Islamisierung als Kampfbegriff

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Alan Posener
Alan Posener

BERLIN. (hpd) Zur “Pegida” als Bewegung hat die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache das Nötige in der angemessenen Kürze gesagt. Interessanter scheinen mir die Reaktionen außerhalb Dresdens und des unmittelbaren ideologischen Einflussbereichs der Pegida. Auf sie passt das Wort vom “hilflosen Antifaschismus”.

Einige Kommentatoren haben sich einen Spaß daraus gemacht, sich über die in der Tat alberne Verwendung des Begriffs “Abendland” durch die Pegida-Leute zu mokieren. Andere haben darauf hingewiesen, dass es kaum irgendwo in Deutschland weniger Anzeichen für eine “Islamisierung” gibt als im Süden Sachsens. (Von den angrenzenden EU-Staaten Tschechien, Slowakei und Polen ganz zu schweigen.)

Diese Kommentatoren – ebenso wie jene Politiker, die meinen, man müsse “die Ängste der Menschen ernst nehmen” – übersehen, dass die “Islamisierung” ein Kampfbegriff gegen die Demokratie ist, wie vor 1945 die “Verjudung”.

Das Problem besteht nicht darin, dass – sagen wir – 20.000 Dresdener die Islamisierung Europas für eine Gefahr halten, sondern dass es bis weit in bürgerliche Kreise hinein ein Gefühl gibt, die Leute könnten ein bisschen Recht haben. Das Problem besteht nicht darin, dass einige Tausend Dresdener “Lügenpresse!” brüllen, weil sich die seriösen Medien der Kampfparole “Islamisierung” nicht bedienen wollen. Das Problem besteht darin, dass sich die seriösen Medien getroffen fühlen.

Damals “Verjudung”; heute “Islamisierung”

Noch einmal: Die Parole von der “Islamisierung” ist nicht bloß eine falsche Behauptung, nicht bloß eine Übertreibung. Sie ist der Versuch, die demokratische Ordnung, das “System”, zu delegitimieren, weil sie die “Islamisierung” nicht stoppt oder sie gar fördert. So wurde die Parole von der “Verjudung” von den Nazis verwendet. Die Nazis konnten mit dieser Parole aber nur reüssieren, weil viele Leute damals das Gefühl hatten, sie könnten ein bisschen Recht haben.

Wie Philipp Jenninger in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Reichskristallnacht (ich weiß, ich weiß; ich verwende den Begriff trotzdem) ausführte: “Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals –, die ihnen nicht zukam? Mussten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? Und vor allem: Entsprach die Propaganda – abgesehen von wilden, nicht ernstzunehmenden Übertreibungen – nicht doch in wesentlichen Punkten eigenen Mutmaßungen und Überzeugungen?”

So war es.
Und so, wie es heute Muslime gibt, die der Mehrheitsgesellschaft bescheinigen, ihre Ängste seien nicht völlig irrational, so hatten damals nicht wenige Juden das Gefühl, es gebe tatsächlich so etwas wie ein “Judenproblem”. Mit etwa zwanzig Jahren dichtete mein Vater folgenden Schüttelreim: “Beim Bach-Konzert im Kassenraum / Siehst du nur Juden, andere Rassen kaum.” (Damals warf man den Juden vor, sich durch Überassimilation in den Volkskörper hineinzuschleichen und ihre jüdische Herkunft zu verschleiern; heute wirft man den Muslimen vor, sich nicht assimilieren zu wollen. Wie man’s macht, ist’s falsch.)

Ja, sagen die Leute, die meinen, man könnte zugleich Philosemit und Islamhasser sein, aber der Antisemitismus war doch offenkundiger Blödsinn! Die Juden waren doch die unschuldigen Opfer wild gewordener deutscher Kleinbürger; aber die Muslimen sind tatsächlich eine Gefahr. Es gibt ja den islamistischen Terror; einen jüdischen Terror hat es nie gegeben.