Kommentar

Die Kirche ist nicht mehr zu retten

kirche.png

Bei der Church of England bleiben die Kirchenbänke zunehmend leer

BERLIN. (hpd) Im vergangenen Jahr musste die katholische Kirche etwa 220.000 Kirchenaustritte verzeichnen – so viele wie nie zuvor. Bei der evangelischen Kirche muss sogar von weitaus höheren Zahlen ausgegangen werden. Die Kirche führt dazu teils fadenscheinige Gründe an. 

Gestern wurden die statistischen Daten des vergangenen Jahres von der Deutschen Bischofskonferenz und den 27 (Erz-)Diözesen veröffentlicht. Sie belegen, dass sich die Zahl der Kirchenaustritte auf Rekordniveau befindet. 217.716 Menschen haben der katholischen Kirche letztes Jahr den Rücken gekehrt. Das sind etwa 22 Prozent mehr als 2013 mit 178.805 Austritten. Eine Entwicklung, die bei der evangelischen Kirche vermutlich noch drastischer ausfallen wird. Genaue Zahlen wurden dazu aber noch nicht veröffentlicht. 

Laut Freiburger Erzbischof Stephan Burger spielten bei dem Anstieg der Austrittzahlen "offenbar Irritationen durch das neue Einzugsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge, das von vielen Menschen irrtümlich als 'Steuererhöhung' gedeutet wurde" eine Rolle. Seit 2015 wird die in gleicher Höhe bestehende Kirchensteuer auf die Kapitalertragssteuer erhoben. Ist also ein Missverständnis der Grund für mehr Kirchenaustritte? Es darf daran gezweifelt werden, dass dies eine hinreichende Erklärung für den Mitgliederschwund ist. 

Ebenso fadenscheinig ist die Aussage der katholischen Laienorganisation "Wir sind Kirche". In einer Pressemitteilung heißt es: "Nur wenn sich alle deutschen Bischöfe endlich entschieden und aus vollem Herzen zum pastoralen und reformerischen Kirchenkurs von Papst Franziskus und des Konzils bekennen, besteht die Chance, dass dieser Exodus gestoppt oder gar umgekehrt werden kann."

Es spricht vieles dafür, dass der Kirchenaustritts-Trend nicht mehr gestoppt werden kann. Jorge Mario Bergoglio alias Papst Franziskus wird daran auch nichts ändern. Denn in letzter Zeit wurde immer deutlicher, dass Franziskus in vielen Punkten weitaus reaktionärere Ansichten vertritt als sein Amtsvorgänger. Seine Äußerungen bezüglich Satirefreiheit, der Gleichstellung von Homosexuellen, Schwangerschaftsabbruch, oder das Schlagen von Kindern waren nur vereinzelte Beispiele für seine anachronistische Weltanschauung. Für viele Kirchenmitglieder, die sich einen modernen, weltoffenen Papst erhofften, ist die theologische Ausrichtung Bergoglios ein enttäuschendes Ärgernis. 

Doch die Situation der Kirchen ist weitaus dramatischer. Es ist eine Lose-Lose-Situation. Mit jeder Verweltlichung, jeder Modernisierung und jeder Anpassung an den "modernen Zeitgeist" verlieren die Kirchen an Bindungskraft. Denn wozu braucht es eine Kirche, die bloß mit religiösem Dialekt predigt, ohne religiöse Inhalte zu vermitteln? Mit zunehmender theologischer Substanzlosigkeit schwindet die Bedeutung der Kirchen. Denn ihre Funktion als Inseln traditionsgebundener Geborgenheit in einem Meer unübersichtlicher Vielfalt geht damit verloren. Damit stehen die Kirchen verstärkt in Konkurrenz mit anderen Institutionen, welche nachvollziehbare Organisationsstrukturen und Inhalte vertreten. Diese Dynamik bekommt besonders die evangelische Kirche zu spüren.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, erklärte: "Die heute veröffentlichte Statistik zeigt, dass Kirche vielgestaltig ist und eine missionarische Kraft hat, auch wenn uns die hohe Zahl von Kirchenaustritten schmerzlich bewusst macht, dass wir Menschen mit unserer Botschaft nicht erreichen."

Damit verkennt Marx, dass die kirchliche Botschaft durchaus wahrgenommen wird. Sie passt für viele aber einfach nicht mehr in das 21. Jahrhundert. Egal, wie die Kirchen sich verhalten: Sie werden der Lebenswirklichkeit einer offenen, fortschrittlichen Gesellschaft nicht gerecht.