Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin

"Haut ab!" enttäuscht

Im Raum über das Christentum schließlich stehen wir vor einem Rubensgemälde, auf dem die Beschneidung Jesu dargestellt ist. Künstlerisch beeindruckend ist vor allem was sich innerhalb des Gemäldes über dem Altar mit dem Baby abspielt: "Aus dem himmlischen Licht, umgeben von anbetenden und präsentierenden Engeln, erscheint der göttliche, und eben nicht von Menschenhand gemachte Name Jeschua als Tetragramm in hebräischen Lettern." (zitiert aus dem Ausstellungskatalog). Angesichts dieser feierlichen Darstellung, kann ich es mir nicht verkneifen, verständig zu kommentieren: "Jetzt verstehe ich auch endlich, warum es für das Christentum so notwendig war, dass Gott einen Sohn und keine Tochter hatte: Was hätte Rubens denn sonst darstellen sollen? Das ginge ja überhaupt nicht!" Der Museumsführer strahlt mich begeistert an und stimmt mir zu: "Ja, genau so ist es!"

Nachdem also – bedauerlicherweise – weder die Exponate noch die religionswissenschaftliche Führung durch die Ausstellung neue Erkenntnisse hinsichtlich des Themas der Knabenbeschneidung erbracht haben, mache ich mich auf den Heimweg und suche im Nachgang nach Antworten auf meine Fragen im Ausstellungskatalog.

Der Ausstellungskatalog

Von einer Ausstellung, deren Sinn erklärtermaßen darin liegt, um Toleranz und Respekt für eine religiös begründete Körperverletzung an Kindern zu werben, ist nichts anderes zu erwarten, als dass die ausgewählten Exponate und deren Präsentation optisch wie inhaltlich darauf ausgerichtet sind, von allem, was unangenehm oder verstörend wirken könnte, abzulenken und folkloristische Elemente in den Vordergrund treten zu lassen. Dass ein Museumsmitarbeiter scheinbar angehalten ist, seine Führung emotional zu gestalten, in dem er immer wieder nach Befindlichkeiten und Gefühlen in der Gruppe fragt, und leider auch nicht weiß, was genau in einem Gesetz steht, dessen Text in unübersehbar großen Lettern eine der Tafeln der Ausstellung ziert, wirkt irritierend, könnte aber ein Zufall sein. Dass ein so umfangreicher Ausstellungskatalog mit so viel Textmaterial so viele Fragezeichen und Ungereimtheiten enthält, erstaunt mich dann aber doch.

Der Katalog beginnt mit einem Grußwort der Programmdirektorin Cilly Kugelmann, die rückblickend auf die Beschneidungsdebatte von 2012 davon spricht, dass Atheisten religiöse Positionen "verbittert bekämpften" und Kinderärzte die Beschneidungspraxis als traumatisierenden Einschnitt "attackierten" – ein rhetorisch äußerst unsachlicher Einstieg in das Thema. Der Artikel von Gerhard Langer stellt dann wichtige Aspekte der Beschneidung in der rabbinischen Tradition vor. Besonders stolpert man über folgenden Satz: "Die Vorstellung von Beschneidung als Akt der Vervollkommnung des Menschen ist nicht neu." Was genau bezweckt der Autor mit dieser Feststellung? Und wem darf er wofür zur Rechtfertigung dienen? Wie viel darf eine Religionsgemeinschaft einem Kind abschneiden und welchen Geschlechts muss es sein und welcher Religionsgemeinschaft müssen seine Eltern angehören, damit der Gesetzgeber sich verantwortlich fühlt, einzugreifen?

"Die Vorstellung von Beschneidung als Akt der Vervollkommnung des Menschen ist nicht neu." Nein, sie ist sogar sehr alt. Sie ist noch älter als das Judentum. Wirbt Gerhard Langer an dieser Stelle um Verständnis und Respekt? Und wenn ja: Wofür?

Es folgt ein Text von Alfred Bodenheimer zur Beschneidungsdebatte aus jüdischer Perspektive. Der Autor beschreibt ausführlich, warum gerade "die Juden" in Deutschland ganz besonders unter der Debatte gelitten haben. Einer Umfrage zufolge seien "die Juden" über diese schockiert und verletzt gewesen, "die Muslime" hätten darin eher eine unerfreuliche Fortsetzung der Sarazin-Debatte gesehen.

Wenn Bodenheimer von "den Juden" und "den Muslimen" in Deutschland spricht, vergisst er diejenigen Söhne jüdischer und muslimischer Eltern, die in Deutschland leben und die das Trauma ihrer Beschneidung tagtäglich belastet. Als die wahren Verlierer der Debatte müssen sie es ertragen, in einem Land zu leben, in dem ihr Schmerz nicht einmal soweit respektiert wird, dass sie einen Anspruch auf Schadensersatz hätten. Sie müssen ertragen, dass das, was man ihnen angetan hat zum "Recht" aller Eltern erklärt wurde. "Die Juden", die schockiert waren, "die Muslime", die die Debatte als unerfreulich empfunden haben, waren letzten Endes diejenigen, die in vollem Umfang bestätigt wurden und seitens der Gesetzgebung alle Forderungen zugestanden bekamen.

Die traumatisierten Söhne jüdischer und muslimischer Eltern müssen in Deutschland damit leben, dass ihre Unversehrtheit ihrem Staat weniger gilt als die Schockiertheit derer, die "Recht" bekommen haben. Noch mit seinem letzten Satz negiert Bodenheimer offenbar die Existenz dieser Männer: "Es braucht jenseits aller Bekenntnisse von Politikern und gesetzgeberischen Korrektive, nur einen Anlass, und sie [die Juden] werden als Minderheit wieder zum Objekt der Ablehnung einer selbsterklärten Konsensgemeinschaft."

In seinem Beitrag über die Knabenbeschneidung und ihre Bedeutung für die muslimische Religionspraxis und Identitätsbildung stellt Ilhan Ilkilic zunächst Unterschiede über den Zeitpunkt der Knabenbeschneidung in unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen heraus. Bei der Nennung der schafiitischen Rechtsschule vergisst er dabei tatsächlich, darauf hinzuweisen, dass die Schafiiten nicht nur ihre Söhne an der Penis- sondern auch ihre Töchter an der Klitorisvorhaut beschneiden lassen. Ein – auf der Skala der Verletzungstiefen bei weiblicher Genitalverstümmelung vergleichsweise (!!!) kleiner – Schnitt, der in Deutschland seit gar nicht langer Zeit strikt verboten ist. Schade, dass Ilkilic diese Information hier vorenthält – es wäre interessant geworden, wie er seine Argumentation weiterhin aufrecht erhalten und zugleich das Strafgesetz nicht infrage gestellt hätte.

Dennoch führt er für die Beschneidung von Jungen teilweise dieselben Argumente ins Feld, wie es die Befürworter der Mädchenbeschneidung tun, wenn er schreibt "Ein unbeschnittener Mann könnte Schwierigkeiten haben, einen Ehevertrag abzuschließen, da er von einer muslimischen Frau und ihrer Familie nicht akzeptiert würde." Vielleicht ist ihm dies beim Schreiben sogar aufgefallen, denn wenig später weiß er: "Ebenso kann nicht von einer Organschädigung und der damit verbundenen Organdysfunktion gesprochen werden, wie sie bei der Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen vorkommt."

Leider setzt er hier auf die Unwissenheit seiner Leserschaft. Zum einen arbeitet er mit einem schwammig definierten Begriff weiblicher Genitalverstümmlung (denn hier gibt es Varianten mit vergleichsweise wenig oder gar ohne Gewebeverlust), zum anderen bezieht er sich mit der Dysfunktion augenscheinlich nur auf einen Aspekt der Geschlechtsorgane – nämlich den der Fortpflanzung.

Abschließend stellt er fest, dass "nach islamischem Glauben die Beschneidung von Knaben als eine elementare, unverzichtbare und unersetzliche Pflicht zu bewerten ist" – eine durchaus kühne und viele Fragen zurücklassende Behauptung angesichts der Tatsache, dass Beschneidung im Koran nicht erwähnt wird. Nebenbei bemerkt ist dies als implizite Diffamierung aller muslimischer Eltern zu werten, die auf den Eingriff verzichten und sich dennoch als religiöse und gläubige Menschen verstehen. Hier wäre ein bisschen von jener Einfühlsamkeit und dem Verständnis anderen gegenüber zu wünschen gewesen, das von Seiten der Beschneidungsbefürworter unermüdlich eingefordert wird.

In seinem Artikel "Gesundheit, Krankheit und Glaube. Der Streit um die Beschneidung" fasst Sander L. Gilman verschiedene medizinische Argumente für und gegen die Knabenbeschneidung zusammen und stellt dann fest: "Keine medizinische Beschneidungsdiskussion ist je unabhängig von ideologischen Sichtweisen geführt worden." Beim Lesen dieser Aussage stellt sich zunächst Verwunderung ein. Es ging der Ausstellung ja um die Darstellung eben jener ideologischer Sichtweisen. Die Medizin sollte außen vor bleiben. Mit welcher "Ideologie" stehen die Gegner der Beschneidung den religiösen "Ideologen" denn entgegen? Am Ende des Artikels finden wir die Antwort darauf. "[…] die Gegner beklagen eine Verletzung der Menschenrechte […]. Diese ideologischen Haltungen beeinflussen die Wissenschaft in alle Richtungen […]"

Wenn religiösen Ideologien nun die Verteidigung der Menschenrechte als eine konträre Ideologie gegenübersteht, müssen wir uns ernsthaft fragen, ob dies noch im Sinne einer auf Vielfalt und friedliches Miteinander ausgerichteten Gesellschaft ist.

Ich schließe meine Lektüre des Katalogs ab und frage mich, ganz nach dem Beispiel der Museumsführung, die ich heute erlebt habe, was ich nach dem Gesehenen und Erfahrenen jetzt empfinde. Ich bin zwiegespalten. Als Religionswissenschaftlerin ärgere ich mich maßlos und bin zutiefst enttäuscht. Vom Jüdischen Museum Berlin hätte ich mehr erwartet. Ich hatte auf mehr Sachlichkeit gehofft, auf mehr Ehrlichkeit, auf vorsichtigere und durchdachtere Argumentationsketten. Auf mehr Mut, zu dem zu stehen, was man verteidigt und wofür man Respekt einfordert. Mehr als eine oberflächliche, auf Folklore und Kunstobjekte beschränkte Herangehensweise. Schade. Als Menschenrechtlerin aber bin ich froh und erleichtert: Auch nach dieser Ausstellung erscheinen keine neuen oder bisher in der Debatte angeblich vernachlässigten Argumente für die Erlaubnis einer Manipulation der Geschlechtsteile von Kindern. Und das ist ein beruhigender Gedanke.