Kommentar

Kirche & Geschichtsrevisionismus – Damals wie heute ein Problem

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Verdun

TRIER. (hpd) Eine jüngst vergebene Millionenspende an zahlreiche katholische und protestantische Kirchengemeinden seitens der äußerst rechtslastigen „Stiftung Preußisches Kulturerbe“ zeigt auf, dass die Kirchen in Deutschland eine eher oberflächliche Aufarbeitung ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert betrieben haben.

Viele einflussreiche Kirchenobere distanzieren sich nicht eindeutig von umstrittenen Aussagen des Vertreters der Stiftung und ehemaligen Bundeswehroffiziers Max Klaar. Dieser machte etwa durch beispielsweise folgende Aussagen auf sich aufmerksam: „Deutsche haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als den Tag anzusehen, an dem die Ausschlachtung des völlig entrechteten Deutschlands begann! Das sollten wir jedem entgegnen, der uns mit der 'Befreiungs-Lüge' kommen will.“ An dieser Stelle ist es bedauerlich, dass sich Historiker wie Fritz Fischer nicht mehr deutlich zu Wort melden können.

Die Frage, welche europäische Großmacht für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich ist, hat die Geschichtswissenschaft wie auch die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten beschäftigt und wird sie wahrscheinlich auch einige weitere Jahrzehnte beschäftigen, weil darauf keine eindeutige Antwort geliefert werden kann. Die Debatte hat jedoch ein klares Ergebnis ans Tageslicht befördert: Keine einzige europäische Nation hat das Recht, sich in eine Opferrolle zu flüchten, denn sie sind gleichermaßen für das Leid und den Tod vieler Millionen Menschen verantwortlich. Auch die Kirchen müssen sich dieser Verantwortung stellen. Viele damalige Geistliche und Kirchenoberhäupter unterstützten bewusst einen aggressiven Nationalismus und nahmen den Ausbruch des Krieges billigend in Kauf. Daher kommt es einem Skandal gleich, wenn der katholische Potsdamer Pfarrer Klaus-Günter Müller in Bezug auf den Versailler Friedensvertrag von 1919 sich deutschnationalem Vokabular bedient: „[...] Und wenn man einen ungerechten Frieden macht: dass das nach Revanche schreit, ist doch klar.

Das Problem an solchen Aussagen ist nicht, dass sich mit den Bestimmungen des Versailler Vertrags kritisch auseinandergesetzt wird. Vielmehr ist es ein Problem, welche Konsequenzen Menschen wie Klaus-Günter Müller aus einem solchen Vertragswerk ziehen. Zweifelsohne hat der Vertrag einer internationalen Aussöhnung erheblich geschadet und einer gemeinsamen Aufarbeitung des Konfliktes im Wege gestanden. Doch diesen als Rechtfertigungsgrund zu nehmen, um einen verletzten Nationalstolz wiederherzustellen und Rachegedanken für legitim zu erklären, ist nicht nur aus heutiger Perspektive äußerst rückständig, sondern ist die selbe Methode, die sich zu Weimarer Zeiten auch Deutschnationale und Nationalsozialisten zunutze machten. Solange sich die Kirchen solcher Zusammenhänge nicht bewusst sind und diese nicht aufgearbeitet haben, gehören sie zu den denkbar ungeeignetsten Institutionen, die sich zur Geschichte des 20. Jahrhunderts äußern sollten.

An dieser Stelle wünscht man sich eine weitere Fischer-Debatte herbei, die diesen Augenwischereien ein Ende bereitet und gegen ein kollektives Vergessen ankämpft. Kurz zum Hintergrund dieser Debatte: Im Jahr 1961 veröffentlichte der Hamburger Historiker Fritz Fischer sein berühmtestes Werk „Griff nach der Weltmacht“. Darin erläutert er das bewusste Streben des kaiserlichen Deutschlands nach einer europäischen Hegemonialstellung und bezieht sich dabei auf das Septemberprogramm Reichskanzlers Bethmann-Hollweg, das große Annektionen vorsah in Erwartung eines raschen Sieges. Darüber hinaus verwies er auf umfangreiche Quellen u.a. des Auswärtigen Amtes, die auf eine länger zurückreichende Kriegsvorbereitung hinweisen. Des Weiteren sah Fischer zwischen der Kriegspolitik des Kaiserreiches und des NS-Regimes eine Kontinuität und widersprach damit deutlich dem damaligen konservativen Konsens, das NS-Regime sei ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte. Fischer löste mit seinen Thesen eine neue und nachhaltige Art der Auseinandersetzung aus, die unsere Gesellschaft im kritischen Umgang mit Nationalismus und Geschichtsrevisionismus noch heute prägt.

Dass Institutionen wie die Stiftung Preußisches Kulturerbe eine deutsche Kriegsschuld zu relativieren sucht, sollte dagegen bedenklich stimmen und zu Gegenmaßnahmen motivieren. Auch sollte es als ernst zu nehmendes Problem begriffen werden, dass viele Kirchengemeinden nahezu widerspruchslos Geld von solchen Stiftungen annehmen und ihrem Gedankengut bedenkenlos zustimmen. Die Kirchen haben heutzutage immer noch einen erheblichen Einfluss auf das politische Denken unserer Gesellschaft. Sollten die Kirchen revisionistische Positionen dauerhaft in ihren Predigten etablieren, könnten die Folgen katastrophal ausfallen. Denn Nationalismus beinhaltet nahezu zwangsläufig nicht nur die aggressive Abgrenzung gegenüber anderen Nationen, sondern auch die Diskriminierung und Verfolgung ethnischer und anderer Minderheiten. Daher  erscheint es unter diesen Umständen äußerst heuchlerisch, Nächstenliebe zu predigen, aber Revisionismus wohlwollend zu akzeptieren.