Ein Kommentar zur Staatsaffäre netzpolitik.org

Dann ging es ganz schnell

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Demonstration für Pressefreiheit am 1. August 2015 in Berlin
Demonstration für Pressefreiheit am 1. August 2015 in Berlin

BERLIN. (hpd) Nicht einmal 24 Stunden vergingen zwischen dem öffentlichen politischen Suizid des Generalbundesanwaltes Range und seiner Entlassung. Damit dürfte er - nach vielen anderen ebenso negativen - einen neuen Rekord aufgestellt haben.

In völliger Verkennung der juristischen Lage kritisierte der Generalbundesanwalt gestern öffentlich seinen Dienstvorgesetzten, den Justizminister. Es war vorauszusehen, dass das für Range das nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.

Möglicherweise denkt sich die Bundesregierung, mit diesem Bauernopfer den Skandal beenden zu können. Doch das dürfte nicht so einfach sein. Es gibt erste Stimmen, die einen Untersuchungsausschuss des Bundestages fordern, um herauszufinden, wer wann was wußte. Denn tatsächlich ist kaum anzunehmen, dass der Innenminister nichts von dem Antrag des BND-Chefs an den Generalbundesanwalt wußte, gegen netzpolitik.org zu ermitteln. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass der Geheimdienstkoordinator des Bundeskanzleramtes nicht in Kenntnis gesetzt worden ist. Oder, wenn beides nicht erfolgte: weshalb konnten subalterne Beamte entscheiden, die schärfste Waffe des Strafrechts gegen die beiden Journalisten Beckedahl und Meister anzuwenden?

Das Gutachten, dass Herr Range gestern noch als Begründung für die Einleitung der Ermittlungen gegen die Macher von netzpolitik.org anbrachte, scheint zudem eher dürftig zu sein. Das Papier, dass ein "Herr Müller vom Verfassungsschutz" verfasst hat, ist ein Widerspruch in sich. Denn das, was Herr Müller als staatsgefährdend ansieht, hat das Amt in ähnlicher Form bereits den Bundestagsabgeordneten mitgeteilt. Die Süddeutsche zitiert einen Kenner des Verfassungsschutzes: "Ein echtes Staatsgeheimnis wäre die Mitteilung gewesen, dass das BfV all das, was da beschrieben werde, nicht mache."

Auch nach der viel zu spät erfolgten Verabschiedung des Herrn Range in den Ruhestand, der bereits in der NSA-Affäre vollständigt versagt hat, bleiben genügend offene Fragen. Aus der Unruhe um einen Blog, den bislang nur Insider kannten, wurde eine veritable Staatsaffäre.

Die beiden betroffenen Journalisten haben bereits angekündigt, sich juristisch zur Wehr setzen zu wollen. Daran ändert die Ruhestandsverabschiedung von Range nichts. "Wir nehmen es nicht hin, dass sich Harald Range vom BfV-Chef Hans-Georg Maaßen dafür instrumentalisieren lässt, die Informanten zu jagen, und dabei das juristische Verfahren zum Verrat von Staatsgeheimnissen aufmotzt." Beckedahl und Meister verlangen vor allem auch Aufklärung darüber, ob sie seit Beginn der Ermittlungen im Mai überwacht wurden (und werden). In einem Tagesschau-Interview von gestern berichtes Markus Beckedahl von der Bundespressekonferenz. Dort fragte er "ob die Bundesregierung uns bestätigen kann, dass wir nicht überwacht werden. Das konnte sie nicht. Das fühlt sich für uns als Journalisten, die an den Rechtsstaat glauben an, als wären wir in einem Alptraum gelandet, in einem repressiven Staat, in dem Überwachungsmaßnahmen gegen investigative Journalisten möglich sind."

Ein Kandidat für die Nachfolge Ranges als Generalbundesanwalt könnte bereits gefunden sein: Der Leiter des bayrischen Justizministeriums Peter Frank wird hoch gehandelt. Ob er in der Lage sein wird, die Versäumnisse seines Vorgängers aufzuarbeiten und sich um wirklich wichtige Dinge zu kümmern, wird sich zeigen müssen. Es ist ja Etliches liegengeblieben wie zum Beispiel das Ausspionieren der Bevölkerung, Industrie- und Politikspionage durch die NSA oder auch die Klärung der Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex.