Auf sich allein gestellt

Das Erbe der Gotteskrieger

Jahrelang hielt Joseph Konys "Lord‘s Resistance Army" weite Teile Zentralafrikas in Atem. Teil der paramilitärischen Widerstandsbewegung waren zehntausende entführte Kinder, die unter Drogen gesetzt schwerste Verbrechen verübten. Der französische Schriftsteller Jonathan Littell hat für seinen erschütternden Debütfilm "Wrong Elements" ehemalige Mitglieder von Konys Truppen aufgesucht und ein Gesellschaftsporträt zwischen Versöhnung und Verdrängung gezeichnet.

Geoffrey, Michael und Nighty wurden als Teenager von der "Lord’s Resistance Army" (LRA) entführt. Während die beiden Jungen mit Drogen betäubt als Kindersoldaten in den Kampf geschickt wurden, musste die junge Nighty als Sexsklavin dienen. Jetzt sind sie irgendetwas zwischen 20 und 30 Jahre alt und die Hauptakteure in Jonathan Littells Dokumentarfilm "Wrong Elements".

Der Titel spielt an auf eine Aussage von Alice Auma an, die in Uganda Mitte der 1980er Jahre die christliche Sekte des "Holy Spirit Movements" gegründet und der LRA die geistig-spirituelle Grundlage für ihren Terror geliefert hat. Der Krieg solle "alle falschen Elemente in der Gesellschaft beseitigen", rief Auma damals die Mitglieder der acholischen Ethnie zum Kampf gegen die ugandische Regierung unter Yoweri Museveni auf. Schätzungen zufolge sind über 500.000 Menschen in diesem Krieg umgekommen, über 800.000 sollen vertrieben worden sein. Teil dieses sich über Jahre hinziehenden Konflikts waren über 60.000 Kinder, die in den neunziger Jahren von der LRA entführt und für die eigenen Zwecke missbraucht wurden.

Der französische Schriftsteller Jonathan Littell wollte herausfinden, wie die ugandische Gesellschaft nach der Überwindung des LRA-Terrors mit diesen Menschen umgeht, die sowohl Opfer als auch Täter sind. Littell ist bekannt für seinen Tatsachenroman "Die Wohlgesinnten", in dem er einen schonungslosen, aber nüchternen Blick in den Abgrund des Nationalsozialismus wirft, indem sein fiktiver Ich-Erzähler Maximilian Aue von seinem Leben im Holocaust erzählt. Diesen nüchternen Blick wahrt der Franzose auch in seinem ersten Film. Er fällt keine Urteile, sondern beobachtet mit der Kamera seine Protagonisten, die er jeweils in drei Situationen filmt: allein im Zwiegespräch mit der Kamera und konfrontiert mit seinen Fragen, als Gruppe ehemaliger Kindersoldaten sowie im gesellschaftlichen Kontext.

Filmplakat

Der Film steigt ein mit einer Geisterszene, in der die Kamera durch den Urwald fährt und in den Schatten des Waldes die Silhouetten von Menschen auftauchen. So stellt Littell ein zentrales Motiv in seinem Film nach: das Leben der LRA-Kämpfer im Untergrund. Auch Geoffrey, Michael und Nighty sind in zahlreichen Szenen zu sehen, in denen sie wie Kinder im Ferienlager ihr Leben als LRA-Kämpfer nachstellen. Passagen, die nicht weniger gespenstisch als die Filmeröffnung sind, denn sie zeigen, wie tief ins Unterbewusstsein ihre Erlebnisse als Kindersoldaten eingesickert sind. Auch Jahre nach dem Ende des Krieges und ihrer Rückkehr aus dem Dschungel sind die Bewegungen, Reflexe und spirituellen Riten der charismatisch-christlichen Widerstandsbewegung noch da. Noch immer wirkt der Zwang der Gruppe, aus der es nur schwer ein Entrinnen gibt. Beim Nachstellen ihres Lebens im Untergrund beginnen Michael und Nighty wie programmiert, die religiösen Gesänge und Gebete anzustimmen, mit denen die Kinder vor den Kämpfen oder nach erfolgreichen Schlachten in Trance versetzt wurden. Nur Geoffrey wehrt sich erfolgreich gegen den Impuls, alles Religiöse ist ihm seit dem Ende des Krieges zuwider.

Littell folgt seinen Akteuren bei ihren nachgestellten Streifzügen durch den Dschungel, führt sie aber auch an die Orte ihrer Taten oder in ehemalige Gefangenenlager. An der Oberfläche ist nichts mehr von der Gewalt zu sehen, die hier geherrscht hat, aber es reicht schon, an der Oberfläche zu kratzen, um auf halb verrottete Waffen oder Überreste von Gebäuden zu stoßen. Der französische Regisseur kratzt in seinem Dokumentarfilm aber auch an der Oberfläche des gesellschaftlichen Miteinanders. Es führt die ehemaligen Kindersoldaten und die Opfer ihrer Taten zusammen und fängt den beiderseitigen Schmerz ein.

In den stillen Momenten des Filmes beobachtet Littell seine Akteure. Ihre Blicke sind meist nach innen gerichtet, dort wo ihr Trauma sitzt. Ihre Leidensgeschichten enden nicht nach dem Missbrauch durch die LRA. Auf Geoffrey, der zahlreiche Menschen auf dem Gewissen hat, wurde nach dem Ende des LRA-Terrors ein Anschlag verübt, den er nur knapp überlebt hat. Nighty, die in eine Zwangsehe mit Kony gezwungen und ein Kind von dem LRA-Anführer hat, fühlt sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie "wäre besser im Busch geblieben und gestorben", gesteht sie in einer Szene.

Nur die Hälfte der Kindersoldaten der LRA ist lebend aus dem Dschungel zurückgekehrt. Als Opfer von Kony, der noch immer wegen zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gesucht wird, leben sie nun inmitten der Gesellschaft, an der sie sich, unter Drogen gesetzt und spirituell infiltriert, vergangen haben. Sie sind Opfer und Täter zugleich, die ugandische Gesellschaft findet auf dieses doppelte Trauma keine Antwort, wie Littell zeigt. Statt gesellschaftlicher Aufarbeitung überlässt der Staat die Menschen sich selbst, was der Scharlatanerie Tür und Tor öffnet. Schamanistische Rituale, die einer neuen Unterwerfung gleichkommen, ersetzen hier die Psychoanalyse – es ist ein Trauerspiel.

Littells "Wrong Elements" zeigt, dass der LRA-Terror tausende neue "falsche Elemente" geschaffen hat. Die ehemaligen Kindersoldaten werden ihrem Schicksal überlassen, eine echte Chance haben sie nicht. Littell versteht es, seinen etwas zu lang geratenen Film künstlerisch so zu inszenieren, dass es nicht unnötig gekünstelt erscheint. Er hat die Bilder dieser verzweifelten Suche nach einem Platz in der Gesellschaft mit Klängen von Johann Sebastian Bachs "Johannes-Passion" unterlegt und schließt so an die biblische Leidenserzählung an. Der religiöse Kontext der LRA ist zugleich zu präsent, um dies nicht auch als Bruch mit den Konventionen und als Kritik an religiöser Überhöhung zu verstehen.

"Wrong Elements" gibt nicht nur einen Einblick in das Trauma ehemaliger Kindersoldaten, sondern eine Vorstellung von den Herausforderungen, vor denen die arabischen Gesellschaften und die internationale Gemeinschaft stehen. Wenn sich der Terror von islamistischen Milizen wie al-Shabab oder ISIS auf dem Rückzug befindet, müssen ehemalige Kämpfer wieder in die traumatisierten Gesellschaften integriert werden, will man die erneute Radikalisierung und das Auseinanderbrechen der Gesellschaften verhindern. Wie man es nicht machen sollte, zeigt Jonathan Littells Regiedebüt eindrucksvoll.

Wrong Elements, Kinostart: 27.4.2017, 133 Minuten (OmU)