Interview mit Ensaf Haidar

"Ich versuche gegen die Hoffnungslosigkeit anzukämpfen"

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Ensaf Haidar

BERLIN. (hpd) Der saudi-arabische Blogger Raif Badawi wurde wegen "Beleidigung des Islams" zu 1.000 Stockhieben und zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nun wurde er gemeinsam mit seiner Frau Ensaf Haidar mit dem Deschner-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung ausgezeichnet. Der hpd sprach am Rande der Preisverleihung mit Ensaf Haidar.

hpd: Liebe Frau Haidar, wie geht es Ihrem Mann gerade?

Ensaf Haidar: An manchen Tagen geht es ihm besser, an anderen wiederum schlechter. Im Großen und Ganzen ist sein Zustand aber leider unverändert geblieben. Über seinen Alltag im Gefängnis erzählt Raif wenig. Ich gehe jedoch davon aus, dass er düstere, depressive Tage durchleben muss. 

Seit 2012 sitzt Raif in Haft. Im Januar 2015 erhielt er auf dem Vorplatz der Al-Dschafali-Moschee in der Hafenstadt Dschidda die ersten 50 von 1.000 auferlegten Peitschenhieben. Hat sich an den Chancen für seine Freilassung bisher etwas geändert? Was könnte dabei helfen?

Trotz internationaler Kampagnen und Proteste ist bisher nichts passiert, was auf eine Freilassung hinweisen könnte. Daher nimmt meine Hoffnung manchmal etwas ab, aber ich versuche gegen die Hoffnungslosigkeit anzukämpfen. Es könnte helfen, wenn sich deutsche Politiker gegenüber der Führung in Saudi-Arabien entschiedener für Raifs Freiheit einsetzen würden. Schließlich ist er kein Verbrecher. Er hat nichts anderes getan, als friedlich seine Meinung zu äußern und für grundlegende Menschenrechte einzutreten.

Raif ist gewissermaßen zu einer Symbolfigur der Meinungsfreiheit geworden. Ist er sich dessen bewusst? 

Ich denke schon, dass sich Raif dessen bewusst ist. Er steht für seine Sache ein und ist trotz der Bestrafung bei seiner Meinung geblieben. 

Aus seinen Texten spricht eine tiefe Menschlichkeit und ein außergewöhnliches Freiheitsstreben. In aufklärerischer Manier setzt er sich mit den Strukturen eines theokratisch-autoritären Regimes auseinander und fordert Pluralismus, Toleranz, Säkularismus und die Gleichberechtigung der Frau. Können Sie kurz erklären, wie er zu seiner Meinung kam? Hatte er intellektuelle Vorbilder?

Er hat im Bezug auf die Meinungsfreiheit häufig eine Aussage zitiert, die Voltaire zugeschrieben wird: "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Raif hat sehr viel gelesen. All die Gedanken, die er dabei aufgenommen hat, haben sich zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Der dahinterstehende Liberalismus ist einfach zu verstehen: Jeder ist frei darin, das zu tun, was er tun möchte, solange er damit niemandem schadet. Mit dieser liberalen Grundhaltung stellte er sich verstärkt die Frage, warum es in Saudi-Arabien an Freiheiten fehlt, die an anderen Orten der Welt so selbstverständlich sind. 

Wie wäre ein gesellschaftlicher Fortschritt in Saudi-Arabien möglich?

Vielleicht ist das eine Frage, die man eher Raif stellen müsste. Wahrscheinlich könnte er darauf viel besser antworten. Aber ich denke, dass in Saudi-Arabien zuerst ganz einfache Schritte gegangen werden müssen. Anders als in anderen Ländern, in denen mehr Freiheit eingefordert wird, gilt es dort ein Grundmaß davon umzusetzen. In einem zweiten Schritt könnte dann ein Netzwerk entstehen, das sich um den Ausbau der gewonnenen Freiheiten bemüht. Das setzt aber voraus, dass man friedlich für etwas einstehen kann, ohne verhaftet zu werden.

Können Sie einschätzen, wie viele Menschen in Saudi-Arabien Raif unterstützen?

Sicher gibt es auch Unterstützer in Saudi-Arabien. Es gibt kein Land, in dem nur eine Meinung vorherrscht. Aber die Anzahl ist gering und die Anzahl derer, die den Mut aufbringen ihre Stimme zu erheben, ist wahrscheinlich noch geringer. Denn die Gefahr ist groß, dass sie deswegen sofort im Gefängnis landen würden. 

Was gibt Ihnen persönlich Kraft, nicht bei Ihrem Kampf um Raifs Freiheit aufzugeben?

Was mir Kraft gibt, ist die ganze Unterstützung, die ich von all den Menschen auf der Welt erfahre, die Raifs Arbeit und seine Haltung ehren. Ein berührendes Beispiel durfte ich noch auf dem Flug von Kanada nach Deutschland erleben. Dort hat mich eine Stewardess auf Raif angesprochen, und gesagt, dass sie zu mir hält. Dass sich fremde Personen wie sie für ihn interessieren, macht mir Mut.  

Ich freue mich außerdem über die Preise wie den Deschner-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung. Es zeigt, dass viele Menschen an Raifs Sache glauben und dass sie sich solidarisch erklären. Diese Unterstützung versuche ich an ihn weiterzugeben. Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn man mit eigenen Augen sieht, was die Menschen für einen tun, als wenn man es nur erzählt bekommt.

Gemeinsam mit Raif haben Sie drei Kinder: Nedschua, Dodi und Miriam. Wie gehen sie mit der Situation um?

Sie sind sehr stolz auf auf ihren Vater. Wenn ich von einer Reise zurückkomme und Freundinnen mich besuchen kommen, zeigen die Kinder erstmal die neuen Preise, die er gerade bekommen hat.

Sie wissen mittlerweile, dass Raif im Gefängnis sitzt und wie es um ihn steht. Die Frage ist aber die gleiche geblieben: "Wann kommt Papa nach Hause?" Ich merke, dass einiges in den Kindern vor sich geht. Unsere jüngste Tochter hat es zuerst gar nicht verstanden, warum Raif verurteilt wurde. "Vielleicht wusste er ja nicht, dass man das nicht sagen darf, was er gesagt hat. Vielleicht gibt man ihm eine zweite Chance", meinte sie. Sie stellt Fragen und versucht selbst Lösungen für diese Fragen zu finden, um den ganzen Prozess überhaupt zu verstehen. So stolz die Kinder auch auf ihren Vater sind, so schwer ist die Situation nach wie vor für sie. Es ist eine Schande, dass sie aufwachsen müssen, ohne sich an ihrem Vater erfreuen zu können. Die älteste war gerade mal acht Jahre alt, als sie ihn zum letzten mal gesehen hat.

Wie stellen Sie sich die Zukunft vor, wenn Raif freigelassen werden sollte? 

Ich stelle mir das immer mal wieder vor und es ist jedesmal eine andere Vorstellung. Ich kann gar nicht genau sagen, was ich mir wünschen würde. Natürlich würde ich gerne ein normales Leben führen. Ein Leben, bei dem es nicht darum geht, auf den anderen zu warten. Vielleicht können wir irgendwann gemeinsam arbeiten. Das fände ich schön.

Das Interview führte Florian Chefai für den hpd.