von anatolischen und mitteleuropäischen Steinzeitbauern konnte eine enge Verwandtschaft zwischen beiden nachgewiesen werden. Dies bedeutet, dass vor ca. 8000 Jahren das Wissen um Ackerbau und Viehzucht von einer sich ausdehnenden Bauernbevölkerung über weite Teile Europas verbreitet wurde.
Erste Milchtrinker vor 4300 Jahren
Zudem lässt sich mit Hilfe der neuen Daten auch die Selektion bestimmter Merkmale verfolgen. Danach trat die in Europa häufige Genveränderung, die dafür sorgt, dass Erwachsene Milch vertragen (Laktosepersistenz), zum ersten Mal vor 4.300 bis 4.200 Jahren auf und nicht – wie zuvor angenommen – bereits kurz nach der Domestizierung von Rindern vor 8.000 Jahren. Gleichfalls traten zu dieser Zeit zum ersten Mal genetische Varianten auf, die auf eine verbesserte Versorgung mit Vitamin D hindeuten und heute insbesondere bei nordeuropäischen Bevölkerungsgruppen häufig sind.
Diese Varianten werden auch im Zusammenhang mit einer helleren Haut der heutigen Europäer gesehen, die aufgrund ihrer höheren Lichtdurchlässigkeit dazu beiträgt, die Vitamin D-Versorgung in sonnenärmeren Gegenden sicherzustellen. Die anatolischen Steinzeitbauern waren im Vergleich zu den ursprünglichen europäischen Jägern und Sammlern, bereits wesentlich hellhäutiger. Zusammen mit der verbesserten Vitamin D-Versorgung und der veränderten Lebensweise hat sich das Merkmal für hellere Hautfarbe somit schnell in Europa ausbreiten können.
Eine Anpassung an die sesshaftere Lebensweise agrarischer Gesellschaften findet sich auch in weiteren Genen, die für das Immunsystem wichtig sind. "Dass diese bei wachsender Bevölkerungsdichte und der räumlichen Nähe zu domestizierten Tieren wie Schafen, Ziegen, Kühen und Schweinen unter hohem Selektionsdruck stehen und damit eine große Rolle spielen würden, kam nicht völlig überraschend, konnte jedoch zum ersten Mal direkt nachgewiesen werden", ergänzt Wolfgang Haak, Gruppenleiter am Max-PIanck-Institut für Menschheitsgeschichte und einer der drei Hauptautoren der Studie.
Erklärung für Nord-Süd-Gefälle in der Körpergröße
Wesentlich überraschender war der Fund einiger Gene, die phänotypische, also äußerliche Merkmale bestimmen, wie z.B. das EDAR-Gen, welches sich heute ausschließlich bei Asiaten und indigen Völkern Amerikas findet und mit der Straffheit der Haare, einer höheren Anzahl von Schweißdrüsen sowie der Form der Zähne und der weiblichen Brust in Verbindung gebracht wird. Dieses Muster wurde auch in einer 7.000 Jahre alten Jäger-Sammler-Gruppe aus Schweden nachgewiesen, was Fragen zum Ursprung, zur Verbreitung und Manifestierung dieser Merkmale aufwirft.
Auch die Körpergröße unserer Ahnen, dirigiert über ein komplexes Wechselspiel genetischer Variation, stand unter Selektion, wie sich durch diese Studie ermitteln ließ. Hier gab es zwei gegenläufige Entwicklungen. Während die Körpergröße der iberischen Steinzeitbauern im Vergleich zu den anatolischen Steinzeitbauern über einen Zeitraum von 3.000 bis 4.000 Jahren deutlich abnahm, stieg sie bei den Steppenvölkern an. Man nimmt an, dass das heutige Nord-Süd-Gefälle in der Körpergröße auf diese gegenläufigen Trends zurückzuführen ist, was zudem darauf hindeutet, dass sich die Steppenvölker stärker mit der Bevölkerung in Nordeuropa vermischt haben als im übrigen Europa. (PM/MEZ)
1 Kommentar
Kommentare
Martin am Permanenter Link
Klasse wäre noch der Titel der Originalveröffentlichung oder gar ein Link :)