Tagebuch einer Ungläubigen – "Kirchentag Dortmund 2019" – Tag 1

Ketzertag Dortmund feierlich eröffnet

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Philipp Möller ist der erste Gast des Ketzertags Dortmund.
Philipp Möller ist der erste Gast des Ketzertags Dortmund.

Es ist wieder mal soweit: Der diesjährige Kirchentag hat begonnen. Und wieder wirft sich unsere Redakteurin Daniela Wakonigg ins christliche Getümmel, um in ihrem "Tagebuch einer Ungläubigen" über jene Dinge zu schreiben, die in den meisten Medienberichten um das Event unerwähnt bleiben.

Schon wieder Kirchentag. Diesmal ein evangelischer. In Dortmund. Ich gestehe: Wirklich große Lust habe ich nicht, mich in das Getümmel zu stürzen und mir Massen glaubensverzückter Christen in Feierstimmung zu geben. Aber einer muss es ja machen. Und ich habe beim redaktionsinternen Streichhölzchenspiel nun mal den Kürzeren gezogen. Allerdings gibt es auch etwas, das meine Stimmung aufhellt. Denn die säkularen Kräfte aus Dortmund und ganz Deutschland haben eine bunte Palette an Gegenveranstaltungen zum Kirchentag zusammengestellt. Also: Auf nach Dortmund!

Normalerweise lege ich längere Strecken mit dem Zug zurück. Doch in diesem Jahr boykottiere ich die Bahn während des Kirchentags. Aus Protest. Denn die Deutsche Bahn tritt als Hauptsponsor des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags auf. Für die Sanierung des Streckennetzes, für funktionierende Loks und Klimaanlagen scheint kein Geld da zu sein, für das Sponsoring eines reichlich überdimensionierten und mit mindestens 7,822 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln bereits kräftig gesponserten Glaubensfestes hingegen schon. Mich als Bahn-Vielfahrerin vergrätzt diese Finanzpolitik der Bahn.

Doch auch als Autofahrerin werde ich in Dortmund nicht glücklich. So wie viele andere, Auswärtige und Einheimische. Da der Kirchentag beschlossen hat, seinen zentralen Eröffnungsgottesdienst am Dortmunder Ostentor abzuhalten, herrscht in Dortmund Verkehrschaos. Statt dem Kirchentagsveranstalter für dieses Vorhaben seitens der Stadt einen Vogel zu zeigen und den Eröffnungsgottesdienst dorthin zu verlegen, wo größere Menschenansammlungen nicht weiter stören, kam die Stadt dem Wunsch des Kirchentags nach. Dies hat zur Folge, dass bereits seit Samstag der östliche Teil des Dortmunder Walls komplett gesperrt ist. Der Wall ist die zentrale Ringstraße rund um die Dortmunder Innenstadt und darüber hinaus eine zentrale Verkehrsachse für alle Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen in die Region. Man könnte meinen, es handle sich bei der Wahl dieses Veranstaltungsortes für den Eröffnungsgottesdienst um eine Machtdemonstration: Mitten drin sein in der Innenstadt, Präsenz zeigen, gegen jede Vernunft und die Empfehlungen der zuständigen Ordnungs- und Sicherheitskräfte, die – wie man munkeln hört – über die Wahl des Veranstaltungsortes einigermaßen entsetzt waren.

Bühne am Ostentor legt Verkehr lahm, Foto: © Daniela Wakonigg
Bühne am Ostentor legt Verkehr lahm, Foto: © Daniela Wakonigg

Zum Glück bin ich bereits früh am Tag in Dortmund und kenne mich ein wenig mit den Schleichwegen in der Stadt aus. Ich muss nämlich einmal quer durch die Stadt zum Pressezentrum des Kirchentags, um mich offiziell als Pressevertreterin registrieren zu lassen. Das steigert in der Kirchentagsstatistik zwar leider die Zahl der am Event interessierten Medienschaffenden, hat jedoch den Vorteil, dass ich für den Einlass in bestimmte Veranstaltungsbereiche nicht auch noch zahlen muss. Und 108 Euro für eine Kirchentagsdauerkarte möchte ich dann doch nicht ausgeben.

Nach diesem Vorspiel geht es endlich in die Innenstadt. Dort sind an zentralen Plätzen bereits die Veranstaltungsbühnen des Kirchentags aufgebaut. Ob sie – so stets das Ziel dieser Innenstadtbühnen – in den kommenden Tagen auch kirchentagsfernes Laufpublikum anziehen werden, wird sich zeigen. Während der letzten Kirchentage, an denen teilzunehmen ich die zweifelhafte Freude hatte, blieben die meisten Sitzgelegenheiten vor den Bühnen verwaist. Nun, wir werden sehen.

RiR-Stand mit Goldhamster, Foto: © Daniela Wakonigg
RiR-Stand mit Goldhamster, Foto: © Daniela Wakonigg

In der Innenstadt treffe ich auch auf die ersten Ausläufer des umfangreichen Gegenprogramms zum Kirchentag, das von regionalen und überregionalen säkularen Kräften auf die Beine gestellt wurde. Auf dem Westenhellweg, der zentralen Einkaufsstraße Dortmunds, steht ein Infostand der Gruppe "Religionsfrei im Revier" (RiR), die bundesweit durch ihre karfreitäglichen Brian-Aufführungen in Bochum bekannt wurde. Mit von der Partie am Stand sind Vertreterinnen und Vertreter vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V. (IBKA), der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) samt Skulptur eines bischöflichen Geldhamsters sowie vom Bündnis Altrechtliche Staatsleistungen abschaffen (BAStA).

Unweit des Infostands leistet das 11te Gebot seine inzwischen bei sämtlichen Katholikentagen und evangelischen Kirchentagen schon zur Tradition gewordene Aufklärungsarbeit. Mit ihrer rund 3 Meter hohen Mosesfigur inklusive Pappmaché-Steintafel mit dem elften Gebot "Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen" protestiert die Aktionsgruppe gegen die massive öffentliche Finanzierung des Kirchentags. Mit im Gepäck haben die Aktivisten außerdem die Figur "Der nackte Luther", die provokant Martin Luthers gern unter den Tisch gekehrten Antisemitismus thematisiert. Beide säkularen Stände erfahren viele positive Reaktionen von kirchentagsgenervten Einheimischen. Allerdings gibt es auch Beschimpfungen. David Farago, der Schöpfer von Moses- und Luther-Skulptur, wird von einer Passantin als "abartiger Mensch" bezeichnet. Glücklicherweise in Hörweite der Polizei, so dass die Beleidigung sofort zur Anzeige gebracht werden kann.

Moses in Dortmund, Foto: © Daniela Wakonigg
Moses in Dortmund, Foto: © Daniela Wakonigg

Eigentlich wollten sowohl die Säkularen mit ihrem Infostand als auch die Aktiven vom 11ten Gebot heute am zentralen Reinoldikirchplatz stehen, doch die Polizei wies ihnen für diesen Tag andere Standplätze zu. Die Begründung: An dem zentralen Platz würden sie den Fluchtweg blockieren, falls beim Eröffnungsgottesdienst am Ostentor eine Panik entstünde.

Da die Stadt und auch der Reinoldikirchplatz mit Kirchentagszelten für den sogenannten "Abend der Begegnung" (das traditionelle Straßenfest in der Innenstadt nach dem Eröffnungsgottesdienst) gepflastert sind, die sich bei einer Massenpanik wahrscheinlich nicht in Luft auflösen würden, ist die Begründung allerdings recht fadenscheinig. Eher scheint es so, als habe man die Kirchenkritiker von den Kirchentagsbesuchern fernhalten wollen, um niemandem die religiös-verzückte Laune zu verderben.

Der Hansaplatz kurz vor dem Eröffnungsgottesdienst, Foto: © Daniela Wakonigg
Der Hansaplatz kurz vor dem Eröffnungsgottesdienst, Foto: © Daniela Wakonigg

Ohnehin scheint mir die Sorge vor flüchtenden Menschenmassen übertrieben. So wie ich auch die im Vorfeld kommunizierten Besucherzahlen nicht ganz glauben mag. Angeblich erwartete man 100.000 Kirchentagsteilnehmer. Doch an die zentrale Bühne am Ostentor kommt man während des Eröffnungsgottesdienstes um 17:30 Uhr erstaunlich nah heran. Auch der Hansaplatz, auf dem parallel ein weiterer Eröffnungsgottesdienst gefeiert wird, ist von einer Überfüllung weit entfernt.

Während des Eröffnungsgottesdienstes kommt man erstaunlich nah an die Bühne, Foto: © Daniela Wakonigg
Während des Eröffnungsgottesdienstes kommt man erstaunlich nah an die Bühne, Foto: © Daniela Wakonigg

Während die Christen nach dem Eröffnungsgottesdienst ihr abendliches Straßenfest beginnen, sammeln sich die Säkularen im Kino Schauburg. Dort wird an diesem Abend der viertägige "Ketzertag Dortmund 2019" eröffnet. Im vergangenen Jahr fand anlässlich des Katholikentags in Münster mit dem "Ketzertag Münster 2018" der erste deutsche Ketzertag statt. Mit religions- und kirchenkritischen Veranstaltungen setzte er dem staatlich finanzierten christlichen Großevent eine deutliche säkulare Stimme entgegen. Die erfolgreiche Veranstaltungsreihe wird nun in Dortmund fortgesetzt – veranstaltet von RiR, IBKA und gbs.

Der Ketzertag im Kino Schauburg ist gut besucht, Foto: © Daniela Wakonigg
Der Ketzertag im Kino Schauburg ist gut besucht, Foto: © Daniela Wakonigg

Nach der offiziellen Staffelstabübergabe von den Veranstaltern des Ketzertags 2018 an jene des Ketzertags 2019 in Form einer Flasche "Ketzertagsbräus" steht als erste Veranstaltung des säkularen Events der Bestsellerautor und Kirchenkritiker Philipp Möller auf dem Programm. "Schöner Schimpfen" heißt seine höchst unterhaltsame Performance, die eine provokante und humorvolle Einführung in die Kirchenkritik gibt und das amüsierte Publikum mitnimmt auf eine unglaubliche Reise durch die "Kirchenrepublik" Deutschland, die von einer Trennung von Kirche und Staat meilenweit entfernt ist.

Arnold Evertz von RiR eröffnet den Ketzertag, Foto: © Daniela Wakonigg
Arnold Evertz von RiR eröffnet den Ketzertag, Foto: © Daniela Wakonigg

Als ich die Schauburg gegen 21:30 Uhr verlasse und mich auf den Heimweg mache, werfe ich zuvor noch einen kurzen Blick in die Stadt. Eigentlich sollte das Stadtfest des Kirchentags ja bis ungefähr 23:00 Uhr dauern. Doch der einsetzende Regen sorgt dafür, dass viele das Event vorzeitig verlassen. Offensichtlich reichte der himmlische Draht der Kirchentagsveranstalter nicht bis zu Petrus.