Trennung von Staat und Kirche

Einen richtigen Ansatz neu denken!

grundgesetze.jpg

Grundgesetze
Grundgesetze

BERLIN. (hpd) Regelmäßig liefern die Medien Schlagzeilen über Glauben, Religionsgemeinschaften und Kirchen. Einmal geht es um Kruzifixe in öffentlichen Schulen, dann steht zur Debatte, ob Lehrerinnen oder Richterinnen Kopftücher oder Burka tragen dürfen. Ein Fußballstar aus Italien wehrt sich vor Gericht gegen eine Nachzahlung der ihm unbekannten Kirchensteuer in Millionenhöhe für seine Zeit als Spieler beim FC Bayern.

Die Zeitungen und Webseiten sind voll mit Beiträgen, ob religiöse Karikaturen und Satiresendungen, sei es über Mohammed oder andere Glaubensgewaltige staatlich geschützt oder bestraft werden sollen. Soll der Staat weiterhin Alimente für Bischöfe zahlen, die Kirchensteuer eintreiben und den Kirchen ihren Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach spendieren? Wieweit darf sich der Staat mit den Kirchen verbrüdern oder auch in eigener Regie Lehrstühle für Theologie besetzen?

Vorbei die Zeiten der Mutmaßung, Religion habe sich mit dem wachsenden Stand der Aufklärung allmählich überlebt und stehe kurz vor dem Absterben (dazu: Paul Nolte, Religion als neue gesellschaftliche Ressource, in: Vorgänge Nr. 173, S. 3 ff.) Spätestens seit Huntington wissen wir, dass weltweit die Rolle der Religion bei der Formierung von Gesellschaften untereinander und gegeneinander eher zunimmt. Die Gründe dieser Entwicklungen sind vielfältig, der Zusammenbruch der Glaubwürdigkeit weltlicher Ideologien wie des Sozialismus oder eines autokratischen Kapitalismus hat hier weltweit ein Vakuum entstehen lassen, in das Religionen einströmen. Eine genauere Untersuchung der Ursachen würde diesen Beitrag sprengen.

Grundgesetz weist nicht den Weg / Kein Segen aus Karlsruhe

Das Grundgesetz schreibt keine strikte Trennung von Staat und Religion vor. Neben der gerne zitierten und oft überinterpretierten Absage an das Staatskirchenturms finden wir im Grundgesetz vielmehr Bestimmungen über die Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen, die Verleihung des Körperschaftsstatus, den Einzug der Kirchensteuer sowie die Anstaltsseelsorge (Art. 136–141 WRV) garantiert, in dem sich auch der Satz findet "Es besteht keine Staatskirche."

Dieses Bündel von Privilegien ist durch Artikel 140 Teil des Grundgesetzes. 1949 wurden im Grundgesetz darüber hinaus noch der Religionsunterricht (Art. 7) und die Fortgeltung der Verträge mit den Kirchen garantiert.

Kirchen, die bereits 1919 Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, behielten 1919 diesen Status. Zugeschnitten war diese Regelung auf die beiden Großkirchen; andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ohne diesen "ererbten" Status haben seitdem das Recht, ihn zu erwerben. Sie müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die der Organisationsform der Großkirchen angelehnt sind. So hat sich in den fast 100 Jahren ein Zweiklassenrecht entwickelt. Wer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt wird, kann den Staat zur Beihilfe beim Eintreiben der Mitgliedsbeiträge verpflichten ("Kirchensteuern"). Sie können ein eigenes Arbeitsrecht für Beschäftigte entwickeln und sie müssen auch keine Steuern und Gebühren zahlen.

Wer diesen privilegierten Status nicht hat, nimmt in der zweiten Reihe Platz. Der Staat bevorzugt Partner, die hierarchisch organisiert, bundesweit tätig sind und ihren Verein halbwegs im Griff haben. Noch besser, diese Religionsgemeinschaften verfügen auch über einen eigenen Klerus. Wer hier – auch aus religiösen Gründen - anders organisiert ist, hat das Nachsehen. Gerade der Islam in Deutschland tut sich – mit wenigen Ausnahmen – schwer, in die Fußstapfen der Großkirchen zu treten. Es widerspricht aber der Neutralitätspflicht des Staates, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften eine bestimmte Organisationsstruktur aufzudrängen. Das ist eines der Grundprobleme der sog. "Islamkonferenz". Gerade staatlich gelenkte konservative Organisationen wie die von der türkischen Regierung gelenkte DITIP nutzen diese Erwartungshaltung geschickt aus und stärken so ihren Einfluss innerhalb des Islam in Deutschland.

Trennung von Staat und Kirche neu denken

a) Rechtslage unbefriedigend

Eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Verfassungsänderung ist noch für lange Zeit nicht in Sicht. Dabei wäre es durchaus möglich, neben dem Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit in Artikel 4 GG die besondere Rolle von Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften analog der Stellung der Tarifparteien in Artikel 9 GG oder der Parteien in Artikel 21 GG festzuschreiben. Auf diese Weise würde der überfällige Wandel von halbstaatlichen Körperschaften hin zu zivilgesellschaftlichen Kräften auch offiziell vollzogen, ohne ihnen die Beine wegzuschlagen und an der Fortsetzung ihrer Arbeit zu hindern.

Vom Bundesverfassungsgericht und der rechtswissenschaftlichen Lehre an den Universitäten ist wenig zu erwarten. Eine kritische rechtswissenschaftliche Diskussion zum Staatskirchenrecht wird zudem dadurch erschwert, dass das Rechtsgebiet "Staatskirchenrecht" fest in der Hand der beiden christlichen Großkirchen ist. Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht dazu angetan, größere Reformerwartungen zu wecken. An kaum einer anderen Stelle ist die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts so halbherzig und widersprüchlich. Es mag sein, dass sich längerfristig auch durch Neubesetzungen des Bundesverfassungsgerichts hier ein Wandel einstellt. Verlassen können wir uns aber nicht darauf, dass die notwendigen Reformen durch Rechtsprechung und Lehre angestoßen werden.

b) historische Anmerkung

Das geltende Staatskirchenrecht ist ein Relikt aus der Vergangenheit und kein Wegweiser in die Zukunft. Es markiert den Übergang von der Staatskirche wilhelminischer Prägung zum liberalen Verfassungsstaat. Wenn aber das Problem der Privilegierung der Kirchen nicht durch Klagen vor Gericht zu lösen ist, lohnt es sich, neu über politische Strategien nachzudenken, um der kritischen Diskussion neuen Schwung zu geben. Bevor wir folglich die Inkonsequenz der Verfassung und ihrer obersten Hüter beklagen, sollten wir die säkulare Forderung nach Trennung von Staat und Kirchen ggf. politisch und strategisch neu ausrichten.

Die historische Genese der Forderung nach Trennung von Staat und Kirchen ist überaus komplex und keineswegs das Einzelkind aufgeklärter Fundamentalkritik an den Kirchen. Sie wurde vielmehr gerade auch von den Kirchen bzw. den Gläubigen erhoben, um sich gegen den Druck der Obrigkeit zu wehren, beispielsweise im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts. Stehen Kirchen unter Druck, verweisen sie nicht erst seit heute auf die Tugend ihrer Unabhängigkeit vom Staat. So hat sie sich bis heute erfolgreich eine mit dem öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus verbunden Kontrollbefugnis staatlicher Stellen erfolgreich widersetzt. Die Trennungsforderung war - wie das Beispiel zeigt - immer auch ein Kampfinstrument der Kirchen gegen den Staat – und umgekehrt.

c) Staatsverständnis überdenken

Das eigentliche Problem der säkularen Trennungsforderung ist aber das zugrunde liegende Staatsverständnis. Sehen wir uns einmal den Staat an, der sich von der Kirche trennen soll. Ist das wirklich der Sozialstaat des 21. Jahrhunderts, der die gesellschaftliche Vielfalt zu organisieren, Grundrechte zu gewährleisten und die Rechte von Minderheiten zu wahren hat?

Ein traditionsliberales Verständnis des Staates als ein von der Gesellschaft entrücktes Wesen verkennt die Erfordernisse eines modernen - aktiv handelnden - Staates, der immer wieder regulierend eingreifen muss. Das passende Regulativ ist hier nicht die Verbannung des Staates aus der gesellschaftlichen Realität, sondern vielmehr dessen demokratische und rechtliche Kontrolle. Es ist daher ein Missverständnis, auf der Grundlage eines längst überholten Staatsverständnisses die Kirchen "kurz halten zu wollen". Diese Position hat im Übrigen auch politisch keinen nennenswerten Rückhalt mehr in der Gesellschaft und sollte aufgegeben werden.