Aktuelle Studie

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit

BONN. (hpd) Die Historiker Constantin Goschler und Michael Wala legen mit "Keine neue Gestapo" eine Studie zur Frühgeschichte des Inlandsnachrichtendienstes mit einem Schwerpunkt auf der Frage nach der Präsenz ehemaliger NS-Funktionsträger in der Behörde vor. Die Autoren präsentierten eine akribisch recherchierte Studie, die aber mehr einer Beschreibung und weniger einer Analyse verpflichtet ist – wobei die Ergebnisse bezogen auf die Leistungsfähigkeit als eher gering wie die NS-Belastung als ebenfalls relativ gering durchaus überzeugen.

Es hat einige Jahrzehnte gedauert bis Ämter, Behörden und Ministerien in der Bundesrepublik Deutschland auf die Ideen kamen, ihre NS-Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten bzw. aufarbeiten zu lassen. Mitunter formulierten dabei Historiker erstaunliche Ergebnissen, etwa zur Mitverantwortung des Auswärtigen Amtes an der Verfolgung und Vernichtung der Juden.

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das 1950 gegründet wurde, handelte es sich indessen um eine funktional wie organisatorisch neue Behörde. Der Inlandsnachrichtendienst sollte keine Polizeibefugnisse erhalten und demnach auch "keine neue Gestapo" werden. Gleichwohl spielte die NS-Vergangenheit auch für das BfV eine Rolle, gehörten doch zu dessen frühen Mitarbeitern auch ehemalige Angehörige von Gestapo und SS. Doch wie hoch waren deren Anteile und Einfluss. Dieser Frage gehen die Historiker Constantin Goschler und Michael Wala in ihrer Studie "'Keine neue Gestapo'. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit" auf der Grundlage von exklusiven Archivzugang nach.

Darin beschreiben sie akribisch und detailliert die Frühgeschichte des BfV von der Gründung bis in die Mitte der 1970er Jahre. Inhaltlich wollen die Autoren dabei den Kontext der Sicherheitsarchitektur im Kalten Krieg berücksichtigen, nach der Rolle von früheren Gestapo- und SS-Angehörigen fragen, den Blick der BfV-Mitarbeiter auf ihre politische Umwelt erörtern und die Praxis der Arbeit des Amtes in seinen Veränderungsprozessen unter die Lupe nehmen.

Am Beginn stehen Ausführungen zu den Gründungsdebatten, dem ersten Präsidenten Otto John sowie zum Selbstverständnis der Behörde. Dem folgen Ausführungen zu den ersten Krisen und Skandalen, wozu auch die Kooperation mit "freien Mitarbeitern" mit NS-Belastung, aber auch die Präsenz von früheren Angehörigen auf der Führungsebene gehörte. Über den Präsidenten Hubert Schrübbers heißt es etwa: "Der frühere SA-Mann hatte … in der Zeit vor 1945 als Anklagevertreter an Hochverratsprozessen teilgenommen. Vorkenntnisse im Bereich Nachrichtendienste hatte er dagegen nicht …" (S. 170).

Gleichwohl kommen Goschler und Wala in der Gesamtschau zu folgendem Ergebnis: "Während der Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder und Angehöriger anderer NS-Organisationen im Bundesamt in den 1950er Jahren in etwa dem anderer Behörden oder der bundesdeutschen Parlamente entspricht, lag der Anteil der früheren Gestapo- oder SS-Angehörigen beispielsweise im Vergleich mit dem Bundesnachrichtendienst und dem Bundeskriminalamt sehr niedrig" (S. 357).

Indessen gab es solche Fälle, die intern zu Konflikten und öffentlich zu Skandalen führten. Auch einer der bekannteren nächsten Präsidenten, Günther Nollau, (vgl. S. 344) war NSDAP-Mitglied gewesen. Neben derartigen Aspekten gehen die Autoren aber auch auf die Expansion der Behörde und Neuerungen der Tätigkeiten bis in die Mitte der 1970er Jahre ein. Für die Frühphase sprechen die Autoren davon, dass die "Behörde in einem rechtlich und organisatorisch unsicheren Raum operierte, sich einzelne Abteilungen verselbständigten …" (S. 354).

Goschler und Wala sehen sich als Historiker wohl eher einer darstellenden Perspektive auf Basis von einschlägigen Quellen verpflichtet. Dies erklärt auch, warum man es weitgehend bei Beschreibungen belässt und mit Einschätzungen mehr als nur zurückhaltend ist. Besonders interessante Fragestellungen bleiben daher bei ihnen außen vor. Dies würde etwa für die Einschätzung von Erfolgen und Niederlagen der Arbeit in den 1950er und 1960er Jahren gelten. An einer Stelle ihres Buches greifen sie auch ein Personalproblem der Behörde auf, nämlich das "Juristenmonopol im höheren Dienst": "Solange Volljuristen für die höheren Positionen des Bundesamtes bevorzugt wurden, dominierte die juristische Erkenntnistheorie die Analyse der Gefahren und die Beschreibung des Gegners. Im Mittelpunkt standen die klassische retrospektive orientierte kriminalistische Perspektive und die juristische Unterordnung von Tatbeständen unter rechtliche Normen" (S. 313f.). Sehr treffend, nur hat sich daran entgegen der Annahme der Autoren bis heute kaum etwas geändert.

Constantin Goschler/Michael Wala, "Keine neue Gestapo". Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Reinbek 2015 (Rowohlt-Verlag), 29,95 Euro