Analyse und Plädoyer

Islamismus – eine ernüchternde Bilanz

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Uns erfasst eine Anschlagswelle aus dem islamistischen Spektrum. Dauernd hören wir Forderungen wie damit umzugehen sei. Unsicherheit verbreitet sich in der Bevölkerung. Die Angst vor terroristischen Akten wächst stetig. Doch kaum jemand weiß genau, was "Islamismus" eigentlich konkret bedeutet.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Islamismus als "eine Form des politischen Extremismus, in dem die Existenz einer gottgewollten und daher 'wahren' und absoluten Ordnung postuliert wird, die über den von Menschen gemachten Ordnungen steht". Diese Definition impliziert, dass Islamisten sich von liberalen Muslimen dahingehend unterscheiden, dass sie ihre Religion nicht einfach nur als ihre private Glaubensangelegenheit verstehen, sondern aus ihr Herrschaftsphantasien ableiten, denen sich alle zu beugen haben, ob sie wollen oder nicht. Es gibt global mittlerweile zu viele Gruppierungen, die sich dieser Kategorie zuordnen lassen, als dass man sie zählen könnte. Allerdings lassen sich zwei grundlegende Wege unterscheiden, mit denen Islamisten versuchen ihre Ideale zu verwirklichen: Den Weg des Politischen Islam, der durch gesellschaftliche Prozesse versucht, seine Ideologie unbemerkt in eine Gesellschaft einfließen zu lassen, und den Weg des dschihadistischen Islam, der mit Waffengewalt gesellschaftliche Systeme durch Angst destabilisieren will.

Dabei können je nach Organisation beide Wege miteinander vereinbar sein oder der jeweils andere strikt abgelehnt werden. Beispiele für den Politischen Islam1 in Deutschland sind die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (vormals Islamische Gemeinschaft in Deutschland), welche der Muslimbruderschaft angehört und bis 2022 Mitglied im Zentralrat der Muslime gewesen ist, und DITIB, der verlängerte Arm Erdoğans in Deutschland. Beispiele für den gewaltbereiten dschihadistischen Islam sind die bekannten Terrororganisationen Islamischer Staat und Al-Qaida.

Während die Vertreter des Politischen Islam bereits seit über 20 Jahren erfolgreich politische Lobbyarbeit betreiben und versuchen den säkularen Rechtsstaat Deutschland von innen heraus auszuhöhlen, greifen dschihadistische Attentäter in regelmäßigen Abständen die Bevölkerung an. Alleine in Deutschland sind seit 2011 – unter Hinzunahme des Machetenangriffs auf eine Polizeiwache in Linz dieses Jahres – 13 islamistische Anschläge erfolgt, davon knapp die Hälfte seit 2020. Laut dem Terrorismusexperten Peter Neumann vom King's College in London nehme die Zahl der islamistischen Anschläge voraussichtlich noch weiter zu. Seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 habe es in Europa bereits acht versuchte dschihadistische Attentate gegeben. Im gesamten Jahr 2022 seien es im Vergleich fünf gewesen. Auch Europol veröffentlichte europaweite Daten zu islamistischen Anschlägen zwischen 2011 und 2021. In diesen Jahren gab es in der EU 144 tatsächlich erfolgte, gescheiterte und geplante Attentate mit religiös-dschihadistischen Motiven. Insgesamt kam es zu 4.466 Festnahmen von Personen, die im Zusammenhang mit dschihadistischen Bewegungen stehen. Nach dem Jahr 2016 bis zum 7. Oktober 2023 waren dschihadistische Aktivitäten in der EU rückläufig, seither steigen die Zahlen wieder drastisch an.

Das Bundeskriminalamt berichtet, dass es seit dem Jahr 2000 elf "vollendete" islamistische Anschläge gegeben habe, 25 seien verhindert worden und fünf aufgrund technischer Probleme gescheitert. Das Personenpotenzial, also Personen, die potenziell terroristisch agieren könnten, wird in Deutschland gegenwärtig auf circa 500 geschätzt, wobei die Zahlen seit 2017 rückläufig sind. Interessant hierbei ist, dass die Anzahl verübter Anschläge von Quelle zu Quelle schwankt. Grund dafür können Definitionsprobleme sein, was als "Anschlag" zu werten ist und inwiefern religiöse Motive eine tragende Rolle gespielt haben.

Etablierung islamistischen Gedankenguts im Westen

Seit den kriegerischen Auseinandersetzungen im Gazastreifen arbeiten islamistische Organisationen, die früher getrennt agierten, zusammen. Bei der "One Ummah Spendengala" in Hamburg arbeiteten Salafisten, Prediger und Islamisten aus der Furkan Gemeinschaft zusammen, um Gelder angeblich für "bedürftige Kinder" zu sammeln. Laut dem Verfassungsschutzbericht 2023, herausgegeben vom Bundesamt für Verfassungsschutz, finanzieren sich islamistische Vereinigungen in Deutschland vor allem durch Crowdfunding-Plattformen, Spendenaufrufe in Social Media, virtuelle Währungen wie Kryptowährung, Mobile Payment und Apps. Vehikel sind häufig aktuelle Ereignisse, so werden Spenden für den Ukrainekrieg gesammelt, Unterstützung für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien zugesagt oder zur finanziellen Unterstützung für die Menschen im Gazastreifen aufgerufen. Die Ideologie wird über Soziale Netzwerke, direkte Ansprache in Vereinen oder durch Predigten in Moscheen, wie der vom Bundesinnenministerium geschlossenen islamistischen "Blauen Moschee", vermittelt.

Zudem versuchen islamistische Akteure sich im öffentlichen Leben zu etablieren, indem sie mit Koranständen in Innenstädten für den Islam werben oder sich Zugang zu öffentlichen Gebäuden durch sogenannte "Räume der Stille" verschaffen. Immer wiederkehrende Themen sind der "böse Westen", eine Verschwörungstheorie, die westliche Länder für das Unheil, das der islamischen Welt widerfährt, verantwortlich macht, der Werteverfall durch geschlechtliche Vielfalt, Antisemitismus und das Aufzwingen einer "Assimilation", was das Aufgeben einer "islamischen Identität" bedeuten würde. Paradoxerweise finden islamistische Narrative Anklang bei der woke-identitären Bewegung, die die Idee der "diskriminierten Minderheit", die "muslimfeindlichen" oder "islamophoben" Anfeindungen ausgesetzt sei, äußerst anziehend findet. Den wohl größten Fauxpas lieferte die mehrfach ausgezeichnete Begründerin der "Gender Studies" Judith Butler, die das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 als "bewaffneten Widerstand" bezeichnete und den Angriff weder als terroristisch noch als antisemitisch wertete.

Ein Plädoyer für die Offene Gesellschaft

Islamistische Organisationen stellen eine immense Gefahr für Offene Gesellschaften wie die unsere dar. Sie verabscheuen das Leben in Freiheit und möchten (auf unterschiedlichen Wegen) einen islamischen Staat etablieren. Dieser Artikel soll wenigstens überblicksweise einen Eindruck von den Bewegungen in Deutschland und der EU geben. Islamistische Organisationen und Ideologien breiten sich aber auch auf der arabischen Halbinsel sowie zunehmend in afrikanischen Gebieten wie dem Tschadbecken, dem Kongo, Somalia, Mosambik, Mali und Küstenstaaten am Golf von Guinea aus. Die Menschen dort müssen sich viel häufiger mit islamistischem Gedankengut auseinandersetzen als wir gegenwärtig und leiden auch viel häufiger darunter. Am ehesten werden wir noch mit dem schiitischen Mullah-Regime im Iran und der dort vorherrschenden frauenverachtenden Situation konfrontiert, die hier exemplarisch für die außereuropäische Welt steht. All diese Gebiete zu beleuchten, würde die Kapazitäten dieses Artikels bei weitem übersteigen. Jedoch sollte bewusst geworden sein, dass Islamismus keinesfalls unterschätzt werden darf und zu einem der großen Probleme unserer Zeit gerechnet werden muss, dem wir uns nicht morgen, sondern heute mit Nachdruck zuwenden müssen.

Seit dem Anschlag in Solingen im August ist "Islamismus" wieder in aller Munde. Allerdings scheint es gegenwärtig kaum möglich zu sein, unaufgeregt und sachlich über Konsequenzen daraus zu diskutieren. Auf der einen Seite grölen Rechtspopulisten der AfD nach "Remigration" und unterstellen allen Geflüchteten aus islamischen Ländern potenzielle Frauenhasser und Terroristen zu sein. Auf der anderen Seite stehen Woke und werfen mit Kampfbegriffen wie "Muslimfeindlichkeit" um sich und relativieren solche Taten einseitig mit dem Argument des Versagens der Aufnahmegesellschaft. Muslime im Fernsehinterview oder auf Social Media weisen bei unliebsamer Lesart des Korans dann gerne darauf hin, dass Aussage X oder Tat Y ja nichts mit dem "wahren" Islam zu tun hätten. Politisch steht plötzlich "Abschiebung" ganz oben auf der Agenda, als ob das Problem dadurch gelöst wird, dass man eine Person von Ort A nach Ort B transportiert, ganz nach dem Motto "Hauptsache kein Deutscher musste sterben".

Wir müssen diejenigen bekämpfen, die ihre menschenfeindliche Ideologie verbreiten und ihnen klare säkulare Grenzen aufzeigen. Der Staat darf daher nicht mit reaktionären Kräften zusammenarbeiten, um die Integration von Menschen aus der muslimischen Welt in Deutschland zu verbessern. Er muss sich an säkulare Muslime wie Lale Akgün, Seyran Ateş, Eren Güvercin, Ahmad Mansour, Bassam Tibi, Mouhanad Korchide oder Ali Ertan Toprak wenden, um eine Lesart des Islam zu etablieren, die mit dem säkularen Rechtsstaat vereinbar ist. Nur so können wir langfristig freien Muslimen in Deutschland die Möglichkeit geben, ihren Glauben uneingeschränkt zu entfalten, ohne dass diese Angst vor reaktionären Konsequenzen haben müssen. Durch die Stärkung dieses liberalen Islams kann reaktionären Kräften der Wind aus den Segeln genommen werden. Neuankommenden Muslimen könnte der Zugang zu einem konstruktiven und weltoffenen Umgang mit ihrer Religion ermöglicht werden, noch bevor sie in die Fänge jener Rattenfänger geraten, die der freien Welt Ketten anlegen möchten. Auch Ex-Muslime hätten die Möglichkeit, sich offen zu ihrer Apostasie zu bekennen, ohne dass sie mit lebensbedrohlichen Konsequenzen rechnen müssten. Das wäre ein wahrer Gewinn für unsere diverse und Offene Gesellschaft.

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1 Akgün, L. (2018). Platz da! Hier kommen die aufgeklärten Muslime: Schluss mit der Vorherrschaft des konservativen Islams in Deutschland. Alibri Verlag. S. 48.