Betrachtungen zu Freiheit und Moderne auf dem Prüfstand

BONN. (hpd) Der Philosoph Odfried Höffe legt in seinem Buch "Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne" eine Erörterung von Ambivalenzen im Kontext der Freiheit in unterschiedlichen Themenfeldern vor. Bei allem Interesse für die präsentierten Erörterungen wäre wohlmöglich weniger mehr gewesen, also die nähere Konzentration auf wenige Problempunkte unter Vermeidung von Allgemeinplätzen.

"Kein Mensch bekämpft die Freiheit", formulierte einst der junge Karl Marx, "er bekämpft höchstens die Freiheit der andern." Diese Aussage, die auch für manche Anhänger des Genannten galt und gilt, findet sich in dem Buch "Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne", das der frühere Professor für Philosophie an der Universität Tübingen Odfried Höffe vorgelegt hat. Der Aristoteles- und Kant-Spezialist lässt auch in dieser Abhandlung seine Anlehnung an die genannten Klassiker erkennen.

Indessen beschränkt sich Höffe nicht auf eine Aufarbeitung des Freiheitsverständnisses von Aristoteles oder Kant, welche zwar häufig, aber nicht nur Erwähnung finden. Dem Autor geht es vielmehr um eine grundsätzliche Erörterung des Freiheitsverständnisses in der Gegenwart der Moderne, wobei er gleich zu Beginn auf die Ambivalenzen und Selbstgefährdungen hinweist. Indessen betont Höffe: "Die Freiheit, so lautet die Leitthese… hat für den Menschen generell und für die Moderne im besonderen eine konstitutive Bedeutung" (S. 13).

Derartige Ankündigungen lassen die Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen zum Thema erwarten, was aber bei diesem Autor nur teilweise der Fall ist. Er neigt weder einer pathetischen Beschwörung noch einer pessimistischen Relativierung der Freiheit zu. Statt dessen solle sie im Lichte gegenwärtiger Fragen in der Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt werden. Dabei folgt Höffe "der Leitfrage, ob man gegen die schon modisch gewordene Skepsis nicht seinerseits skeptisch sein und auf der Grundlage genauerer Diagnosen, selbstverständlich mit der Anstrengung von Begriff und Argument, für eine Erneuerung beider, des Prinzips Freiheit und des Projekts der Moderne, plädieren darf" (S. 13). Als definitorische und problemorientierte Einführung schickt der Autor seinen Betrachtungen unterschiedlicher Felder eine theoretische Erörterung vorweg, welche bezogen auf das Freiheitsverständnis neben den nötigen Differenzierungen und Typologisierungen auch auf die Ambivalenzen und den Spannungsreichtum des Gemeinten verweist.

Erst danach geht es um die Fragen der Gegenwart, wobei die Ausführungen von der Freiheit von Naturzwängen und der Freiheit in Gesellschaft und Wirtschaft über die Freiheit von Kunst und Wissenschaft bis zur Freiheit in der Politik und der Freiheit von Personen reichen. Daher arbeitet Höffe eine Fülle von Detailfragen ab. Um die inhaltliche Spannweite des Textes zu ermessen, seien hier einige Themenfelder genannt: Datenschutz und Mediendemokratie, dynamische Identität und interkulturelles Strafrecht, freiheitsförderndes und freiheitsgefährdendes Wissen, Finanzkapitalismus und ökosoziale Marktwirtschaft, Pluralismus und Toleranz, Freitod und Sterbebegleitung. Besondere Aufmerksamkeit findet auch die Debatte, die durch Gehirnforscher um die Grenzen und Möglichkeiten des freien Willens angestoßen wurde. Höffe endet mit der Feststellung: "Weder zum Prinzip Freiheit noch zum Projekt der Moderne gibt es eine grundsätzliche Alternative. Ebenso grundsätzlich bedürfen sie immer wieder der kritischen Erneuerung" (S. 375).

Damit hat man es dann doch mit einem Allgemeinplatz zu tun. Indessen durchziehen nur bestimmte Kapitel derartige Texte. So heißt es etwa zum Internet: "Bei jedem Aspekt hat sich neben Chancen für die Freiheit auch ein erhebliches Gefahrenpotential gefunden" (S. 273). Hier gilt denn auch die Einsicht: Weniger wäre mehr gewesen. Anders formuliert: Die ausführlichere Beschäftigung mit bestimmten Fragen hätte den Lesern mehr gebracht als die Perspektive einer umfassenden Erörterung von vielen Themen. Beachtenswert, gelungen und innovativ sind etwa die Ausführungen über die Erziehung zur Kultivierung oder zur Notwendigkeit einer föderalen Weltrepublik. Demgegenüber ignoriert das Kapitel über die Freiheit in der Wirtschaft, dass diese dort aufgrund des unterschiedlichen Status’ der Akteure eben gerade zur Relativierung der allseitigen Freiheit führen kann. Darüber hinaus deutet Höffe auch Rousseau allzu sehr als Freiheitsdenker, der er auch, aber nicht nur war. Insgesamt handelt es sich somit um ein beachtenswertes, aber nicht immer überzeugendes Werk.


Otfried Höffe, Kritik der Freiheit. Das Grundproblem der Moderne, München 2015 (C. H. Beck-Verlag), 388 S., 29,95