Warum ich nicht zur katholischen Hochzeit gehen kann

hochzeitsstrauss.jpg

BIELEFELD. (hpd) Kann man als Atheist guten Gewissens in eine Kirche gehen, wenn eine Verwandte dort Hochzeit feiern möchte? Der hpd-Leser Walter Stuke verneint das und schreibt der zukünftigen Braut einen langen, aufklärerischen Brief.

Liebe M.,

vielen Dank für die Einladung zu deiner katholischen Hochzeit.

Ich habe lange überlegt, ob ich dir diesen Brief zu deiner kirchlichen Hochzeit senden kann. Denn er setzt sich mit Religion und Kirche kritisch auseinander. Doch aus der Überlegung, dass Religion keinen geeigneten Zeitpunkt für ihre Kritik kennt, habe ich beschlossen, dass deine kirchliche Hochzeit so (un-)geeinet ist wie jeder andere Zeitpunkt auch.

Eines möchte ich vorab klarstellen: kritisch über Religion schreiben, heißt nicht, respektlos gegenüber Menschen sein, denn das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann politische Anschauungen kritisieren wie den Liberalismus oder den Sozialismus und es gibt keinen Grund, religiöse Ideen wie den Katholizismus nicht offen zu diskutieren. Religionen einen kritikfreien Raum zuzugestehen, hieße vor allem, den Extremisten aller Religionen einen Schutzraum zu verschaffen (vgl. Harris: 2008: 17).

I. Naturalistisches Weltbild – Evolution

Stimmen wir nicht in der Annahme eines naturalistischen Weltbildes überein? Darin, dass wir keinen Grund haben, transzendentale Wesen wie Geister, Feen oder Götter zur Erklärung von Vorgängen in unserem Universum zu bemühen.

Immerhin können wir gut erklären, warum wir die Neigung haben, unsichtbare Wesen zu imaginieren und die Behauptung ihrer Existenz so bereitwillig anzuerkennen: sie ist ein Nebenprodukt unserer evolutionsgeschichtlich erworbenen Mechanismen und Verhaltensstrategien (vgl. Boyer 2011; Dennett 2008; Dawkins 2010: 239–267). Hyperaktive Akteurs-Erkennung, intentionales Denken und Bindung sind einige dieser evolutionären Errungenschaften, die uns im Allgemeinen zuverlässige Überlebensvorteile gesichert haben.

Sie lassen sich vergleichen mit dem evolutionär erworbenen “Kompass” der Motte, der Licht zur Orientierung verwendet. Doch was für die Motte im Allgemeinen sehr zuverlässig funktioniert, erweist sich im Hinblick auf das von der glühend heißen Wohnzimmerleuchte ausgestrahlte Licht als fatal (vgl. Dawkins 2010: 239–243). Die Motte begeht keinen "Selbstmord" – sie folgt ihrem Lichtkompass.

In ähnlicher Weise führen uns unsere sonst so zuverlässigen evolutionsgeschichtlich erworbenen Mechanismen im Hinblick auf unsichtbare Wesen komplett in die Irre. Religionen machen sich diese Mechanismen für ihr "Lebensmodell" nutzbar und reisen wie Parasiten auf ihnen mit.

Natürlich schmeichelt es uns, wenn uns eine Religion erzählt, wir gehörten zum auserwählten Volk eines Gottes, der uns ewiges Leben garantiert, wenn wir ihn anbeten (und, das ist die eigentliche Pointe: auf seine irdischen Vertreter hören, die über das Know-how der Riten und Sakramente zu unserer Seelenrettung verfügen). Sind wir uns nicht darüber einig, dass solche Vorstellungen absurd und albern sind?

Unabhängig davon, welchen Gott wir aus dem Überangebot an Göttervorstellungen auch immer anbeten mögen: die Sonne, wie einst die Inkas, Voodoo-Figuren, wie in Afrika oder dieses Männertrio, in das sich die katholische Theologie verstiegen hat und das sie "Dreifaltigkeit" nennt - wir bleiben, was wir sind: sterbliche menschliche Tiere.

Das christliche Menschenbild ist eine Farce. Nicht Gott hat uns nach seinem Bilde erschaffen. Es ist genau umgekehrt: ethnologische Forschung zeigt, dass Menschen ihre Göttervorstellungen überwiegend anthropomorph kreieren.

Wir sind nicht die Krönung der Schöpfung. Der biblische Auftrag "macht [die Erde] euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht" (1. Buch Mose 1: 28) könnte sich als Anweisung zur Selbstauslöschung erweisen, wenn wir diesen Planeten in absehbarer Zukunft komplett geplündert haben. Religion verstellt uns den Blick darauf, dass wir Teil der Biosphäre sind, nicht ihre Herr_innen. Und dass die nicht menschlichen Tiere unsere Verwandten sind, für die wir Verantwortung tragen. Wir dürfen sie nicht misshandeln, nur weil wir, als die für uns erfolgreichste Anpassungsleistung in einer bestimmten Umwelt, ein besonders leistungsfähiges Gehirn statt eines Rüssels wie die Elefanten entwickelt haben (vgl. Pinker 2012: 191–196).

Mittlerweile hat selbst die katholische Kirche erkannt, dass sie nicht mehr bestreiten kann, dass die Evolution uns menschliche Tiere hervorgebracht hat, ohne sich lächerlich zu machen. Kurzerhand erklärt sie nun die Evolution zur Erfindung Gottes, durch die er die Krönung seiner Schöpfung hervorgebracht habe und entstellt damit ein wesentliches Merkmal der Evolution, um sie ihrer religiösen Ideologie einverleiben zu können.

Wesentliches Merkmal der Evolution ist es gerade, dass sie kein Ziel hat. Sie ist zielblind, ein Prozess ohne vorherbestimmte und vorherbestimmbare Ziele. Ein Prozess der offenen Auseinandersetzung der Organismen untereinander und mit der anorganischen Umwelt, in dem sich der den zufällig gegebenen Umständen am besten Angepasste durchsetzt, d. h. sich häufiger reproduzieren kann als andere.

Leben befindet sich in permanenter Veränderung, ist unabgeschlossen und unbestimmt. Unser Eindruck von Konstanz und ewigen Formen ergibt sich nur aus der Kürze unserer Betrachtung. 99 Prozent aller Arten, die je auf der Erde gelebt haben, sind ausgestorben. Massenextinktionen haben wiederholt einen Großteil allen Lebens ausgelöscht. Der letzten Extinktion vor 65 Millionen Jahren, die die Vorherrschaft der Dinosaurier beendete, verdanken wir Säuger unseren Aufstieg. So bleibt auch die Existenz unserer Spezies prinzipiell prekär und eine Episode.

Die Vorgänge bei Entstehung des Lebens auf der Erde, die chemische Evolution vor 4,2 bis 3,8 Milliarden Jahren, sind weitgehend bekannt und haben nichts Mystisches. Leben besteht aus Zellen. Die Vorläufer der späteren Zellen entstanden aus Makromolekülen, die sich aus unbelebter Materie wie Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff usw. gebildet haben.

II. Ethik

Als die englische Königin in den 1850er Jahren von den Forschungsergebnissen Charles Darwins über die Abstammung des Menschen vom Tier erfuhr, soll sie gesagt haben (vgl. Roth 2011: XV): "Beten wir, dass es nicht stimmt. Falls es doch stimmt, so lasst uns beten, dass es nicht bekannt wird!"

Die Befürchtungen Queen Victorias waren völlig unbegründet. Mehr als 150 Jahre später und nach der Bestätigung der Theorien Darwins durch Genetik und Molekularbiologie, tun wir noch immer so, als wüssten wir es nicht besser. Als wüssten wir nicht, dass Götter die Marionetten der Religionen und ihrer Priester zur Aufführung ihres Theaters sind und dass ihre Sakramente, die sie uns zur Sicherung unseres Seelenheils spenden, so wertlos sind wie die Glasperlen, die europäische Siedler den Indianern im Austausch gegen Edelmetalle und Tierfelle andrehten.