Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts "nicht nur möglich, sondern dringend geboten"

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Aktionstag des "Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung" in Berlin 2020.

Mehrere Verbände und Organisationen begrüßen den Bericht der "Expertinnenkommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin". Sie wenden sich an die Bundesregierung und fordern eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs im Einklang mit Grundgesetz sowie internationalen Menschenrechten und Gesundheitsrichtlinien.

Der Bericht der Expertinnenkommission zeigt, dass Versorgungslage und -qualität vielenorts problematisch sind und die Erfahrungen vieler ungewollt schwangerer Menschen ebenfalls. Er zeigt außerdem die vom geltenden Gesetz geschaffenen Probleme auf und bietet Lösungsansätze an. Auf dieser Grundlage muss die Regierung notwendige Gesetzesänderungen noch in dieser Wahlperiode umsetzen.

Dr. Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International sagt dazu: "Schwangerschaftsabbrüche müssen vollständig entkriminalisiert werden. Das erfordern menschenrechtliche Standards und die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation. Und auch die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfiehlt eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches. Alle Fakten liegen auf dem Tisch, jetzt müssen Regierung und Parlament endlich handeln!"

Auch eine kirchliche Organisation äußert sich positiv zum Bericht der Expertinnen: "Die Empfehlungen der Kommission werden der Tatsache gerecht, dass das aktuelle Strafrecht im Rahmen des Paragrafen 218 keine angemessene Lösung für die Verhinderung von Abtreibungen darstellt. Ein kostenloser und barrierefreier Zugang zu Verhütungsmitteln sowie umfassende Beratungsdienste sind deutlich wirksamere Ansätze", positioniert sich Angelika Weigt-Blätgen, Vorsitzende des Präsidiums der Evangelischen Frauen in Deutschland.

"Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper und ihr Leben ist juristisch verbrieft und ein Menschenrecht. Die Expert*innen konstatieren in ihrem Bericht: Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar. Auf diese Einschätzung warten Frauen seit 150 Jahren!", schreibt Juliane Sim, Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) in einer Presseerklärung.

"Schwangerschaftsabbrüche sollen endlich keine Straftat mehr sein, sondern ein Recht von ungewollt Schwangeren", so Dr. Ines Scheibe, Mitbegründerin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. "Das ist möglich und dringend notwendig, wie die Expert*innen und die Ergebnisse der ELSA-Studie deutlich zeigen. Jetzt erwarten wir rasches Regierungshandeln."

Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe weist darauf hin, dass "auch bei der Beurteilung der Beratungspflicht und einer verpflichtenden Wartezeit … die Kommission einen Gestaltungsspielraum der gesetzlichen Regelungen" sieht. Sie fordert, "diesen Spielraum zu nutzen und die bislang vorgeschriebene Pflichtberatung bei einem Abbruch innerhalb der Frühphase (bis zur 12. Woche nach Empfängnis) zu streichen. Es liegen keine evidenzbasierten Belege für einen Nutzen vor". Eine Beratung auf Wunsch hält die Organisation dagegen in vielen Fällen für hilfreich und sinnvoll. "Daher fordern wir ein Recht auf bedarfsgerechte Beratung anstatt einer Beratungspflicht und einen flächendeckenden Zugang insbesondere auch für vulnerable Gruppen."

Doctors for Choice Germany begrüßt ebenfalls den Bericht der Expertinnenkommission. "Auch wenn die Kommissionsempfehlung in Teilen hinter den internationalen medizinischen und menschenrechtlichen Empfehlungen zurückbleibt, ist ihre Umsetzung unter Ausschöpfung des entsprechenden Handlungsspielraums unbedingt notwendig. Eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches ist nicht nur möglich, sondern dringend geboten, das unterstreicht die Kommission unmissverständlich", sagt Dr. med. Alicia Baier, Vorstandsmitglied und Mitgründerin des Vereins, dazu.

Taleo Stüwe, Assistenzarzt im medizinischen Fachteam des Familienplanungszentrums Balance in Berlin, ergänzt: "Die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist längst überfällig. Die Bundesregierung hat die Chance, den Empfehlungen der Kommission zu folgen und ihren gesetzgeberischen Spielraum zu nutzen. Für eine gute, bedarfsorientierte Versorgung ungewollt schwangerer Personen brauchen wir eine außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs – ohne Stigmatisierung und Pflichtberatung, mit Kostenübernahme und flächendeckenden Angeboten."

Die Medical Students for Choice heben hervor, dass die gesellschaftliche Tabuisierung und rechtliche Kriminalisierung einer würdigen und gesundheitsfördernden Versorgung von ungewollt Schwangeren seit Jahren im Weg stehe. "Wir benötigen kompetente Ärzt*innen und einen legalen Schwangerschaftsabbruch mit niederschwelligem Zugang, um sichere Schwangerschaftsabbrüche und reproduktive Gesundheit zu wahren."

"Es gab nie einen guten Kompromiss zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Denn er hat zu schwierigen Erfahrungen und einer schlechten Versorgungslage geführt, die die ELSA-Studie jetzt bestätigt hat", ist Monika Börding, Vorsitzende des Bundesverbands von pro familia, wichtig zu betonen. "Mit der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs kann die Regierung endlich gute Rahmenbedingungen für eine gute Gesundheitsversorgung schaffen. Dazu gehört, Schwangeren einen Rechtsanspruch auf professionelle Beratung geben, und zwar zu allen Fragen zu Sexualität und Fortpflanzung."

Die Bereichsleiterin Referate Sina Tonk fügt für die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hinzu: "Es ist lange überfällig, dass der frauenfeindliche Paragraf 218 gestrichen wird. Dafür kämpfen Terre des Femmes und viele andere seit Jahrzehnten." Jede Frau müsse frei entscheiden können, ob, wann und mit welcher Methode sie einen Abbruch durchführen möchte. Dafür brauche es jetzt einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung, der Schwangerschaftsabbrüche legalisiert. "Der im Kommissionsbericht vorgestellte Gestaltungsspielraum ist dabei nicht nur vollständig auszuschöpfen, sondern es muss darüber hinausgegangen und die aktuelle WHO-Richtline umgesetzt werden!"

Von Elke Ferner, Vorsitzende von UN Women, heißt es: "Schwangere, die sich zu einem Abbruch entschließen und Arzt*innen, die ihnen helfen, dürfen nicht länger mit dem Strafrecht bedroht werden. Eine Entkriminalisierung ist möglich und muss noch in dieser Wahlperiode erfolgen!"

"Unser Platz als Ärzt*innen ist an der Seite der ungewollt schwangeren Person", so Elisabeth Furian für den erweiterten Vorstand des Vereins demokratischer Ärzt*innen. "Leider wird das Thema Schwangerschaftsabbruch jedoch in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung ausgespart. Die fehlende Ausbildung ist eine der Ursachen für die ungenügenden Versorgungsstrukturen. Deshalb fordern wir: Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch und rein in die Lehre!"

Der Zentralrat der Konfessionsfreien begrüßt die Empfehlung der Kommission ebenfalls, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. "Das Selbstbestimmungsrecht aller ungewollt schwangeren Frauen wird nur durch eine weltanschaulich neutrale Regelung sichergestellt", betont er.

Unterzeichner:

Amnesty International Deutschland
Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft
AWO Bundesverband
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Deutscher Juristinnenbund
Doctors for Choice Germany
Evangelische Frauen in Deutschland
Familienplanungszentrum Berlin – BALANCE
GEW Berlin
Medical Students for Choice
Nationales Netzwerk Frauen und Gesundheit
pro familia Bundesverband
Terre des Femmes
UN Women
Verein demokratischer Ärzt*innen
Women in Exile
Zentralrat der Konfessionsfreien

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