Der Humanistische Verband Deutschlands reicht seine Stellungnahme zum im Dezember 2015 eingeführten Strafrechtsparagraphen 217 "Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" ein und weist darin die Verfassungswidrigkeit des Suizidhilfeverbots nach.
Dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe liegen ein halbes Dutzend Verfassungsbeschwerden gegen den § 217 StGB vor. Dieser droht bei Suizidhilfe, die vorher für Ärzte ebenso wie für Organisationen erlaubt war, nunmehr eine Strafe von bis zu drei Jahren Gefängnis an. Der Strafrechtsparagraf war im Dezember 2015 in Kraft getreten.
Anzeichen deuten darauf hin, dass das Gericht nunmehr zügig zu einer Beschlusslage kommen will. Das Gericht hat neben einigen anderen gesellschaftlich relevanten Akteuren auch dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD Bundesverband) die Gelegenheit zu einer ausführlichen Stellungnahme eingeräumt. Der HVD gehört aus weltlich-humanistischer Sicht zu den entschiedensten Gegnern des neuen Sterbehilfeverbots.
"In der am Dienstag eingereichten Stellungnahme des HVD weist der Bundesverband die Verfassungswidrigkeit auf empirischer und rationaler Ebene unabweisbar nach. Die Behauptung der Kirchen, dass Menschen durch das Strafgesetz vor einer Verleitung zur Selbsttötung geschützt werden müssten, ist nicht plausibel. Wir gehen davon aus, dass sich die Richter von religiösen Glaubenssätzen weniger beeinflussen lassen, als dies bei den Bundestagsabgeordneten der Fall war. Ein Kippen des Gesetzes ist jedenfalls möglich", zeigt sich die für den Inhalt der HVD-Stellungnahme verantwortliche Referentin für Lebenshilfe im HVD, Gita Neumann, überzeugt.
Neumann ist sich mit renommierten Juristen einig, dass es wahrscheinlicher sei, dass das Bundesverfassungsgericht eine sehr restriktive Auslegung vorgibt, wer in welchen Fällen durch den Inhalt des § 217 StGB bestraft werden darf. So könnten zumindest Palliativ- und Hausärzte davon ausgenommen werden, die wegen ihrer oft schwerkranken und hochbetagten Patienten besonders häufig mit dem Wunsch nach Hilfe zum Sterben konfrontiert werden.
Aus Achtung vor der Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichtes hat sich der Humanistische Verband dazu entschlossen, seine eigene Stellungnahme vorerst nicht zu veröffentlichen. Der HVD veröffentlichte jedoch die vollständige Erklärung zur Stellungnahme des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD Bundesverband), in der mit Einzelfällen und Nebenwirkungen auf die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes eingegangen wird. Außerdem findet sich eine ausführliche Kritik zur Begründung der Einführung des Strafrechtsparagraphen § 217 StGB von Erwin Kress, dem Vize-Präsidenten des HVD Bundesverbandes.
4 Kommentare
Kommentare
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Es bleibt in der Tat nur die Hoffnung. Man sollte jedoch die enge religiöse Fixerung des Bundesverfassungsgerichs in seinen großen Entscheidungen nicht vergessen.
Und weiter macht mich besorgt, dass in den entschiedenen Eilanträgen von zwei Mitgliedern von Sterbehilfe Deutschland die Entscheidungsbegründungen klar erkennen lassen, dass die Bewertung des Gesetzgebers, es gehe um die Verhinderung "flächendeckenden" kommerziellen Missbrauchs, der Entscheidungsprägorative des Parlaments überlassen bleiben. Wird dieser Gesichtspunkt, der als rein sachliches Argument jenseits jeder moralischen Bewertung die Erforderlichkeit des Gesetzes aushebeln müsste, gar nicht angegangen, sieht es schlecht aus.
Gita Neumann am Permanenter Link
Ja, das ist der einzige Hebel, lieber Herr Endruscheit, und der springende Punkt einer möglichen Erfolgsaussicht.
„ ... Weder der Vortrag der Beschwerdeführer noch sonstige Anhaltspunkte lassen darauf schließen, dass die tatsächlichen Feststellungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, offensichtlich fehlerhaft sein könnten und die von diesem prognostizierte weitere Entwicklung einer rationalen Grundlage entbehren könnte ...“
Deshalb haben wir in unserer HVD-Stellungnahme, zentral auf ca. 10 Seiten unabweisbar nachgewiesen: Die Feststellungen des Gesetzgebers sind offensichtlich empirisch fehlerhaft und haben mit der Lebenswirklichkeit in unserem Land nichts zu tun. Wir weisen nach, dass die apokalyptischen Vorstellungen und Glaubenssätze einer "Todeskultur" nicht nur einer rationalen Grundlage völlig entbehren, sondern dass die Gesetzesbegründung einfache kognitive Standards in erschreckendem Ausmaß missachtet (was der großen Mehrheit der Abgeordneten in den parlamentarischen "Sternstunden" ihrer subjektivistischer Meinungs- und "Gewissens"-Freiheit entgangen ist ...).
Die Kirchen- und Hospizlobby hat es ja im Vorfeld verstanden, nicht den geringsten Anschein eines religiösen Zusammenhangs zu erwecken. Deshalb ist massive Kirchenkritik und ein an Selbstbestimmung orienteirter – weltanschaulich, moralisch, pluralistisch, grundgesetzlich – geführter Kampf zwar völlig berechtigt. Er läuft aber ebenso völlig ins Leere wie der Schrei nach „letzter Hilfe“, wenn wir das BVerfG. von der Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB überzeugen wollen und müssen, wie es unsere politische Aufgabe ist als Interessenorganisation für nicht-religiös gebundene Menschen (und in diesem Fall ganz offensichtlich die große Bevölkerungsmehrheit). Wir werten es als Erfolg, das der HVD als solcher überhaupt vom BVerfG. zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde, die die 8 zuständigen Richter/innen des 2. Senats deshalb im Verfahren ja immerhin zur Kenntniss nehmen und berücksichtigen müssen.
Gita Neumann
Humanistischer Verband Deutschlands (HVD)
Atheist Steinbrenner am Permanenter Link
Ich finde als juristischer Laie den Ansatz bei der Begründung der Gesetzesänderung anzugreifen insofern interessant, da die Begründung nicht Teil des §217 StGB ist.
Wer dies in Abrede stellt müsste auch gegen Machenschaften wie Fraktionszwang oder Koalitionsverträge vorgehen, bei denen faktisch gegenseitig ein Abstimmungverhalten der Fraktionsmitglieder zugesichert wird, obwohl darüber unter Einhaltung von Art 38 Ab1 GG gar nicht verfügt wird.
Da mir nicht bekannt ist, dass Fraktionszwang und Koalitionsveträge bisher rechtlich als Versuch Abgeordnete zu einem bestimmten Abstimmverhalten zu manipulieren geahndet werden, wieso sollte dann eine möglicherweise fehlerhafte Begründung der freien Entscheidung der Abgeordneten schaden, eine unzulässige Manipulation sein und die Abstimmung nichtig machen?
Mit meiner Alltagsrationalität ist die Wahl des Angriffpunktes für mich nicht nachvollziehbar. Was freilich den formaljuristischen wohl vorhandenen Möglichkeiten nicht entgegen steht.
Gita Neumann am Permanenter Link
Lieber Herr Steinbrenner, diese Verfahrensgeschichten bei Abstimmungen im Bundestag sind wirklich ziemlich kompliziert.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805373.pdf
Das heißt, dass über die dort aufgeführte offizielle Gesetzesbegründung mit abgestimmt wird. (Daneben gibt es natürlich noch in den Plenardebatten zig Plädoyers in Redebeiträgen der Abgeordneten für das Gesetz, worüber aber natürlich nicht abgestimmt wird - sondern nur um die im Abstimmungsvorschlag schriftlich interierte Begründung).
Diese gesetzgeberische Begründung ist von ziemlicher Bedeutung, sowohl bei Auslegungsfragen bei späteren Strafprozessen als natürlich auch jetzt bei der verfassungsrechtlichen Prüfung.
M.f.G.
Gita Neumann (Humanistischer Verband Deutschlands)