Violette Koalition in den Niederlanden?

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Wilders (PVV) / Foto: ANP / Jerry Lampen

NIEDERLANDE. (hpd) Die Wähler sind in den Niederlanden offensichtlich in Scharen zurück zur Mitte gezogen (bei einer für deutsche Verhältnisse hohen Wahlbeteiligung von 74 %). Das bedeutet das Ende einer Periode von etwa zehn Jahren, in denen die linken und vor allem die rechten politischen Außenflanken blühten.

Bei den Wahlen haben zwei traditionellen Parteien der Mitte erneut viele Wähler für sich gewinnen können: die alte sozialdemokratische Tante der PvdA (Partei der Arbeit mit 39 Sitzen) und die rechtsliberale Partei des bisherigen Regierungschefs Mark Rutte (VVD mit 41 Sitzen). Es ist offensichtlich, dass die bis zur letzten Minute nicht entschiedene Zuspitzung des Wahlkampfes zwischen der PvdA und der VVD - welche der beiden die größte Partei sein würde - großen Einfluss auf dies Wahlergebnis hatte. Die VVD gewann dadurch auf Kosten der Wilders-Partei (PVV) und die Arbeiterpartei gewann auf Kosten von Grün und der Sozialisten (PS).

Diese neue politische Landschaft wird ergänzt durch die katastrophale Wahlniederlage der Christendemokraten (CDA). Die Christdemokraten hatten sich bereits mit einer leichten Niederlage abgefunden, aber es kam dann ganz dick: Sie verloren acht ihrer 21 Sitze. Die ehemals übermächtige Partei ist nur noch eine mittelgroße Partei, die im Konflikt zwischen VVD und PvdA zermahlen wurde. Stark zur Niederlage beigetragen hat die zur Sicherung ihrer Regierungsbeteiligung zweijährige Pseudokoalition mit der Partei von Wilders, wodurch sie jede Glaubwürdigkeit verloren hatte. Interessant ist, dass die anderen christlichen, radikal-calvinistischen Parteien (Christen Unie und SGP) von den Verlusten der CDA nicht profitieren konnten. Die Niederlande bleiben offensichtlich doch säkular. Vielleicht auch eine Folge des in vielen Orten erlassenen Verbotes, Wahllokale in Kirchen einzurichten. Es fehlte vielleicht die Unterstützung des ‚Heiligen Geistes‘. Umso mehr aber, weil nach dem Altpremier Ruud Lubbers, der sich auf Habermas bezieht, „die fundamentalen christlichen Werte bei der CDA verblichen sind, die Partei muss wieder stärker an das Christentum appellieren, mit Christus als Beispiel.“

Zwar ist es seit längerer Zeit nun wieder möglich geworden, mit nur zwei oder drei Parteien eine stabile Regierungsmehrheit zu bilden, aber es ist trotzdem viel zu früh, das Ergebnis so zu interpretieren, dass die "alte" Politik der Mitte mit ihren Mainstreamparteien die politische Krise des neuen Jahrhunderts überwunden hat. Dagegen sprechen vor allem die großen Verluste der traditionellen christendemokratischen Mitte.

Natürlich haben auch die extremen Flanken Verluste einnehmen müssen: Auf der rechten Seite verliert die nationalpopulistische Partei von Wilders 9 Sitze (minus 5,2 % Stimmenanteil) und GrünLinks muss 4,3 % abgeben. Das jedoch wird stark relativiert durch die scharfe politische Akzentverschiebung in der Mitte selbst. Die VVD hat sich nach rechts bewegt (noch mehr Markt) und die PvdA hat ihre unerwartet großen Gewinne besonders den linken Äußerungen ihres Vorsitzende Samsom (mehr soziale Gerechtigkeit) und seiner Umarmungstaktik gegenüber der Sozialistische Partei (SP) zu verdanken. Die lange als stärkste bzw. zweitstärkste Partei gehandelte SP fand sich letztlich zusammen mit Wilders nur noch an dritter Stelle wieder (beide 15 Sitze).

Bei den ausländischen Beobachtern und im Kontext der europäischen Finanzkrise stand natürlich das Abschneiden der PVV im Zentrum des Interesses. Und hier gab es einen Eklat. Die Prognosen hatten der Wilders-Partei nur kleine Verluste vorhergesagt und Wilders selbst war sehr optimistisch. In April hatte er aber scheinbar eine große Fehleinschätzung gemacht, indem er die Verhandlungen mit der Regierung wegen Haushaltsprobleme abbrach und dann eine heftige Anti-Europa-Kampagne führte. Tatsächlich können die Ergebnisse als leise Stimmen des Wählers für Europa interpretiert werden. Auch die von der PVV abgespaltene mehr liberale Fraktion der DPK konnte daher die verlorenen Stimmen nicht ernten. Wie immer verlieren die Extremrechten jede Glaubwürdigkeit in dem Moment, wo sie politische Verantwortung übernehmen sollen und davor zurückschrecken.

Für die kommende Regierungsbildung ist die Sitzverteilung in der ersten Kammer (Senat) wichtig. Obwohl VVD und PvdA die Mehrheit in der zweiten Kammer haben, reicht es dafür nicht im Senat. Man braucht also einen dritten Partner. Hier kann die PvdA ihre Trümpfe ausspielen: Sie hat links von ihr mehr mögliche Mehrheitsbeschaffer als die VVD rechts von ihr. Auch die CDA kommt hier wieder ins Spiel, obwohl es fragwürdig ist, dass eine so krisengeschüttelte Partei durch die Regierungsteilnahme gesunden kann. Bleiben eine Reihe anderer der 21 sich an der Wahl beteiligten Parteien übrig: Vielleicht auch die linksliberale D66, oder wie wäre es mit der Piratenpartei (0,2 %) oder die Partei für die Tiere, oder einer der großen Gewinner der Wahl, die 50Plus-Partei, die aus dem Stand auf 1,9 % kam. Variatio delectat!

Die Parteistruktur der Regierung und natürlich auch ihre politische Linie bleibt somit vorerst offen, obwohl bereits jetzt in der PvdA Koalitionspräferenzen für die VVD, inklusive CDA, gegen die SP laut werden und es kaum eine neue Verbindung mit der Partei von Wilders geben wird.

Rudy Mondelaers