(hpd) Der Islamwissenschaftler Behnam T. Said legt mit “Islamischer Staat. IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden” eine erste Monographie zum Thema vor, welche auch ein ausführliches Kapitel zu den Deutschen im syrischen Jihad enthält. Der Autor erweist sich als ausgezeichneter Kenner der Materie, der ein informatives Bild auch zu den historisch-politischen Hintergründen des Phänomens vermittelt, hier und da aber auch mehr analytische Einschätzungen hätte formulieren können.
Nahezu täglich berichten die Nachrichten im Fernsehen von dem Vormarsch des “Islamischen Staates” (IS), der mittlerweile große Gebiete in Irak und Syrien unter seine Kontrolle gebracht hat und durch brutale Gewaltakte nicht nur an westlichen Geiseln auf sich aufmerksam macht.
Dabei handelt es sich trotz bedeutender ideologischer Gemeinsamkeiten mit al-Qaida indessen nicht um ein identisches Phänomen, denn dem IS geht es nicht primär um Anschläge und Schreckensverbreitung. Sie will politisch Raum und Ressourcen von Dörfern und Großstädten bis zu Ölvorkommen und Waffenarsenalen kontrollieren. Mittlerweile hat man gar ein “Kalifat” eben als eigene staatliche Form ausgerufen.
Doch wie entstand eigentlich IS? Womit kann deren Aufschwung erklärt werden? Wie steht es um das Verhältnis zu al-Qaida? Und inwieweit verfügt IS über “deutsche Brigaden”? Diesen und anderen Fragen widmet sich das Buch “Islamischer Staat. IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden”, das der Islamwissenschaftler und Salafismus-Experte Behnam T. Said vorgelegt hat.
Es gliedert sich in vier größere Kapitel: Zunächst geht es um die Geschichte des gewaltgeneigten Islamismus in Syrien, wobei der Blick zurück bis in den Beginn der 1960er Jahre reicht. Allein darauf lohnt es sich immer wieder hinzuweisen, denn ganz so neu ist das Phänomen lediglich für die Fernsehberichterstattung. Der Autor macht dabei auf häufig nicht näher beachtete Aspekte wie die Politisierung im kulturellen Bereich aufmerksam, heißt es doch etwa: “Die damals entstandene Liedkultur des Jihads war ein wichtiges Mobilisierungselement und lebt als solches bis heute fort” (S. 31).
Danach konzentriert sich die Darstellung auf den zweiten syrischen Jihad auch im Kontext des Irak-Krieges. Hier spielt auch das konfliktbeladene Verhältnis zur al-Nusra-Front als inner-jihadistische Konkurrenz eine bedeutende Rolle. Dies führte zu einer absonderlichen Situation: “Im selben Territorium operierten nicht mehr eine, sondern zwei Milizen, die sich zunächst beide darauf beriefen, Kern-al-Qaida anzugehören …” (S. 81).
Besondere Beachtung verdient danach das Kapitel zu den Deutschen im syrischen Jihad, reisten doch aus den stark anwachsenden salafistischen Milieus nicht wenige Aktivisten in die Region. Dort beteiligte man sich in unterschiedlicher Form an den militärischen Auseinandersetzungen aber auch an unvorstellbaren Grausamkeiten. Said kommentiert: “Das Streben nach dem sogenannten Märtyrertod scheint aber nicht in jedem Fall die ausschlaggebende Motivation für die Auswanderer zu sein. In der Propaganda überwiegen zumeist politische Argumente oder die Erinnerung an die angebliche Verpflichtung zur Auswanderung in ein muslimisches Land und zum Jihad” (S. 166). Und schließlich geht es noch um die allgemeine geopolitische Interessenlage beim Krieg in Syrien, der eben nicht nur ein schlichter Bürgerkrieg sei. Ebendort kämpfen die verschiedensten Akteure gegeneinander. Indessen: “Islamisten haben den Aufstand … nicht ausgelöst, aber sie waren in der Lage, ihn recht schnell zu dominieren …” (S. 190).
Dies führt Said auf die lange Tradition des islamistischen Widerstands gegen das Ba’th-Regime in Syrien zurück. Nicht nur in diesem Punkt macht somit der Autor auf die Deutung des Konfliktes in historischer und politischer Hinsicht aufmerksam. Er erweist sich dabei als ausgezeichneter Kenner der Materie, der auch scheinbar randständige Aspekte wie eben den kulturellen Bereich in die Beschreibung und Erörterung einbezieht. Insofern ist ihm eine mehr als nur anregende und erkenntnisfördernde Darstellung ohne die Nachteile eines publizistischen Schnellschusses gelungen.
In der Gesamtschau hätte man sich aber mehr Analyse gewünscht. Es gibt zwar Passagen wie: “Dort, wo ISIS sich festsetzte, eröffnete er auch Schulen, was erheblichen Anlass zur Sorge bietet. In Verbindung mit dem … Aufbau staatlicher Strukturen zeigt diese Maßnahme, dass die Miliz .. einen Bewusstseinswandel bei der Bevölkerung anstrebt” (S. 70). Doch solche Einschätzungen hätten größeren Raum einnehmen können. Gleichwohl handelt es sich um ein gelungenes Werk zum Thema.
Behnam T. Said, Islamischer Staat. IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden, München 2014 (C. H. Beck-Verlag), 223 S., 14,95 Euro