Kreationismus in Hessen - und kein Ende?

Beobachtungen auf der Homepage der Fachhochschule Gießen-Friedberg

 

Wie es scheint, wird nicht nur Schülern christlicher Privatschulen kreationistisches Gedankengut beigebracht - für Studenten am Fachbereich Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik der Fachhochschule Gießen-Friedberg gehört es sogar zum Klausurstoff. Im Studiengang Informatik wird hier im Rahmen der "Pflicht- und Schwerpunktmodule im Hauptstudium" auch die Vorlesung "Informatik und Gesellschaft" angeboten. Und Vorlesungen sollen der entsprechenden Studienordnung zufolge "der Vermittlung von Grundlagenwissen, Lehrmeinungen, Fakten und Methoden auf der Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse" dienen

Im Sommersemester 2007 hat nun der Lehrbeauftragte Michael Kämpfer - der schon verschiedentlich als Autor für die evangelikale Studiengemeinschaft Wort und Wissen aktiv war - in der Vorlesung "Informatik und Gesellschaft" neben Themen wie "Internetsucht" und "Nanotechnologie" auch die Frage behandelt, wie "biologische Information", d.h. das sog. genetische Programm der Organismen, entstanden ist. Dies ist nun eine wichtige und anspruchsvolle Fragestellung, zu der es aus Sicht der wissenschaftlichen Evolutionstheorie Interessantes zu sagen gäbe. Davon aber taucht in den Unterlagen zur Vorlesung, die auf der Homepage zum Download angeboten werden, nichts auf. Unter dem Titel "Am Anfang war die Information" werden stattdessen ausführlich und ausschließlich die Thesen eines gewissen Werner Gitt vorgestellt, die dann seminaristisch von den Studenten aufbereitet und zur Diskussion gestellt werden. Herr Gitt aber ist bisher nicht als Autor wissenschaftlicher Publikationen zur Evolutionstheorie hervorgetreten, sondern als Vorstandsmitglied der bereits erwähnten evangelikalen Studiengemeinschaft Wort und Wissen (bis 2006).

Worin bestehen nun die entsprechenden "neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse", deren Inhalte dann von den Informatikstudenten in einer Klausur abgefragt werden? In dem Manuskript heißt es: "Es geht u. a. darum, was Information ist und woher sie kommt, [...] welche Rolle Information in Lebewesen spielt und wer der Sender dieser Information ist. Dabei widerlegt er [Gitt] Aussagen der Evolutionstheorie und der Urknallhypothese und erbringt einen Gottesbeweis." Weiter heißt es: "Die Evolutionslehre ist in dem Sinne falsch, wenn sie als rein naturalistisch-materialistischer Prozess aufgefasst wird. [...] Leben hat also einen intelligenten Urheber, einen Schöpfer. [...] Die Bibel bestätigt das: ‚Gott ist Geist'" usw. usf. Soviel also zur "Vermittlung von Grundlagenwissen, Lehrmeinungen, Fakten und Methoden" und zum Klausurstoff für Studenten der Informatik an der FH Gießen-Friedberg.

Aus unserer Sicht besteht Anlass zur Sorge, dass den Studenten an der Fachhochschule Gießen-Friedberg in der betreffenden Lehreinheit der Eindruck vermittelt wird, es handele sich bei diesen kreationistischen Glaubenssätzen um wissenschaftlich ernstzunehmende Thesen. Dazu genügt es schon, die entsprechende Literatur zur Verfügung zu stellen und seminaristisch von Studierenden einer Hochschule aufarbeiten zu lassen. Mit demselben Recht könnte ein Dozent nach Belieben auch andere unwissenschaftliche Lehren, wie etwa Astrologie oder die Fantasien eines Erich von Däniken, in Vorlesungen über Astronomie bzw. Geschichte als angebliches "Grundlagenwissen" behandeln. Wir fordern deshalb den Fachbereich Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik der FH Gießen-Friedberg auf, Sorge zu tragen, dass solcherart pseudowissenschaftliche Thesen nicht weiter unter dem Deckmantel "aktueller gesellschaftlicher Fragen" als Lerninhalte vermittelt werden.

T. Junker, im Namen des Vorstands der AG Evolutionsbiologie