Risiko Waldorfpädagogik: Steiner-Esoterik statt Reformschule

Erziehung auf Basis eines Geistersehers

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Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht
Das zweite Goetheanum in Dornach (1928 bis heute), Südansicht

Am 7. September 1919 wurde in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Genau 100 Jahre später, vom 7. bis 10. September 2019, wird das in der Stuttgarter Liederhalle mit einer Veranstaltung in Form einer großangelegten Selbstbespiegelung ins Gedächtnis der Öffentlichkeit gerufen.

In diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, ob das positive Image einer kuscheligen und "ganzheitlichen" Alternativschule zutreffend ist und ob nicht doch Anspruch und Realität erheblich auseinanderklaffen. Dabei ist vor allem zu erörtern, in welchem Grad die "okkulte Geheimwissenschaft", als die Rudolf Steiner (1861–1925) seine esoterische Weltanschauung selbst immer wieder bezeichnete, heute noch die pädagogische Praxis der Waldorfschulen beeinflusst und welche zweifelhaften Folgen sie für SchülerInnen haben kann.

Kennen Sie eine Schule, in der die ersten 8 Jahre dieselbe Klassenlehrerin bzw. derselbe Klassenlehrer die Klasse wie eine "Schicksalsgemeinschaft" führen soll, in der in Fremdsprachen und Deutsch bis zum 12. Lebensjahr weder Vokabeln noch Grammatik zu lernen sind, weil sie Gedärmkrankheiten nach sich ziehen könnten?

Kennen Sie eine Schule, in der Ihr Kind leichter an Masern kommt, weil dort Schüler bis zu über 40 Prozent nicht dagegen geimpft sind; in der trotz Erziehungsmaxime der "Ganzheitlichkeit" kein Sexualkunde-Unterricht stattfindet; in der es keine Schulbücher, dafür aber viele zeitraubende Tafelabschriebe gibt; in der viel gesungen, musiziert, gemalt und gehandwerkelt, aber kaum systematisch gelernt wird; in der es wegen hoher Schulgeldzahlungen (durchschnittlich über 2.000 Euro pro Jahr) kaum Ausländerkinder gibt; in der, ausschlaggebend für die Sitzordnung, die Schüler nach der uralten Lehre von den vier Temperamenten (Sanguiniker, Melancholiker, Choleriker, Phlegmatiker) eingeteilt werden?

Kennen Sie eine Schule, in der in Klasse 8 das ganze Schuljahr über fast nichts gelernt wird, weil die ganze Klasse für eine Theateraufführung am Schuljahresende probt; in der die Klassenstärke meist auf die 40 SchülerInnen zugeht; in der die Lehrer und Lehrerinnen kein abgeschlossenes Hochschul-Studium nachweisen müssen; wo permanent und subkutan-indirekt eine einseitig esoterisch ausgerichtete Weltanschauung auf der Basis okkulten Wissens vermittelt wird; in der die Schüler, um einen Abschluss bzw. das Abitur hinzubekommen, ab Klasse 10/11 jede Menge Nachhilfeunterricht brauchen.

Kennen Sie eine Schule, in der nicht selten Strafen für unbotmäßige Schüler inhumaner ausfallen als in Regelschulen (s. S.-C. Jacob/D. Drewes: Aus der Waldorfschule geplaudert); in der Sie unerwartete Hausbesuch durch Lehrkräfte erleben können; in der ganz spezielle pädagogische Konzepte durch keine Instanz von außen geregelt werden; in der die pädagogischen Zielvorstellungen auch heute noch zurückgehen auf einen 1925 verstorbenen "Seher" okkulten Geheimwissens, den der Spiegel "einen der großen Irren der deutschen Kulturgeschichte" nannte?

Es gibt diese Schule! Zum jetzigen Zeitpunkt fast 250 Mal allein in Deutschland. Weltweit über 1100. In Deutschland hat sich ihre Zahl in den letzten 30 Jahren verdoppelt!

Die Waldorfschulen breiten sich also aus wie eine Epidemie, auch dank großzügiger Finanzspritzen und Hofierung seitens der Politik (nicht zuletzt der Grünen in Baden-Württemberg zum Beispiel) Außerdem gibt es eine ganze Reihe vermögender Großspender, oft aus der Industrie.

Und es gab diesen "Seher" wirklich! Sein Name: Rudolf Steiner. Ein gescheiterter Philosoph und selbsternannter, rassistisch aufgelegter Welterklärer, der Mensch und Kosmos in Einklang bringen wollte und auch ganz genau das Rezept dazu wusste; der zum Beispiel ganz im Ernst behauptete, man könne Maschinen durch Anmeditieren zum Laufen bringen; der prophezeite, dass die Vermehrung des Menschen eines Tages über den Kehlkopf, über das "Ansprechen" anderer Menschen möglich werde. Anmerkung: Pille etc. wird nicht mehr gebraucht. Sprechverbot genügt! Die Reihe abstrus-aberwitziger Geist-Blitze aus Steiners Gehirn ließe sich schier unendlich fortsetzen.

Sie glauben das alles nicht? Dann lesen Sie mal in seinen 89.000 Seiten (360 Bänden Steiner-Edition) selbst nach. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte nicht die Anthroposophen-Gemeinde, die in Deutschland, insbesondere in Stuttgart, allgegenwärtig und lernresistent ist, sondern lesen Sie kritische Bücher! Zum Beispiel das von André Sebastiani: Anthroposophie. Eine kurze Kritik. (Alibri-Verlag 2019). Mit 170 Seiten tatsächlich kurz.

Oder lesen Sie nach beim Erziehungswissenschaftler Helmut Prange (Erziehung zur Anthroposophie. Darstellung und Kritik der Waldorfpädagogik). Sein Fazit: "Seit 1919 steht mit der Waldorfschule eine Vorschule der Geheimschulung bereit, in der Schüler sich von der 'geliebten Autorität' leiten lassen, erfüllt von 'devotionellen Gefühlen', ohne die es kein Weiterkommen auf der Geisterbahn des Geheimwissens gibt."

Spätestens seit der ersten PISA-Studie (Programms for International Student Assessment) von 2000 konnten die Waldorfschulen ihren Ruf als schulisches Alternativangebot festigen. Wobei hervorzuheben ist, dass diese an der Studie nicht teilgenommen hatten. Damals landete Deutschland bei 32 teilnehmenden Nationen auf Platz 21.

In der Studie wurden 15-jährige Schüler getestet – in der Regel also Schüler der 10. Klassen. Bekanntlich wird in Waldorfschulen erst in der Oberstufe einigermaßen systematisch gelernt. Eltern stellen in Klasse 11 und 12, wenn es auf einen Schulabschluss zugeht, oft entsetzt fest: "Da ist ja nichts da!" Man darf also annehmen, dass das Ergebnis der Studie mit den Waldorfschulen für Deutschland noch schlechter ausgefallen wäre.

Fakt ist aber auch, dass die allgemeine Wahrnehmung der Waldorfpädagogik derzeit von jahrzehntelang unwidersprochener Einflussnahme interessierter Kreise geprägt ist. Das gilt insbesondere für die Politik. Ministerpräsident Kretschmann und Stuttgarts OB Kuhn werden auf der Jubelveranstaltung der Anthroposophen in der Stuttgarter Liederhalle am 7.9. Grußworte sprechen. Beide gehören den Grünen an, einer Partei, bei der der Verdacht nicht unbegründet ist, dass sie allein schon wegen der durch Steiner begründeten biodynamischen Landwirtschaft beim Thema Waldorfpädagogik nicht so genau hinschauen. Durch das Auftreten ranghoher Politiker aber wird das einseitig positive und unangemessen wohlwollende öffentliche Ansehen aufrechterhalten.

Die von Rudolf Steiner so benannte Anthroposophie gibt noch immer den Nährboden ab für das pädagogische Leitbild in den Waldorfschulen. Anthroposophen verschleiern es mit "Fundierung". Anthroposophie wurde von Steiner als Wissenschaft propagiert, erfüllt aber nicht mal die Kriterien einer Theorie.

Auf der Internetseite (Stand v. 12.5.19) der Stuttgarter Waldorfschule am Kräherwald heißt es zur Frage: Wer war Rudolf Steiner, und was hat er mit der Waldorfpädagogik zu tun?:

"Emil Molt, Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, (Anm. des Verfassers: ebenfalls langjähriges Mitglied sowohl der Theosophischen wie auch der Anthroposophischen Gesellschaft) gründete mit ihm zusammen die erste Waldorfschule. Inhalt und Methode der Waldorfpädagogik beruhen auf Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen."

Steiner war der "Spiritus Rector" dieser ersten Waldorfschule in Stuttgart.

Sinngemäß gleichlautende Antworten bekommt man auf allen einschlägigen Internetseiten und in allen Waldorf-Broschüren zu lesen. Dies also vorweg für alle, die behaupten wollen, die Waldorfpädagogik habe sich längst von Steiner entfernt.

Wer war Rudolf Steiner?

"(…) die restliche Welt witterte in ihm einen Spinner, einen Profiteur des Zeitgeistes der vorvorigen Jahrhundertwende, dessen antimoderne Auffassungen wie unentsorgter Sperrmüll auf den Straßen der modernen Lebenswelt liegen geblieben waren und ein paar rückwärtsgewandte Liebhaber fanden. Ohne seinen großen Erfolgsartikel, die inzwischen weltweit agierende Waldorfschule, hätte man Rudolf Steiner schon lange in die Ecke zu den zahlreichen anderen inzwischen halbwegs vergessenen Propheten der Lebensreformbewegung gestellt. Er wäre einer von vielen schwarzberockten Idealisten mit Zylinder und Kneifer, die sich in der ersten großen deutschen Alternativbewegung am Beginn der Industrialisierung vergeblich vor den Schnellzug der Geschichte warfen." (Iris Radisch, Die Zeit Nr. 8/2011)

Ohne die Existenz der weltweit "erfolgreichsten" Reformschule wäre ein esoterisch-religiöser Phantast und selbsternannter Welt-und Menschheitserlöser wie Rudolf Steiner keinesfalls der Rede wert. Gestandenen Anthroposophen ist es heute noch ein Rätsel, warum ihr "Geist von epochaler Dimension" in der Geschichte der Philosophie keine Rolle spielt. Steiners "Offenbarungsquelle", die Akasha-Chronik (in seiner Schrift von 1908 der profanen Welt mitgeteilt), die außer ihm niemand geschaut (!) hat, gilt vielen von ihnen immer noch als sakrosankt.

Rudolf Steiner um 1905
Rudolf Steiner um 1905

Wo auch immer man in Steiners weit gespanntes und überheblich-geschwätziges Opus hineinsticht, es ist eine geistige Zumutung, eine intellektuelle Quälerei! Es wimmelt von real existierenden Engeln, Tiermenschen, Dämonen, Elfen, Elementarwesen, Mondbrüllern, Äther- und Astral-Welten, Kobolden, Reinkarnation und Karma. Der wichtigste Geist ist "der Christus", der in der Sonne residierte und sich im "Mysterium von Golgatha" mit dem menschlichen Ich verband. Anthroposophie will deshalb "christliche" Wissenschaft sein.

"Seine 'philosophischen' Schriften arbeiten mit unklaren Begriffen, sind logisch inkonsistent und fallen weit hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück. (…) Das führt im Ergebnis dazu, dass man alles und nichts aus diesen Werken herauslesen kann." (Sebastiani: Anthroposophie, S. 33)

Unsere Welt sei die vierte von insgesamt sieben auf ihrem metaphysischen Evolutionsweg von Saturn über Jupiter, Mond, Erde, Venus zu Vulkanus, auf denen sich die Menschen von Mineralien zu einem neuen Engelreich entwickeln. "In dieser Geschichtserzählung kann Steiner das Entstehen und Aussterben von 'Rassen', legendäre Kontinente wie Atlantis sowie seine eigene Version verschiedener Mythologien unterbringen." (Sebastiani, MIZ 4/18, S. 4)

Der Sinn des Lebens besteht nach Steiner in der Aneignung engelhafter Tugenden, in der Seelenvervollkommnung, in der Durchgeistigung alles niederen Sinnlichen, in der Vereinigung von Gott und Materie.

Der anthroposophische "Erkenntnisweg" müsse den Weg zur Re-Spiritualisierung der Evolution einleiten nach dem Beginn des "Zeitalters des Materialismus und der Technik". Die Vorstellungen von planetarischer und rassischer Evolution hatte Steiner bei der europäischen Urmutter aller Esoterik, der Theosophin Helena Blavatsky (1831–1891) abgegriffen. Er hatte so einiges einfach nur abgeschrieben, präsentierte es aber ohne Zitatnachweis als Ergebnis des eigenen Schauens. "Vorher Gelesenes wusste ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewusstseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten." (Steiner, Die Geheimwissenschaft im Umriss)

Auch zuvor schon hatte Steiner Bücher und Aufsätze über Philosophen und Intellektuelle geschrieben und immer betont, dass er deren Erkenntnisse bereits besessen habe, bevor er ihre Schriften kannte. Steiner also ein Plagiator wider Willen? Eigentlich plappert er nur den Geist seiner Zeit nach und hält sich zugleich für revolutionär und neuartig. Er gab sich in seinen Schriften immer "geisteswissenschaftlich", offen und tolerant, ohne den Anspruch der eigenen Mission gegen den Zeitgeist aufzugeben.

Und wer Steiners theosophisch-anthroposophische Evolutionsmetaphysik partout nicht verstehen kann oder will, ist halt noch nicht reif für ihn, meinen seine Verehrer. Dem fehlen eben entscheidende geistige Entwicklungsschritte, oder er ist böswillig und unwissenschaftlich. "Verstehen kann Steiner nur, wer an ihn glaubt", sagt Heiner Ullrich, der auch eine Biografie über ihn geschrieben hat.

"Die Theosophie trat an, eine weltumspannende 'Bruderschaft' zu bilden. Obwohl Steiner diesen Universalismus auf eine christlich-weiße und deutschnationale Perspektive reduzierte, hat die Anthroposophie diesen theosophischen Geist bis heute präpariert und für ökologisch-alternative Zeitgenossen transformiert." (Sebastiani, MIZ, S.6)

Auf den Ersten Weltkrieg reagierte Steiner mit einer umfassenden Verschwörungstheorie. Hinter der westlichen Welt versteckten sich böse Geister und hintertrieben die Mission "Mitteleuropa". Von der Verschwörungsideologie ist es nicht weit zum Antisemitismus. Und so konnten sich viele Anthroposophen mit dem Nationalsozialismus anfreunden. Auch der Zweite Weltkrieg ließ sich als Verschwörung dunkler Mächte gegen das deutsche Geistesleben interpretieren.

"Heutzutage können einige Anthroposophen auf der Basis derselben Theoreme mit der neueren Verschwörungs-Szene um Ken Jebsen und Daniele Ganser (beide Waldorfschüler) fusionieren. Dieses anthroposophische Submilieu bereitet sich derzeit auf die drohende Inkarnation des Dämons Ahriman vor." (Sebastiani, MIZ, S. 7)

Die Anthroposophen kommen daher mit dem selbstherrlich-utopischen Anspruch, mindestens die gesamte Menschheit zu erlösen, sie zu ihrer Selbstvergöttlichung auf den (politisch) rechten Weg zu bringen. "Learn to change the world" lautet das reichlich unbescheidene Motto auf all den zahlreichen Internetseiten der Steiner/Waldorf-Anhänger. Es gibt sogar ein Anthro-Wiki.

Nach Steiner ist die Anthroposophie eine "Geisteswissenschaft", verstanden als wissenschaftliche "Ergänzung zu den Naturwissenschaften". Sie will dem materiellen Wissen "die unsichtbaren geistigen Aspekte hinzufügen" (Anthroposophische Gesellschaft Frankfurt).

Steiner selbst definierte Anthroposophie und Geisteswissenschaft, wie folgt:

"Während nun dasjenige, was der Mensch durch seine Sinne und durch den an die Sinnesbeobachtung sich haltenden Verstand über die Welt wissen kann, 'Anthropologie' genannt werden kann, so soll dasjenige, was der innere Mensch, der Geistesmensch wissen kann, 'Anthroposophie' genannt werden. Anthroposophie ist also Wissen des Geistesmenschen; und es erstreckt sich dieses Wissen nicht bloß über den Menschen, sondern es ist ein Wissen von allem, was in der geistigen Welt der Geistesmensch so wahrnehmen kann, wie der Sinnesmensch in der Welt das Sinnliche wahrnimmt. Weil dieser andere Mensch, dieser innere Mensch, der Geistesmensch ist, so kann man dasjenige, was er als Wissen erlangt, auch 'Geisteswissenschaft' nennen. Und der Name 'Geisteswissenschaft' ist noch weniger neu als der Name Anthroposophie."

Neben der gewöhnlichen, der trivialen Erkenntnis gibt es den Steinerschen Erkenntnisweg: Die Imagination: geistiges Schauen, Ätherkräfte werden anschaulich, die Inspiration: geistiges Hören und Lesen der verborgenen Schrift und die Intuition: Eindringen in die geistigen Wesen selbst.

Unsereins sagt dazu: Erkenntnis wird beliebig und rein subjektiv. Doch das wollen die Waldorf-Fans nicht wahrhaben, denn Steiner wird noch immer als "prophetischer Seher", wenn nicht gar als fünfter Evangelist gehandelt, denn er habe im Buch der Weltenschöpfung lesen können. Seine als sakrosankt erklärten Schriften werden allenfalls in weitschweifigen Interpretationen mittels der hohen Kunst der Umdeutungsexegese für die unqualifizierte Außenwelt, die dem Zeitgeist hörig ist, moderat angepasst. Irgendwoher kennt man uns diese Methode doch, oder?

"Was ich die Sünde gegen den heiligen Geist genannt habe – die Anmaßung des dreiviertel Gebildeten –, das ist das Phrasendreschen, das Vorgeben einer Weisheit, die wir nicht besitzen. Das Kochrezept ist: Tautologien und Trivialitäten gewürzt mit paradoxem Unsinn. Ein anderes Kochrezept ist: Schreibe schwer verständlichen Schwulst und füge von Zeit zu Zeit Trivialitäten hinzu. Das schmeckt dem Leser, der geschmeichelt ist, in einem so 'tiefen' Buch Gedanken zu finden, die er selbst schon mal gedacht hat." (Karl Popper)

Kurt Tucholsky schrieb, nachdem er in Paris einen Vortrag von Steiner gehört hatte: "Je größer der Begriff, desto kleiner bekanntlich sein Inhalt – und er hantierte mit Riesenbegriffen."

Der Schriftsteller und Übersetzer Harry Rowohlt meinte, nachdem er sich einige Kapitel von Steiners Schriften zugemutet hatte: "Töne wie aus einer undichten Gummizelle."

"Bei Steiner erstarrt alles in dogmatischer und pantheistischer Ontologie. Sein 'Beobachtungsresultat', wie er es nennt, ist in Wahrheit seine unabweisbare metaphysische Voraussetzung, seine Glaubensgewissheit." (Helmut Zander)

Krankheiten muss man bei Steiner einfach durchmachen, so auch die Masern: Ein Mensch hat in seinem letzten Leben zu viel "gegrübelt", was zu einer "Schwäche der Seele" führt. Die Masern sind die "physisch-karmische Wirkung" dieses Fehlverhaltens im letzten Leben. Die Masern macht man durch, "um organische Selbsterziehung zu üben", "die Krankheit kann in einen geistigen Prozeß zurückverwandelt werden."

Es ist ein Leichtes, sich über Steiners lachhaft-abstruse Geisteshuberei lustig zu machen. Das prallt an den gefestigten Mauern der anthroposophischen Institutionen einfach ab. Kritik an der Anthroposophie führt deshalb direkt zu einer grundsätzlichen Gesellschaftskritik, zur Frage nämlich, wieso immer noch oder wieder so viele Menschen esoterische Heilslehren für ihr Ich-Bewusstsein "brauchen"?

DIE Waldorfschule gibt es nicht.

Es gibt von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt und von Schule zu Schule Unterschiede, wenn es um die Frage geht, wie stark ist der Steinersche Geist präsent.

Der Bildungswissenschaftler Prof. Hopmann (Wien) meinte in einem Interview mit dem ehemaligen Waldorflehrer Andreas Lichte: "Im Mittelpunkt steht bei denen der Mensch, wie Rudolf Steiner ihn sieht, also als Reinkarnation, als Mitglied einer Rasse, als Charaktertyp usw. Ziel ist es, den jeweiligen Menschen entsprechend den Steinerschen Lehren zu formen bzw. sein 'Wesen' zu entfalten. So wie bei anderen Sekten verbindet sich damit ein Totalitätsanspruch."

Angesprochen auf die pädagogischen Defizite und die esoterische Grundlage der Waldorfschulen, meint Prof. Hopmann: "Wir leben in einer freien Gesellschaft. Also hat jede/r das Recht, jeden Unfug zu glauben. Nur sollten sich Eltern, die ihr Kind einer Waldorfschule anvertrauen, darüber im klaren sein, dass sie dann einer Pädagogik vertrauen, die ein heilloses Gebräu esoterischer Glaubenssätze über Drüsen, Zahnentwicklung, astrologische Einflüsse und ähnliches ist, das von der modernen Kinderpsychologie und der aktuellen Lehr-Lern-Forschung durchweg als durch nichts begründbarer Unsinn abgelehnt wird. Entschiedene Waldorfianer wird das nicht anfechten: Wie alle Sekten sind sie gegen widersprechende Wissenschaft immun."

Empirische Forschung zu Waldorfschulen kommt nahezu ausschließlich von bekennenden Waldorfianern. Eine wirklich unabhängige Untersuchung der pädagogischen Praxis lassen die Waldorfschulen nicht zu.

Waldorfschulen werben mit dem Slogan "Erziehung zur Freiheit", zur Kreativität. Das wird jedoch maßlos überschätzt. Schüler unterliegen logischerweise vielen Einflüssen, nicht nur denen der Schule. Und welche Freiheit soll gemeint sein? Eine pädagogische Philosophie, deren Erfinder eine autoritäre Geisteshaltung einnahm und eine naturalistische Schrumpfästhetik bevorzugte mag bei Einzelnen geholfen haben, eigene Ideen zu entwickeln. Mehr als Anekdoten über spätere Karrieren von Waldorfschülern gibt es nicht. Zu diesem und anderen Versprechen der Waldorfianer existieren keine unabhängigen Längsschnittuntersuchungen, die in Relation zu staatlichen Regelschulen die so vollmundigen Selbstbeschreibungen bestätigen könnten.

Besondere Merkmale des Waldorfschulbetriebs:

Es gibt keine Schulbücher. Alles wird in Epochenheften festgehalten. Diese entstehen im Epochen-Unterricht in den Klassen 1 bis 8, jeden Morgen in den ersten beiden Schulstunden. Mal geht es ein bis zwei Monate nur um Geschichte, dann um eine Fremdsprache etc. Alle diese Fächer werden von einer Person unterrichtet.

Welche Absicht, welche Idee steckt dahinter?

Die Kinder "können sich leichter mit ganzem Herzen auf die anthroposophischen Lehrinhalte einlassen, wenn sie nicht von anderen Fächern immer wieder herausgerissen werden. Das Sich-Einleben wird ihnen im Ganzen leichter gemacht. (…) Gegen Ende des Jahres wird das Gelernte (…) in Form von Rezitationen aufgefrischt.

Zwei Stunden lang Epochenunterricht. Das heißt: Der Unterricht beginnt mit einem gemeinsamen Morgenspruch; mit einer gesammelten Andachtsstimmung. Abschließend wird ein Lied gesungen, werden Sprachübungen gemacht, sagen einzelne Schüler ihre Zeugnissprüche auf. Nach diesem geistdurchdrungenen gemeinschaftlichen Abschnitt beginnt die Wiederholung von dem, was am vorausgegangen Tag dargestellt worden ist. (…)

Daraufhin folgt die Darstellung des neu zu erlernenden Stoffs. Der Lehrer bemüht sich um lebendiges, plastisch-anschauliches Erzählen, die Haltung der Schüler bleibt rezeptiv. Er ist der Dirigent der Klasse, sie schwingen mit. Die 'Phase der Eigentätigkeit' schließt den Epochenunterricht ab; es wird gemalt, gespielt, gesungen." (Charlotte Rudolph, Waldorf-Erziehung. Wege zur Versteinerung)

In den Epochenheften für Geschichte in Klasse 6 zum Beispiel findet man dann ein unentwirrbares Netz von Sagen und realen Vorgängen. "Der Unterschied zwischen beiden wird den Schülern zunächst bewusst verschwiegen. Gerade im Anblick der schon drohend aufziehenden 'Animalisierung' und 'Sexualisierung' muss prophylaktisch darauf geachtet werden, dass die tiefdringenden religiösen Impulse charakterstärkend (oder auch charakterspaltend?!) wirken." (Christine Rudolf: Waldorf-Erziehung. Wege zur Versteinerung)

Die Lernformen setzen in fast allen Fächern auf Wiederholungen, auf Rituale, Rhythmen und Musik. Eine Unterrichtsstunde wird wie ein Kunstwerk zelebriert. Die meisten Waldorfschüler sind in diesen ersten 8 Schuljahren begeistert von ihrer Schule. Kein Sitzenbleiben, keine Noten, kaum Hausaufgaben, die immer gleichen Klassenkameraden als "Schicksalsgemeinschaft". Meistens ein sehr schönes und gediegenes Ambiente und viele Schulfeste. Welchem Kind würde das nicht gefallen? Sie fragen aber (noch) nicht: Was kann ich später damit anfangen?

"Die Waldorferziehung besteht nicht aus einzelnen erzieherischen Akten, auch nicht in der Vermittlung von Wissen, sondern im Grunde ist sie eine subtile und umfassende Seelentherapie. (…) In der phantastischen Waldorfwelt leben Gespenster, die gespenstische Wirkungen erzeugen; Unwirkliches erwacht zum Leben, und Lebendiges wird auf liebevollste Weise versteinert." (Christine Rudolf: Waldorf-Erziehung. Wege zur Versteinerung, S. 14)

Waldorfschüler werden zur Autoritätshörigkeit erzogen.

"Wir tun etwas Gutes, wenn wir heranziehen solche Kinder, die nicht im neunten, zehnten Jahre alles schon selber wissen wollen, sondern die, wenn man sie fragt: Warum ist diese oder jenes richtig oder gut? – dann sagen: Weil der Vater, weil die Mutter es gesagt hat (…) wenn wir also herbeiführen, etwa einen solchen Zustand, dass schon gerade in dieser Zeit die Kinder anfangen, diejenigen, die selbstverständliche Autoritäten sind, zu kritisieren, wenn wir das nicht vermeiden, dass diese Kritik eintritt, so tun wir unter allen Umständen etwas Schlimmes für den heranwachsenden Menschen." (Steiner: Elemente der Erziehungskunst) Von freier Identitätsbildung in freien Schulen ist doch bei Waldörflern immer die Rede. Haben wir uns da verhört?

Der Lehrplan der Waldorfschulen, der weder auf Themen noch auf Lernziele fixiert ist und eher ein Sammelsurium von Möglichkeiten mit typisch anthroposophischen Stichworten darstellt, überlässt dem einzelnen Lehrer jede Menge Spielraum, den Unterrichtsablauf eigenwillig und seiner Gesinnung gemäß zu bestimmen.

Steiner: "Das Lesen im Wesen des Kindes ersetzt das Lesen eines Lehrplans."

Folge: Kein Unterricht wird wie der andere sein, selbst an ein und derselben Schule nicht. Da eine Klasse acht lange Jahre von derselben Lehrkraft, einer Art Generalist, unterrichtet wird, erfahren SchülerInnen eine starke Fixierung, aus der eine bedenkliche Abhängigkeit entstehen kann. Unkritische "Nachfolge" ist hier das von Steiner geprägte und dominierende Leitbild.

Steiner: "Als Erkennender ist der Lehrer in der Lage, das jeweils Richtige an das Kind heranzubringen." Ferner soll er ein Vermittler zwischen der göttlichen Weltordnung und dem Kind sein, ein Erzieher und Bildner des zukünftigen menschlichen Seeleninhalts, der die geistigen Kräfte entwickelt und heraufholen soll. In den Kindern habe man die Nachwirkungen der geistigen Welt vor sich, ein göttliches Rätsel, das mit der Erziehungskunst gelöst werden soll.

Der Lehrer muss sich also Klarheit darüber verschaffen, was das Kind vor der Geburt erlebt hat und was es in das gegenwärtige Leben "hineinträgt". So enthält zum Beispiel die Art, wie das Kind mit den Füßen auftritt, Hinweise auf frühere Leben.

"Unsere eigene nächste Inkarnation als Erzieher redet mit den früheren Inkarnationen des Zöglings." (Steiner: Kunst im Lichte der Mysterienweisheit. Vortrag) Der Lehrer soll folglich die "karmischen" Fäden der Kinder, also Elemente früherer Leben suchen, um daran anzuknüpfen und die Schüler so auf eine besser Wiedergeburt vorzubereiten?

So besteht die Gefahr, dass der Unterricht doch zu einer Vermittlung anthroposophischer Weltanschauung werden kann. Die esoterisch-okkulte Ideologie wird nicht gelehrt, aber angewendet. Anthroposophie steht zwar nirgends drauf, ist aber überall drin. Die Lehrer lassen Steiners Weltanschauung still und heimlich in ihre Arbeit einfließen, in ihre Wahrnehmung der Kinder, in ihre Auswahl der Unterrichtsinhalte. "Ähnlich wie auch bei anderen Sekten ist das ein schleichendes Gift, dessen Wirkung man oft erst merkt, wenn es fast zu spät ist." (Prof. Hopmann) Für Uneingeweihte bleibt die Waldorfpädagogik eine Black Box.

Es darf hier nicht vergessen werden, auch noch ein paar Worte über Waldorfkindergärten zu verlieren. Allein in Deutschland gibt es davon über 560. Vor kurzem bekannte eine Mutter mit einem Kind in einer Waldorf-Kita in einem Zeit-Online-Artikel (30.3.19) mit der Überschrift "Ich sage: 'Waldorf heißt, sein Weltbild zu verschließen'", die "fluffige Wohlfühlpädagogik mit Liebe zum Vollkornbrot" sei "patriarchalisch und rückwärtsgewandt". Und sie erklärt, warum sie unter Pseudonym schreiben müsse: Andere, mit ihr befreundete Mütter seien derart Steiner-gläubig, dass sie kein Wort mehr mit ihr sprechen würden.

Der spezielle Waldorf-Sprech klinge in ihren Ohren so, als hätte sich ein Marketingteam zusammengesetzt, um zu überlegen, wie man schlichteste Dinge irgendwie bedeutsam ausdrückt. Erzieherinnen würden sich wie eine "mahnende Instanz" gebärden.

Ferner fiele auf, "wie stark das Drinnen-draußen-Denken eine so schlichte Einrichtung wie eine Kita prägt – wer und was darf rein, wer oder was muss draußen bleiben? Draußen ist Glubschi, Filzstifte, Peppa Wutz und überhaupt Fernsehen, Matchboxautos, Faschingskostüme ... Drinnen ist Holzspielzeug, Gerstenschrotbrei mit Apfelmus und zartrosa Wände, die das Kind an seinen Aufenthalt im Mutterbauch erinnern sollen. (…) Natürlich muss man Kinder behüten (…). Aber wenn man annimmt, die Wirklichkeit sei zu schlecht für das eigene Kind, nämlich kalt, giftig, laut und gefährlich – warum entscheidet man sich für Rückzug und nicht dafür, die Wirklichkeit zu verändern?"

Als einzige reformpädagogische Bewegung hat die Waldorfpädagogik eine eigenständige Lehrerausbildung entwickelt. Die okkult-esoterische Anthroposophie Rudolf Steiners spielt dabei eine dominante Rolle. "Rudolf Steiner spricht davon, dass es in der Freien Waldorfschule um die Erweckung des Lehrers zu einer höheren Realität geht, die ihm als Kind verleiblicht entgegentritt. Erst in diesem Erwachen kann er seine Aufgabe als Pädagoge überhaupt ins Auge fassen." (Rüdiger Blankertz: Kreuzzug im Klassenzimmer?)

Das Kultusministerium von Baden-Württemberg erklärt, dass die Ausbildung von Lehrkräften an den für die Waldorfpädagogik eigens eingerichteten Freien Hochschulen nicht ihrer Aufsicht unterliege. Diese sind aber vom Wissenschaftsministerium anerkannt.

Da aber die Waldorfschulen eine "eigene Personalhoheit" hätten, nimmt die Schulaufsicht keine Lehrerzulassung oder Lehrerzuweisung vor, denn das "andersartige pädagogische Konzept" erfordere eine "anderer Vorbildung", weshalb die Freien Hochschulen für Waldorfpädagogik eigene Ausbildungseinrichtungen hätten. Gleichzeitig wird aber festgestellt, dass die Abschlüsse an den diesen Hochschulen für den öffentlichen Schuldienst nicht anerkannt werden. Die dort angebotenen Studiengänge sowie die Aufnahmevoraussetzungen differieren zur Ausbildung von Lehrkräften an staatlichen Schulen allerdings auch erheblich.

Strenggenommen muss in diesem Zusammenhang von einem Verfassungsbruch gesprochen erden. In Art. 7 GG heißt es bezüglich der Genehmigung von privaten Schulen, dass sie in "ihren Lernzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen" dürfen. Im Fall der Waldorfschulen werden diese Anforderungen unterlaufen, denn Steiners Esoterik spricht jeder Wissenschaftlichkeit Hohn.

Vor diesem Hintergrund ist es doch recht alarmierend, dass es in Hamburg-Wilhelmsburg ab 2014 zu einem Versuchsprojekt kam: Dort wurde die erste staatliche Schule mit Elementen der Waldorfpädagogik eröffnet. Nach jahrelangen heftigen Streitereien zwischen gelernten Waldorfpädagogen und "Normal"-Pädagogen hat der "Verein für interkulturelle Waldorfpädagogik" die Zusammenarbeit beendet. Zu wenig Waldorf sei entstanden. Von zurückhaltender Bescheidenheit also keine Spur.

Und mit dem Düsseldorfer Karnevalswagenbauer Jacques Tilly möchte man allen Steiner-Fans zurufen: "Ich glaube, dass wir Menschen alle gleichermaßen von der Wahrheit abgeschnitten sind. Niemandem, wirklich niemandem gestehe ich die Möglichkeit zu, dass er einen privilegierten Zugang zu den letzten Dingen hat – auch wenn sich das einige selbsternannte Propheten einbilden und anderen Menschen erfolgreich suggerieren können, ganz gleich, ob sie nun Buddha, Jesus, Mohammed oder Ron Hubbard heißen." – Oder Rudolf Steiner!

Der Artikel erschien zuerst in der "Humanistischen Rundschau".
Der Autor hat zudem 3 Sendungen zur Anthroposophie etc. beim Freien Radio für Stuttgart produziert. Sie können in bebilderter Form auf dem YouTube-Kanal der Regionalgruppe gbs-Stuttgart nachgehört werden.