BERLIN. (hpd) Die Relation zwischen christlichen und säkularen Feiertagen stimmt längst nicht mehr. In einem Kommentar zu Christi Himmelfahrt setzt sich Horst Herrmann kritisch mit religiösen Feiertagen und ihren Grundlagen auseinander.
Damit gleich alles klar ist: Ich finde es weder politisch korrekt noch theologisch fair, wenn Feiertage erhalten und staatlich gestützt werden, die auf historisch dubiosen Ereignissen beruhen. Beispiele, über die diskutiert werden sollte, sind Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt. Die christliche Tradition wird sich kaum halten.
Feste feiern, wie sie fallen? Sie fallen in der Tat. Der Disput ist schon eröffnet.
Erschreckend, welches Gewaltpotential sich in solchen Diskussionen bemerkbar macht. Hunderte von schmähenden und drohenden Mails brachen beispielsweise über eine Kita herein, deren Martinszug stand unter Polizeischutz, und kein Bischof sah sich genötigt, bestimmte Gläubige zu rügen. Dabei war einmal mehr deutlich geworden, welches Lager gewaltbereit ist.
Freilich werden die Grundlagen der Feste und Prozessionen dennoch zunehmend überdacht. Ein Beispiel: Das Fest Fronleichnam erscheint aus mehreren Gründen fragwürdig. Allein seine Basis ist bedenklich. Wir brauchen nur an die Vorgänge um das so genannte Letzte Abendmahl zu denken. Und auch eine folkloristische Tradition des Festes bleibt verdächtig. Für sie können zwar Bürgerwehren mobilisiert werden, doch für ihre Festteppiche müssen Zigtausend Blumen sterben. Im Übrigen stelle ich mir die Frage, ob einem Freund, ob Gott wirklich Blumen gestreut werden sollten. Einer Majestät schon…
Schluss damit. Gott als Freund ist ein bescheidener, entäußerter Gott. Dieser Wandel im Gottesbild hat entscheidende gesellschaftliche Folgen. Was sich bereits abzeichnet: Die Zeit, da das Christentum eine über eine unbefragte, "natürliche" Mehrheit in Staat und Gesellschaft verfügte, geht unaufhaltsam ihrem Ende zu. Die politischen Stützen, auf die sich die Gläubigen verlassen konnten, werden schneller und gründlicher wegfallen als gedacht. Künftig wird gerade das Gegenteil vom aktuellen Status als "natürlich" empfunden werden. Eine Rückkehr zur Majestät ist ausgeschlossen. Die Herren-Attribute haben ausgedient.
Wir haben sogar etwas Glück. Was bestimmte Bundesländer noch an so genannten stillen Feiertagen kennen, an denen unter Anderem öffentliches Tanzen behördlich untersagt ist und polizeilich verfolgt wird, sieht nach einem Erbe der österreichischen Monarchie aus. Unter den damaligen Kaisern waren an den "Norma-Tagen", diesen gesperrten Festtagen mit katholischem Hintergrund, öffentliche Musik- und Theateraufführungen verboten. Und Norma-Tage gab es zeitweilig zuhauf: Die drei letzten Tage der Karwoche, Fronleichnam, die Vorabende der Frauenfeste, alle Frauentage wie Mariä Himmelfahrt, Mariä Verkündigung, Mariä Empfängnis selbst, Allerheiligen und Allerseelen, alle Tage im Advent vom 15. Dezember an, Heiliger Abend, Weihnachten, alle Freitage und alle Sonntage des Jahres. Da sind wir schon etwas weiter. Solche Häufungen zu Lasten der "Lustbarkeit" sind zu Recht überholt. Den Rest schaffen wir noch.
Eine Verrohung der Sitten oder eine Verletzung des religiösen und sittlichen Empfindens, wie sie in die Argumentation der Verteidiger des Status quo eingegangen sind, ist nicht zu befürchten. Ich halte ohnedies den Versuch kirchlicher und weltlicher Obrigkeiten, ausgerechnet mithilfe von Verboten die so genannte Sittlichkeit zu schützen oder zu heben, in aller Regel für verdächtig. Dabei ist das so genannte Glaubensleben in seinen praktischen Äußerungen weithin zu einer folkloristisch geprägten Beschäftigungstherapie herabgesunken. So gibt es noch im 21. Jahrhundert Orte in Deutschland, wo mehrmals im Jahr Prozessionen mit unechten Reliquien abgehalten werden. Mit Schädelreliquien übrigens, die auch andernorts vorgezeigt werden. Offenbar hatte der gefeierte Heilige mehrere Köpfe.
Und es gibt Orte, wo dreimal pro Tag Kirchenglocken läuten, um an den Besuch des Engels bei Maria von Nazaret zu erinnern - also an ein erdachtes Ereignis. Das Volk will es so? Oder Religionsdiener wollen es? Das Volk feiert eh schon lange anders. Die Kenntnis beispielsweise der Inhalte von Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten ist dahin.
Wie wäre es mit einem Tag der Menschenrechte? Mit einem Evolutionstag, einem Tag des Welthumanismus, einem Tag des Weltfriedens, einem Fest der Aufklärung? Immerhin erinnern uns solche Zusammenhänge nicht an ausgedachte, sondern an nachgewiesene Geschehnisse. Freilich wird es Zeit brauchen, den Menschen den Sinn ihrer Befreiung zu erklären. Bisher hat sich kein Kleriker um derlei gekümmert. Wozu auch? Noch hat er seine Schäfchen im Trockenen. Mit der Tatsache, dass sein Christentum nur noch eine traditionelle Bedeutung hat und christliche Gläubige schon bald nur noch eine Minderheit ausmachen werden, hat er sich nicht auseinandergesetzt. Das wird sich schneller rächen, als er denkt.
Jedenfalls stimmt die Relation zwischen christlichen und säkularen Feiertagen längst nicht mehr: Neujahr, Tag der Arbeit, Tag der Einheit sind ganze drei säkulare Feste. Ihnen steht ein Dutzend christlicher Feiertage gegenüber.
Wo leben wir? Wo bleibt die Neutralität unseres Gemeinwesens, wenn Feiertage, die an wesentliche Ereignisse erinnern wie ein Tag der Menschenrechte, noch immer keine Chance eingeräumt bekommen? Hat denn die Proklamation der Menschenrechte weniger zum Fortschritt der Welt beigetragen als Christi Himmelfahrt?
24 Kommentare
Kommentare
Stefan Dewald am Permanenter Link
Die Himmelfahrten, eine Diskriminierung von Frauen
Im Deutschen fällt es nicht auf, aber im Englischen heißt »Christi Himmelfahrt« »Ascension Day«, was wortwörtlich »Erhebungstag« bedeutet.
»Maria Himmelfahrt« heißt nun »Assuption Day«, also Tag der Aufnahme.
Anders gesagt: Jesus (der Mann) wurde in den Himmel erhoben, Maria (die Frau) musste selbst hinschweben.
http://en.wikipedia.org/wiki/Ascension_of_Jesus
http://en.wikipedia.org/wiki/Assumption_of_Mary
Rüdiger Kramer am Permanenter Link
Man sollte es machen, wie die Kirchen. Einfach die Feiertage mit säkularen Ereignissen zusammenlegen.
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Es gibt die normative Kraft des Faktischen. Da der Glaube schwindet, werden christliche Feste vom Volk de facto umgedeutet.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Einfach die Feiertage mit säkularen Ereignissen zusammenlegen."
Richtig! Ich schlage als Ersatz für Allerheiligen einen "Erkenntnistag" vor. Am 1.11.1755 fand in Lissabon ein fürchterliches Erdbeben statt. Ausgerechnet, als die Gläubigen ihrem "Gott" in den Kirchen gedachten - wg. Allerheiligen. 30.000 von ihnen starben allein in der Stadt.
Das löste ein Umdenken aus, weil man erkannte, dass Naturkatastrophen offenbar nicht von "Gott" geschickt werden, um Heiden zu bestrafen.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Es kam sogar noch schlimmer: Auf der Alfama, dem Rotlichtviertel über der Stadt, erwachten, die Huren, Zuhälter, Spieler und Spielhöllenbesitzer morgens um 11 Uhr und rieben sich verwundert die Augen.
Wolfgang am Permanenter Link
Nichts gegen Märchen. Märchen gehören zur Kultur eines Volkes,
christliche Märchen dagegen nicht. Was ist schon an einem gekreuzigten Mann schon Kultur?
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Was ist Ihrer Mewinung nach untert Kultur zu verstehen?
Wolfgang am Permanenter Link
Wir haben eine Essenskultur, (hat sich aus dem Kannibalismus positiv
Also wozu brauchen wir einen imaginären, männlichen Gott und göttliche Feiertage? Ist ein imaginäre Gott Kultur? Kult ja aber keine Kultur.
Heike am Permanenter Link
Himmelfahrt ist seit 1934! gesetzlicher Feiertag in Deutschland. Die nun wieder...
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vatertag
Vatertag hat ebenfalls weltweite Tradition
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Es ist ein Erfordernis der Trennung von Kirche und Staat, dass die religiös motivierten Feiertage durchforstet werden.
Ich gehe davon aus, dass ich wieder heftig kritisiert werde. Trotzdem beharre ich darauf, dass ein gefühlsarmer Atheismus für mich ein Alptraum ist.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Trotzdem beharre ich darauf, dass ein gefühlsarmer Atheismus für mich ein Alptraum ist."
Woher stammt eigentlich diese gebetsmühlenartig wiederholte Typisierung von Atheismus als gefühlsarm? Manchmal liest man etwas von "Kälte" oder "Tristesse"...
Das beleidigt meine atheistischen Gefühle!
Ich brauche kein grässliches Folter-/Hinrichtungsszenario, um mit Freunden Schokoladeneier zu genießen. Ich brauche keine Jungfrauengeburt (nach einer penislosen Vergewaltigung durch einen gewissen "heiligen Geist") als Hintergrund, um mit Familie zu feiern.
Wärme, Gefühl und vor allem Fröhlichkeit entstehen nicht durch die abgrundtief traurigen "Gründe" für christliche Feste. Wer den Tag der Hinrichtung eines Menschen feiert, hat sowieso einen an der Waffel - auch wenn sie für diesen Tag in Eiform gebacken wurde...
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Vorweg, ich bin ein überzeugter Atheist. Trotzdem stört es mich, dass in vielen Diskussionen offenbar wird, dass Selbstgerechtigkeit und Hass die Objektivität beeinträchtigen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Vorweg, ich bin ein überzeugter Atheist."
Das weiß ich. Ich höre nur wirklich sehr oft diese für mich nicht nachvollziehbare Meinung mit der angeblichen Gefühlsarmut etc. bei Atheisten. Ich bin in der gbs organisiert und erfahre dort sehr viel menschliche Wärme und ein Gefühl der positiven Zusammengehörigkeit - letztens erst bei der Deschner-Preisverleihung in Frankfurt.
Das ist wesentlich ehrlicher, als die oft aufgesetzte Fröhlichkeit in religiösen Gemeinden, wo man einen Wust an Regeln durchschimmern sieht, die wirkliche Herzenswärme gar nicht durchlässt.
Dies mag bei Folklorechristen abgemildert sein, aber ich habe auch pseudofröhliche Ereignisse mit strenger Gläubigen erlebt, die mich erschaudern ließen.
Ich habe überhaupt kein Problem, in meinem Gegenüber - egal ob Atheist oder Theist - den Menschen zu sehen mit all seinen Facetten. Ich wünschte, dies wäre auch bei Gläubigen im gleichen Maß vorhanden, denn ich mag es nicht, wenn Gläubige mit selig lächelndem Gesicht in mir erforschen wollen, was bei mir schief gelaufen ist, dass ich Gott nicht gefunden habe.
Ich definiere grundsätzlich niemanden nach seiner Weltanschauung. Ich habe aber Probleme mit Personen, die sich für falsche Weltanschauungen auch noch alimentiert lassen. Ansonsten bin ich ein Antiideologe, der gegen schädliche Ideologien vorgeht, weil sie das gesellschaftliche Klima vergiften.
Christoph Schwarze am Permanenter Link
Wie wahr.Nun fehlen uns Humanisten nur noch konfessionsfreie Menschen die bei uns ihre "Familie", ihre "Heimat" ihr "aufgenommen sein" finden, wie es die Gottgläubigen in ihren überall ve
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Theisten und Atheisten gehören zum Menschenrudel. Wir alle haben Spiegerlneuronen, durch die wir mit anderen mitfühlen, mitleiden und uns mit ihnen freuen können.
Werner Koch am Permanenter Link
In dem katholisch geprägten Land Italien gibt es keinen Feiertag "Christi Himmelfahrt" oder ähnliches.
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Ich bin wie Horst Hermann Teheologe, Jurist und Atheist. Natürlich bin ich nicht so qualifiziert, erfolgreich oder bedeutend und auch nicht so lange wie er Atheist.
Wolfgang am Permanenter Link
"Welcher Religion gehören Sie an?"
"Ich bin Christ!!"
Thomas Göring am Permanenter Link
Dann kreuzen Sie die Klinge doch einfach, statt es nur gerne tun wollen zu würden. :-) (Die meisten von uns "würden" alles Mögliche immer nur gerne, dann sollen Sie's doch auch bitteschön tun!
Eine Frage noch zum Verständnis: Sieht der Kirchenkritiker Horst Herrmann sich selbst denn wirklich als einen Atheisten? Sein neues Buch hat immerhin den folgenden Titel bzw. Gegenstand: "Befreit Gott von den Gläubigen! Eine Liebeserklärung an Gott." Vertritt er dort nicht ausdrücklich ein Gottesbild, das sich strikt von dem der Amtskirchen & Sekten unterscheidet? Atheist und Theist zugleich sein, das passt doch logisch nicht zusammen. (Ich behaupte ja von mir auch nicht, dass ich Vegetarier sei, wo ich mir doch immer mal wieder genüßlich ein herzhaftes Schwarzbrot mit Räucherschinken 'reinziehe. Ich will nun "Gott" nicht mit einem Schinken vergleichen..., sondern ich meine die Logik & Konsequenz, die sich aus Begrifflichkeiten wie eben Atheist und Theist usw. ergibt.)
Horst Herrmann am Permanenter Link
Ich bin Thomas Göring für die Richtigstellung dankbar: Atheist bin ich nicht. Ich zähle zwar etliche Atheisten zu meinen besten Freunden, bin selbst aber gottgläubig.
Wolfgang am Permanenter Link
Wenn Sie mit "Gott" die Natur meinen, bin ich damit einverstanden.
Dawkins) Und ich möchte sie verstehen, so richte ich mein Dasein aus. Die Schöpfung verlieh mir einen aufrichten Gang und ich möchte keineswegs zu einem Kriechtier degradiert werden.
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Sie schreiben „Wäre ich Atheist, fiele mir alles leichter. Aber ich würde dann die vielen Menschen, die sich mit der Kirche schwer tun, ungleich seltener und weniger nachhaltig erreichen.
Das ständige Zwischen-zwei-Sesseln-Sitzen kenne ich. Es begann bereits im ersten Semester meines Theologiestudiums, wo ich mich mit rationalen Zweifeln und dem diktatorischen kirchlichen Glaubenszwang herumschlagen musste. Darum gab es auch viele Kompromisse in meinem Leben. Fuß fasste ich erst, als ich am 15. 4. 2013 im Forum der Österreichischen Pfarrerinitiative de Artikelserie „Atheismus“ eröffnete. Damit begann meine systematische Befassung mit der atheistischen Literatur. Es dauerte lange, bis ich mir einen neutralen Überblick verschaffen konnte und noch länger, bis ich an den atheistischen Argumentationen Gefallen fand und sie zu vertreten begann. Was dann folgte, geschah zwangsläufig. Nachdem ich das Aha-Erlebnis gehabt und erkannt hatte, dass es keine dualen Welten gibt, konnte und wollte ich nicht mehr zu einem Gottesglauben zurückkehren. Aus der Kirche austreten, wollte ich jedoch auch nicht mehr. Meine Mutter war die Tochter eines blinden Korbflechters und später eine Vollwaise im zaristischen Russland. Was sie vor dem Untergang gerettet hatte, war die evangelische Glaubensgemeinschaft in Riga an der Ostsee. Ich selbst war das Kind einer geschiedenen Ehe und mehrere Jahre in Kinderheimen aufgewachsen. Meinen Halt verdanke ich zum Großteil der katholischen Kirche. Und als ich später in das Priesterseminar eingetreten war, ersetzte mir die Gemeinschaft meine fehlende Familie. Das ist die persönliche Seite der Medaille. Später erlebte ich die Geborgenheit in der Religion, auch wenn ich von Glaubenszweifeln gerüttelt war. Ich erfuhr und erlebte, dass Religion nicht nur das Übel ist, als das sie hingestellt wird. Mein kritischer Verstand sagte mir, dass die Religionen zwar keine göttlichen Einrichtungen sind, aber evolutionär entstandene Entitäten, ähnlich wie Staaten, Länder, Gemeinden und viele andere Gemeinschaften. Sowie diese von Tyrannen beherrscht werden können, können es auch die Religionen sein. Langsam sah ich mich als Mitglied einer Religionsgemeinschaft, die alle Schwächen von autoritär geführten Staaten und sonstigen Gemeinschaften hat. Daraufhin saß ich erneut zwischen zwei Sesseln. Ich erkannte, dass die Kirche teils Lebens- und Überlebenshilfe bietet, aber in vieler Hinsicht nur eine macht- und geldgierige Institution ist, die unter dem Deckmantel Gott andere beherrscht und ausbeutet. Dann sah ich wieder mein angestammtes Umfeld, Verwandte, Schulkollegen, Freunde und Bekannte, die mit mir im christlichen Glauben herangewachsen waren oder gelebt hatten. Soll ich als alter Mensch sie alle vor den Kopf stoßen und aus der Kirche austreten, um schließlich als alter Mann vereinsamt, als atheistischer Märtyrer zu leben?
Nicht zu übersehen war auch für mich, dass es in der heutigen Kirche viele theoretische und faktische Atheisten gibt, die aus den verschiedensten Gründen die Kirche nicht verlassen können oder wollen und dass ich nur einer von ihnen bin. Ich konnte mir vorstellen, dass es unter den 1,2 Milliarden Katholiken viele echte Atheisten gibt. Die Frage, warum wir Atheisten in der Kirche nicht bekennen sollen, dass wir Atheisten sind, beantwortete ich damit, dass ich mich- auch im Forum der Priesterinitiative- offen als Atheistischer Katholik bekannte. Meine bisherige Erfahrung lehrt mich, dass dies offenkundig stillschweigend akzeptiert wird. Sitze ich dadurch wieder zwischen zwei Sesseln oder wurde ich zu einem Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit in der Kirche? Jedenfalls haben die 47 Forumsbeiträge über Atheismus seit 2013 bis heute 7643 Zugriffe. Von diesen 47 sind 31 eigene (unter dem Decknamen Rudolf Draka) gepostete Beiträge, 16 von anderen Forummitgliedern. Es scheint, dass die Benützer des Forums weniger über Atheismus diskutieren als objektiv informiert werden wollen.
Für mich ist die Spiritualität eine der wichtigsten Ausformungen der Religion. Ich gebe gerne zu, dass Menschen, die nie eine echte Religiosität gelebt und erlebt haben, kein, oder nur ein negatives Verhältnis zu ihr haben können. Da Sie jedoch Theologe sind, gehe ich auf diesen heiklen Punkt ein und zitiere aus meinen Ausführungen „Spirituelle Begegnung“ Forum der Pfarrerinitiative http://pfarrer-initiative.forenworld.at/viewtopic.php?p=5539#p5539 :
„Religiosität und Spiritualität gehören zusammen, obwohl nicht jede Form der Spiritualität einen religiösen Hintergrund hat. Für mich besteht Spiritualität in der Harmonie zwischen Empfinden, Denken und Verhalten. Michael Schmidt-Salomon schlägt in seinem Buch Jenseits von Gut und Böse vor, statt Spiritualität den Begriff Rationale Mystik zu verwenden. Mir ist diese Bezeichnung zu kalt, weswegen ich lieber beim eingefahrenen Begriff Spiritualität bleibe. Natürlich kann dieser Begriff zwei verschiedene Ebenen suggerieren, eine rein geistige und eine rein körperliche. Kann, muss aber nicht. Im Übrigen interessieren mich Abhandlungen über und Definitionen von Spiritualität nur am Rande. Wichtiger ist mir die Frage, wie und wo ich in meinem religiösen Leben der Spiritualität begegne.
Nicht nur der Gesang, auch unsere Sprache hat ihre Melodie. Sie ändert sich ständig: Ich kann ruhig oder aufgeregt sprechen, ich kann so emotional sprechen, dass mir nicht wirklich bewusst wird, was ich überhaupt sage. Beachten wir nur hitzige Streitgespräche. Wesentlich ist bei ihnen die Sprachmelodie, die begleitende Körpersprache und ein emotionaler Zustand, der uns vergessen lässt, was wir momentan überhaupt sagen. Es muss aber nicht nur ein Streitgespräch sein: Was reden oft Verliebte für „Unsinn“ und drücken damit eine innere Haltung aus, die sie transportieren wollen. So wird unser Gespräch zu einem Kommunikations Kit, der in seiner Gesamtheit etwas zum Ausdruck bringt. Als Priester habe ich das sehr oft bei Begräbnissen erlebt. [ … ]“
Dr. Emmerich Lakatha am Permanenter Link
Nun habe ich mir Ihr Buch „Befreit Gott von den Gläubigen“ beschafft und kurz überflogen. Ich muss gestehen, dass es mich im ersten Augenblick befremdet hat.
Da ich selbst einen langen Weg zum bekennenden Atheisten hinter mir habe, verstehe ich Ihr Bemühen um einen „Dritten Weg“. Ich frage mich nur, was Sie in Wahrheit suchen: Einen Gott, der sich aus Ihren persönlichen Gotteserfahrungen ableitet oder eine Spiritualität, die sich aus Ihren persönlichen spirituellen Erfahrungen ergib?
Bevor ich weiterfahre, möchte ich versuchen, an Hand der Europahymne zu erläutern, was ich unter Spiritualität verstehe. Die erste Strophe der Ode an die Freude lautet:
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium!
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, Dein Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
was die Mode streng geteilt,
alle Menschen werden Brüder,
wo Dein sanfter Flügel weilt.
Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuss der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen,
Brüder, überm Sternenzelt
muss ein lieber Vater wohnen!
Als Atheist könnte ich ihr ablehnend gegenüberstehen. Ich weiß, dass es keine Götterfunken, keine Tochter aus Elysium gibt, die eine Himmlische ist, deren Heiligtum ich betreten kann. Ich weiß auch, dass es kein Sternenzelt gibt, über dem ein lieber Vater wohnt. Trotzdem haben diese Verse eine Poesie, die erfrischt, erfreut und ergreift. Wenn dann Chor und Orchester – womöglich noch zu einem festlichen Anlass – mit voller Wucht Text und Melodie erklingen lässt, denkt niemand mehr an eine mickrige Textkritik. Das gesamte Ambiente wird internalisiert und zum Schlüsselreiz, der unterschwellige Gefühlsebenen berührt und uns in einen seelischen Ausnahmezustand versetzt.
Als religiös aufgewachsene Menschen haben wir eine Fülle von Schlüsselreize kennengelernt, die in uns ein Flow-Erlebnis auslösen und ein Glücksgefühl, mitunter sogar ein außergewöhnliches Glücksgefühl vermitteln. Wie oft bin ich in einer leeren Kirche gesessen und habe auf das vergoldete Tabernakel geschaut. Das „Ewige Licht“ hat mit seinem rötlichen Schein den Altarraum erfüllt. So saß ich still und habe mich in die Gegenwart Gottes versenkt. Woran habe ich mich aber wirklich erfreut? An der Gegenwart Gottes oder am Glücksgefühl, das durch das Ambiente ausgelöst worden war? Ich weiß nicht, ob ich jemals wirklich gläubig war oder mir das nur eingeredet habe, weil ich das Glücksgefühl gesucht und genossen habe.
Reinhard Rösler am Permanenter Link
Bei einer Diskussion auf Facebook zum Thema "Tanzverbot an Karfreitag" kamen von christlicher Seite wieder die üblichen Sprüche a la "Dann geht gefälligst an den christlichen Feiertagen auch arbeiten&qu
Ich will nicht alle christlichen Feiertage abschaffen, sondern die gesetzlichen Feiertage und ihre Regelung auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens stellen. Der ist nämlich durch die immer pluraler werdende Gesellschaft nicht mehr gegeben. Hier ein paar Feiertage, darunter auch christliche, die meiner Meinung nach dazu geeignet wären:
1. Januar: Neujahr (säkular/christlich, Kulturen mit abweichender Zeitrechnung feiern zusätzlich ihr eigenes Neujahr)
März/April: Ostern (christlich, Tag der Auferstehung Christi, wäre als Tag des Lebens oder Frühjahrsfest für alle geeignet)
1. Mai: Tag der Arbeiterbewegung (säkular)
25. Mai: Handtuch-Tag (ein Nonsens-Feiertag zu Ehren von Douglas Adams, etwas mehr Humor tut der Gesellschaft gut)
8. August: Augsburger Hohes Friedensfest (urspr. protestantisch, könnte als allgemeines Friedensfest begangen werden)
1. September: Tag des Wissens (urspr. UdSSR, Tag des Schuljahrsbeginn, könnte als Tag der Wissenschaft für alle Bedeutung erlangen)
September/Oktober: Jom Kippur (jüdischer Sühnetag, wird von säkularen Juden auch als Tag der Versöhnung gefeiert und wäre als solcher allgemein geeignet)
3. Oktober: Tag der Deutschen Einheit (deutsch)
11. November: Martinstag (christlich, könnte von allen als Tag der Solidarität gefeiert werden)
25. Dezember: Weihnachten (christlich, da das Datum aber erst im 4. Jahrhundert willkürlich festgelegt wurde, kann es in der gesamten Gesellschaft auch als Tag der Familie und des Schenkens gelten - so wie heute auch ;-)
Des weiteren könnten Erntedankfest (verschiedene Kulturen) und Volkstrauertag (staatlich/säkular; Äquivalente in verschiedenen Kulturen) vom Sonntag auf eine festes Datum verschoben und somit aufgewertet werden. Vater- und Muttertag (Äquivalente gab es schon in antiken Kulturen) sowie der Kindertag (bzw. Tag der internationalen Kinderrechte) wären auch eines gesetzlichen Feiertags würdig.
Zusätzlich könnte jeder Arbeitnehmer noch ein Kontingent freier Tage bekommen, die er zum Begehen von Feiertagen (religiös oder nicht) verwenden kann.
Sie sehen, zu feiern gibt's genug.