Berliner Schulen im Schatten des Nahost-Konflikts

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Der Angriff auf und die Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 mit den anschließenden massiven antisemitischen Reaktionen – auch in Berlin – erfordern eine deutliche Handlungsempfehlung und Positionierung für die Berliner Schulen. Ein Rundschreiben der Berliner Bildungsverwaltung unterstützt diese Forderungen.

Dagegen gab es vereinzelt auch Widerspruch. Andere Einzelpersonen und Träger hingegen begrüßen das Rundschreiben der Berliner Senatsbildungsverwaltung vom 13. Oktober zum "Umgang mit Störungen des Schulfriedens im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel". Diese haben eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben, die der hpd in Auszügen hier veröffentlicht:

Die unterzeichnenden Einzelpersonen und Träger aus der Demokratiebildung, Politischen Bildung und Extremismusprävention begrüßen das Rundschreiben als einen Vorstoß in die richtige Richtung. Es gibt Schulleitungen die Möglichkeit, situationsbezogen zur Wahrung des Schulfriedens demonstrative Handlungsweisen oder Meinungsäußerungen auch unterhalb der Schwelle von Straftaten zu verbieten – nämlich demonstrative Meinungsbekundungen, die für von Antisemitismus Betroffene, aber auch für Repräsentanten des deutschen Staates und dessen Staatsräson wie Schulleitungen und Lehrkräfte, als Befürwortung oder Billigung der Terrorangriffe gegen Israel oder als Unterstützung von Terrororganisationen wie Hamas oder Hisbollah zu verstehen sind.

Die potenziellen Verbote sollen ausdrücklich nicht dazu führen, dass die Ereignisse im Unterricht ignoriert oder kontroverse Positionen ausgeschlossen werden. Hierfür sind Gesprächs- und Freiräume beziehungsweise didaktische Settings notwendig, die Meinungsäußerungen zunächst zulassen, wenn es pädagogisch oder didaktisch sinnvoll ist. Auch solche, die eine Befürwortung oder Billigung der Angriffe oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen signalisieren – mit dem Ziel, mit den Schülerinnen und Schülern über diese Ansichten ins Gespräch zu kommen und bei ihnen Reflexionsprozesse in Gang zu setzen.

Zugleich muss sowohl der Schutz israelischer, jüdischer und mit dem Judentum oder Israel assoziierter Schülerinnen und Schüler vor antisemitischen Angriffen, Bedrohung und Diskriminierung als auch die Wahrung des Grundsatzes gewährleistet sein, dass Dominanzverhalten mit extremistisch-ideologischem Bezug kein Raum zur Entfaltung gegeben werden darf.

Die Möglichkeit das Tragen von Kleidungsstücken und Symbolen, wie zum Beispiel der Kufiya oder auch Fahnen, in der Schule bei besonderen Konfliktlagen und zur Sicherung des Schulfriedens zu untersagen, kann aktuell insbesondere jüdische Kinder und Jugendliche schützen. Gleichzeitig muss klar sein, dass niemand aufgrund seiner Herkunft, Weltanschauung und Gesinnung diskriminiert oder benachteiligt werden darf, solange die freie Meinungsäußerung nicht dazu missbraucht wird, gegen andere zu hetzen und zu diskriminieren. Deshalb ist es notwendig, neben temporären, an die Konfliktlage angepassten Sanktionen geschützte Gesprächsräume für Schülerinnen und Schüler einzurichten, in denen sie pädagogisch angemessen "abgeholt" – aber nicht "stehengelassen" – werden können. Etwa an ihren Bedürfnissen nach Identität, am Bedürfnis nach Mitgefühl und Solidarität mit oder zur Trauer um Menschen, die sie ihrer familiären, ethnischen oder religiösen "Wir-Gruppe" zuordnen. Dieses Abholen ist nicht zuletzt notwendig, um es nicht antisemitischen Gruppierungen zu überlassen, welche die Konflikte an Schulen für Ihre Zwecke instrumentalisieren, um Hasspropaganda zu verbreiten.

Dabei muss es kein Widerspruch sein, einerseits aufgrund von konkreten Konfliktlagen für einen bestimmten Zeitraum das Tragen von Symbolen zu verbieten, die als Billigung gezielter Massaker an Zivilisten und als Sympathiebekundungen für Terrororganisation zu verstehen sind und andererseits die Motive für solches Tun und den Umgang mit solchem Tun empathisch zu thematisieren. Allerdings dürfen hierbei die Massaker vom 7. Oktober 2023 und die Täterschaft der Hamas-Terroristen weder verschwiegen noch relativiert werden. Ebenso wenig dürfen sachwidrige Gleichsetzungen, Fake News und Opfer-Narrative der Hamas unwidersprochen bleiben.

Gerade jetzt ist es wichtig, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten im Einklang mit den grundlegenden Regeln des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens aufzuzeigen – wie sie beispielsweise der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland in seiner Rede zu Israel und Antisemitismus am 2. November 2023 reflektiert hat –, zusammen zu leben, ohne ihre Herkunft und Identität abzuwerten, zu verbergen oder zu verleugnen. Die pädagogischen Angebote hierfür müssen grundrechtsklar und verantwortungsvoll die Situation in Nahost benennen können. Darüber hinaus ist mittel- und langfristig ein verstärktes und koordiniertes pädagogisches Engagement gegen Antisemitismus in den Schulen und der Jugendhilfe nötig.

Dafür sollte zukünftig für alle Träger eine zwingende Voraussetzung für die Beteiligung an einer solchen Arbeit die Anerkennung des Existenz- und Selbstverteidigungsrechts des Staates Israel und die verbindliche schriftliche Zustimmung zur Arbeitsdefinition Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) in der von der Bundesregierung empfohlenen erweiterten Form sein.1

Die Unterzeichnenden werden sich auch weiterhin zusammen im Themenfeld organisieren.

Unterzeichnende (Alphabetisch nach Vornamen):

Ahmad Mansour; Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention GmbH (MIND prevention)

Ali Ertan Toprak; Bundesvorsitzender, Kurdische Gemeinde Deutschland

Carl Chung, Fachleiter Politische Bildung, Jehi ˈOr« Jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus (JBDA) gUG (hb)

Christa Stolle; Bundesgeschäftsführerin, TERRE DES FEMMES

Dr. Fritz Felgentreu; Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold / Bund aktiver Demokraten e.V.

Jörg Rensmann; Vorstand Mideast Freedom Forum Berlin e.V.

Lala (Frida) Süsskind; Geschäftsführende Gesellschafterin, Jehi ˈOr« Jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus (JBDA) gUG (hb)

Martin Hikel; Bürgermeister Neukölln

Maya Zehden; stellv. Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin Brandenburg e.V.

Michael Hammerbacher; Leiter; DEVI e. V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung

Naila Chikhi; Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung

Paula Ranft; Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Rebecca Schönenbach; Veto! Für den Rechtsstaat

Seyran Ateș; Ibn Rushd-Goethe Moschee gGmbH / Mernissi-de Gouges Bildungs- und Sozialwerk gUG

Sigmount Königsberg; Antisemitismusbeauftragter der jüdischen Gemeinde

Walter Otte; Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne

WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen e.V.

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1 vgl. "Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen" Drucksache 18/1061 vom 23.05.2018

IHRA-Arbeitsdefinition: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein."