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Journalisten müssen ihr "Nein" heute besser begründen als früher

Die zweite Warnung ist, wie überzeugend diese Haltung, dass man doch offen mit allen reden muss - wozu natürlich auch Neonazis gehören - auf viele wirkt; gerade vor dem Hintergrund der "Lügenpresse"-Rufe, gerade als Widerspruch zu den Tabus der etablierten Medien. Domena und Krämer sprechen das dezidiert aus, in ihrem Video. Krämer sagt: "Journalisten wollen nicht, was wir hier machen, dass man offen und frei darüber redet." Und an Domena gerichtet: "Du als schwarzer Einwanderer und ich als Nationalist aus Deutschland, wir schaffen etwas, was ich mit 'Spiegel-TV' nicht schaffen würde." Er hat auch eine Erklärung dafür: "Der Journalismus muss natürlich staatsstabilisierend sein."

Dies wäre vielleicht ein Punkt gewesen, an dem Domena einen Unterschied hätte feststellen können zwischen seinem Wunsch, das Land so zu bewahren, wie es ist, und der Vision des Neonazis, ein ganz anderes Land zu erschaffen. Aber dazu hätte er nachfragen müssen, was sein Gesprächspartner denn an "Staatsstabilisierung" problematisch findet. Stattdessen sind beide sich einig in ihrer Ablehnung der Massenmedien. Dort aber wäre jemand, der davon singt, in Kreuzberg so lange morden lassen will, bis es ausländerfrei sei, natürlich kein normaler Gesprächspartner.

Journalisten müssen ihr "Nein" heute besser begründen als früher

Die Frage, ob es richtig ist, mit Neonazis zu reden, ist keine neue Frage. Und viele grundsätzliche Argumente dafür oder dagegen haben natürlich Bestand: nämlich einerseits die Gefahr, ihnen eine Bühne zu geben und ihre Positionen zu legitimieren; andererseits die Sorge, dass man sie gerade durch Tabuisierung aufwertet und es erscheinen lässt, als drückten sich Demokraten vor der Auseinandersetzung mit Neonazis, weil sie ihrer Rhetorik nichts entgegenzusetzen hätten. Aber die Umstände haben sich in den vergangenen Jahren radikal geändert – vor allem eine Tatsache: Die etablierten Medien, die professionellen Journalisten, haben ihr Monopol verloren. Jeder kann publizieren – als Blogger, auf Facebook oder Twitter. Gleichgesinnte finden sich viel leichter als früher, und Propaganda, welcher Art auch immer, findet viel leichter ein Publikum. Verschwunden ist vor allem die Möglichkeit der Medien, als Gatekeeper zu agieren: zu bestimmen, welche Informationen die breite Öffentlichkeit erreichen und welche nicht.

Das beeinträchtigt alle Strategien, die darauf abzielen, Neonazis keine Bühne zu bieten. Die etablierten Massenmedien mögen immer noch die größte Bühne bieten – aber es gibt inzwischen viele Nebenschauplätze. Die Propaganda der Neonazis muss auch nicht erkennbar aus Parteiquellen kommen, sie kann trotzdem über Internetseiten und soziale Medien viele Menschen erreichen und wirkt dann womöglich noch überzeugender – man denke in diesem Zusammenhang nur an den Erfolg von Verschwörungstheorien im Internet.

Das Unterfangen, Neonazipropaganda keine Plattform bieten zu wollen, ist also viel schwieriger geworden als früher. Das bedeutet aber nicht, dass man sich davon verabschieden muss. Gerade wenn Nachrichten und Positionen anderswo ungefiltert zugänglich sind, ist es Aufgabe und Funktion professioneller Medien auszuwählen. Und natürlich, Tatsachen einzuordnen und zu analysieren. Dazu gehört auch, einen gesellschaftlichen Diskurs in einer Weise zu führen, der demokratischen und freiheitlichen Werten verpflichtet ist. Das kann bedeuten, bestimmte Protagonisten oder Positionen von diesem Diskurs auszuschließen.

Solche Entscheidungen sind aber in einem viel größeren Maße erklärungsbedürftig. Früher mussten Ausgrenzungsstrategien auch deshalb nicht immer begründet werden, weil sie oft gar nicht sichtbar wurden. Heute müssen Journalisten transparent machen, auf welcher Grundlage sie sich dafür entscheiden, mögliche Gesprächspartner anders zu behandeln als andere. Und sie müssen sich bewusst machen, dass solche Entscheidungen dazu führen können, dass sich ein Teil des Publikums in seinen (Vor)urteilen über die etablierten Medien bestätigt sieht.

Parteien wie die NPD, aber auch rechtspopulistische Parteien wie die AfD, beziehen einen Teil ihrer Attraktivität gerade daraus, dass sie sich als Opfer einer einseitigen, parteiischen, regierungsnahen Presse darstellen. Medien müssen klar definieren, welche Haltungen für sie indiskutabel sind, weil sie diskriminierend, menschen- oder demokratiefeindlich sind. Im Zweifel aber müssen sie häufiger als früher mit radikalen Positionen und ihren Vertretern auseinandersetzen, auch im direkten Gespräch, um nicht denen das Feld zu überlassen, die aus Naivität oder politischem Eigeninteresse rechte Propaganda ohne Einordnung oder Widerspruch weitertragen.

Das ist mühsam. Aber der Eindruck, dass man mit Vertretern der extremen Rechten deshalb nicht rede, weil man deren Rhetorik und (Schein-)Argumenten nichts entgegenzusetzen hätte, wäre verheerend.

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung. Er ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/