Hamed Abdel-Samad in Hamburg

HAMBURG. (hpd) Am Samstag sprach Hamed Abdel-Samad auf Einladung der Giordano Bruno Stifung Hamburg in der freien Akademie der Künste über sein aktuelles Buch “Der islamische Faschismus”.

Der Zeitpunkt hätte kaum treffender sein können. Erst wenige Tage zuvor hatte der syrische Bürgerkrieg Hamburg erreicht. Nicht nur in Kobane kämpfen Islamisten gegen Kurden. Praktisch direkt vor meiner Haustür gingen die beiden Gruppen im Stadtteil St. Georg aufeinander los. Auch heute noch lässt sich eine verstärkte Polizeipräsenz beobachten, die weitere Ausschreitungen verhindern soll. Die jüngsten Ereignisse und Pressemitteilungen über die Absage der Veranstaltung scheinen die Hamburger zu bewegen – der Saal war jedenfalls voll.

Gastgeber Kai Pinnow begrüßte den Referenten Abdel-Samad. Dem Vortrag waren Diskussionen vorausgegangen. Zuerst war die TU Harburg als Veranstaltungsort ins Auge gefasst worden. Diese Wahl sei kein Zufall gewesen, so Pinnow. An der TU Harburg hatte Mohammed Atta die berüchtigte Islam-AG gegründet, in der sich die späteren Attentäter vom 11. September 2001 radikalisierten. Zuerst schien alles glatt zu laufen, doch dann ließ der Kanzler der Universität ausrichten, dass man von dem Vorhaben Abstand nehme, um den “inneren Frieden” zu wahren. Mit ähnlicher Begründung sollte zuvor ein Auftritt des ägyptischen Islamkritikers in Dortmund abgesagt werden.

Abdel-Samad, der am Vortag Helmut Schmidt besucht habe, erntete mit dem Geständnis, noch ganz vom Mentholrauch benebelt zu sein, Lacher im Publikum. Den Altkanzler zu treffen, sei einer seiner großen Träume gewesen, der sich nun erfüllt habe. Seinem Wunsch nach einem Autogramm kam Schmidt nach – und signierte eine Zigarettenschachtel.

Abdel-Samad kam aber schnell zum Punkt und erklärte den umstrittenen Titel seines Buchs. Einen islamischen Faschismus gäbe es ebenso wie einen deutschen oder italienischen. Dies heiße aber nicht, dass alle Deutschen oder Italiener Faschisten seien. Genauso verhalte es sich hier. Nur: Die Bezeichnung “faschistischer Islam”, die er ja nie verwendet hatte, suggeriere, dass alle Muslime Faschisten seien. Ohnehin sei die Trennlinie zwischen Islam und Islamismus falsch, vielmehr solle man zwischen Islam und Muslimen unterscheiden.

Seine Thesen begründete er wie folgt: Der Islam habe sich in den 1920er Jahren radikalisiert, in denen auch italienischer Faschismus und deutscher Nationalsozialismus entstanden. Fast alle heutigen Dschihadisten hätten ihre geistigen Wurzeln in dieser Epoche. Die Muslimbruderschaft, die 1928 gegründet wurde, hatte große Sympathien für Adolf Hitler. In Propagandaschriften wurde behauptet, der Führer sei insgeheim zum Islam konvertiert. Hadsch Mohammed Hitler, so sein neuer Name, habe sogar unbemerkt von den Augen der Öffentlichkeit die Pilgerfahrt nach Mekka angetreten.

Auch der Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, hatte mit dem Deutschen Reich eng zusammengearbeitet. Nachdem sein Versuch, im Irak die britische Kolonialherrschaft abzuschütteln, gescheitert war, musste er nach Berlin flüchten. Von dort predigte al-Husseini den heiligen Krieg gegen London und Weltjudentum. Im Auftrag der SS rekrutierte er in Bosnien eine muslimische Freiwilligen-Division. Bis heute erfreut sich der Antisemitismus großer Beliebtheit in der arabischen Welt.

Entschieden wies Abdel-Samad die Behautung zurück, der Islam sei eine Blütestätte der Kultur gewesen und nur durch die imperialistischen Mächte zurückgeworfen worden. Fast 500 Jahre lang, nämlich vom letzten Kreuzzug bis zum Einmarsch Napoleons in Ägypten, hatten die Europäer keine Kriege in die arabische Welt getragen. Die Probleme im Islam seien also selbstgemacht. Auch das Goldene Zeitalter sei kein gutes Argument. Die Zentren der Kultur im islamischen Machtbereich seien eben nicht Mekka und Medina, also die heiligen Stätten, gewesen, sondern Bagdad, Damaskus, Kairo und Cordoba, wo bereits vor der arabischen Expansion Hochkulturen bestanden. Der Islam habe das Wissen nicht geschaffen, sondern nur vorgefunden. Auch der berühmte Gelehrte Avicenna, der im arabischen Raum unter dem Verweis “Wir waren mal wer!” verehrt wird, taugt kaum zum Vorbild. Denn dieser war erstens Perser und zweitens Atheist.

In einer Diskussionsrunde stellte sich Abdel-Samad den Fragen des Publikums und sorgte trotz ernsten Themas abermals für Heiterkeit. Er berichtete von seinen frustrierenden Erfahrungen als Mitglied der Islamkonferenz des deutschen Innenministeriums. Dort habe er nur wenig bewirken können. Die orthodoxen Glaubensverbände würden sich nur oberflächlich mit der Gleichstellung der Frau und den Gefahren der Radikalisierung befassen. Stattdessen sorgten sie sich um staatliche Alimentierung und würden Kritik als Islamophobie verdammen. In der Frage der Religionsprivilegien machte Abdel-Samad ein Bündnis aus. Die Großkirchen, die um ihre staatlichen Zuschüsse und Sonderrechte fürchteten, würden die Islamverbände nun drängen, stärker auf eigene Vorteile zu pochen. So könne man gemeinsam dem Laizismus begegnen. Zudem bereite ihm Sorge, dass Drittmittel an deutschen Universitäten immer häufiger von Staaten wie Katar bereitgestellt würden: “Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing.”

Indonesien sei in den vergangenen Jahrzehnten ein Vorbild gewesen. Der tolerante Kurs kehre sich jedoch langsam um. Schuld daran seien einflussreiche saudische Geldgeber, die auf ein konservatives Islamverständnis hinarbeiteten. In der Provinz Banda Aceh gelte die Scharia, Auspeitschungen seien an der Tagesordnung. Gruppen wie die Jemaah Islamiyah verübten Terroranschläge.

Natürlich kam auch der Vormarsch des “Islamischen Staats” in Syrien und dem Irak zur Sprache. Hier von einem “Missbrauch” des Islam zu sprechen, greife zu kurz. Der Koran enthalte 206 gewalttätige Passagen und 25 direkte Tötungsbefehle, darunter auch die Aufforderung zur Enthauptung.

Trotz der bedrückenden Lage im Nahen Osten zeigt sich Abdel-Samad optimistisch. Auch das Christentum habe eine Aufklärung über sich ergehen lassen. Hilfreich sei hier die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg gewesen. Die Vervielfältigung der Bibel, die zuvor oft nur in Latein verfasst war, habe die Menschen dazu animiert, sich kritisch mit dem Glauben zu befassen. Spätere religionskritische Schriften erfuhren eine große Auflage. Wohl daher lehnten viele islamische Gelehrte den Buchdruck als satanisch ab. Bis heute produziert die arabische Welt nur wenig Literatur. Große Hoffnung hegt Abdel-Samad in Bezug auf das Internet. Facebook habe den Muslimen eine völlig neue Debattenkultur ermöglicht. “Was Gutenberg in den arabischen Ländern nicht schaffte, gelang Zuckerberg.”