Verletzt NRW-Justizminister Limbach das Neutralitätsgebot?

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NRW-Justizminister Benjamin Limbach.

Seit Wochen steht der nordrhein-westfälische Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, sich zugunsten einer Kandidatin in das Bewerbungsverfahren für die Neubesetzung der Präsidentenstelle des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen eingemischt zu haben. Die FDP in NRW stellt nun die Frage, ob er in dieser Sache auch das verfassungsrechtlich geschützte Neutralitätsgebot verletzt habe. Die Kandidatin hatte jahrelang als Kirchenlobbyistin gearbeitet.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster Ende September war für NRW-Justizminister Limbach eine schallende Ohrfeige. Ein Mitbewerber auf die Präsidentenstelle des NRW-Oberverwaltungsgerichts hatte sich an das Gericht gewandt, weil es im Bewerbungsverfahren zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Justizminister Limbach hatte sich für eine nachträglich eingereichte Bewerbung entschieden und die Bewerberin Katharina Jestaedt über eine sogenannte "Überbeurteilung" als hervorragend geeignet empfohlen. Besonders pikant daran ist, dass Limbach und seine Frau laut WDR-Recherchen mit der Bewerberin eine längere Bekanntschaft verbindet, obwohl Limbach selbst ein entsprechendes Näheverhältnis mit der Bewerberin verneint.

Das Verwaltungsgericht Münster bestätigte in seinem Beschluss vom 28. September, dass es während des Bewerbungsverfahrens zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei und sprach von einem "rechtswidrigen" und "manipulativen" Vorgehen des Justizministers. Auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte etwas an dem Besetzungsverfahren zu beanstanden. Zwar teilte es nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts Münster, dass das Verfahren manipulativ gewesen sei, die Überbeurteilung von Minister Limbach sei jedoch rechtswidrig gewesen. Da die Bewerberin im Innen- und nicht im Justizministerium von NRW tätig ist, fiel eine solche Beurteilung nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, so das Gericht in seinem Beschluss am 17. Oktober.

Inzwischen hat Justizminister Limbach mitgeteilt, dass er an der umstrittenen Überbeurteilung überhaupt nicht mitgewirkt habe. Man habe sie ihm vorgelegt und er habe sie so, wie sie war, unterschrieben.

In den Medien wird und wurde ausführlich über das Besetzungsverfahren berichtet. Ein Aspekt fand hierbei bislang allerdings nicht die notwendige Beachtung. Der eigentliche Skandal dieses Verfahrens besteht darin, dass auf den höchsten Posten der Verwaltungsgerichtsbarkeit in NRW mit Katharina Jestaedt eine Frau gehoben werden soll, die als stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros beim Kommissariat der Deutschen Bischöfe in Berlin als langjährige Kirchenlobbyistin tätig war.

Angesichts der persönlichen Nähe von Benjamin Limbach zur katholischen Kirche bekommt dies ein ganz besonderes "Geschmäckle". Bei seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr erklärte Limbach in einem Interview gegenüber der Rheinischen Post, dass er, der ehemalige Oberministrant, als Oberstufenschüler mit dem Gedanken gespielt habe, katholischer Priester und Kirchendiplomat im Auftrag des Vatikan werden zu wollen. Laut WDR gab Limbach in einem Steckbrief an, dass er in eine "katholisch-konservative Familie" eingeheiratet habe – seine Ehefrau engagiert sich "als Vorständin im katholischen Hildegardis-Verein, der unter anderem Mentorinnen-Programme für weibliche Führungskräfte in der katholischen Kirche anbietet. Eine der Mentorinnen des Jahres 2019: Katharina Jestaedt."

Diesen Aspekt des umstrittenen Besetzungsverfahrens greift nun Werner Pfeil (FDP) – Jurist, Abgeordneter des NRW-Landtags und Leiter des dortigen Rechtsausschusses – mit einer Kleinen Anfrage (KA 3005, Drucksache 18/7220) an die schwarz-grüne Landesregierung auf. "Wie ist die von Justizminister Benjamin Limbach akzeptierte Überbeurteilung der von ihm favorisierten Bewerberin für das Amt des Präsidentenamtes des OVG mit dem Neutralitätsgebot des Staates vereinbar", fragt Pfeil und möchte wissen, ob "Justizminister Benjamin Limbach durch die Ernennung der favorisierten Bewerberin das verfassungsrechtlich geschützte Neutralitätsgebot" verletzt.

Da der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staats ein Fundamentalprinzip des deutschen Verfassungsrechts sei, sollte das öffentliche Verständnis von Gerechtigkeit möglichst von kontroversen philosophischen und religiösen Lehren unabhängig sein, so Pfeil in seiner Kleinen Anfrage.

"Dem Präsidenten/der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts kommt daher eine besondere Rolle auch in der Rechtsprechung in Nordrhein-Westfalen zu. Die favorisierte Bewerberin des Justizministers hat jedoch in den vergangenen 13 Jahren nicht mehr für die Justiz gearbeitet, sondern war von 2011 an neun Jahre dem Kommissariat der Katholischen Bischöfe zugewiesen und somit als Lobbyistin der Katholischen Kirche in Berlin tätig. Diese 'Zuweisung'/'Abordnung' wird zum Teil heftig kritisiert, zum Teil wird aber auch die besondere Nähe der favorisierten Bewerberin des Justizministers zur katholischen Kirche kritisch gesehen. Hier wird vor allem angeführt, dass die Katholische Kirche selber wesentliche Verfassungsgrundsätze nicht für sich gelten lässt (…). So negiert die katholische Kirche in ihrer Binnenstruktur insbesondere die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, die Fortpflanzungsfreiheit der Frauen, die Freiheit der sexuellen Selbstbestimmung in den unterschiedlichen realen Varianten oder die freie Selbstbestimmung über das eigene Leben und bemüht sich, dies in staatliches Recht umzusetzen."

Zur Begründung eines angeblichen Eignungsvorsprungs seiner favorisierten Bewerberin vor anderen Bewerbern greife Justizminister Limbach auf das abschließende kirchliche Arbeitszeugnis des leitenden Prälaten des Kommissariats der katholischen deutschen Bischöfe zurück, so Pfeil, der aus dem Zeugnis zitiert:

"Danach hat seine Favoritin, Frau J., 'mit hoher politischer Intuition und Kompetenz klug und angemessen in Ton und Stil die Anliegen der katholischen Kirche gegenüber den verschiedenen Feldern des politischen Betriebs (Regierung, Parlament, Verbände, Medien und Wissenschaft) in eigener Verantwortung, in absoluter Loyalität mit den deutschen Bischöfen vorgetragen.' Sie sei 'für die Kontaktpflege zu den Vorständen/Präsidien der Bundesparteien inklusive der regelmäßig stattfindenden Spitzengespräche zuständig' gewesen und habe 'oft entscheidend zur Positionierung der Kirche in ethischen, politischen und staatskirchenrechtlichen Fragen beigetragen'. Weiter heißt es: 'Ihre charakterliche Festigkeit, ihre Höflichkeit und ihr Humor machten es ihr leicht, auch schwierige Verhandlungen zu führen und dort den Standpunkt der katholischen Kirche einzubringen.' Sie sei als Spitzenkraft für höchste Ämter in Staat, Kirche und Gesellschaft uneingeschränkt geeignet."

Werner Pfeil stellt daher folgende konkreten Fragen an die NRW-Landesregierung:

  1. Warum war es für den Justizminister nicht problematisch, dass ein abschließendes Arbeitszeugnis in der Regel wie auch hier stets einen Überschuss an Wohlwollen enthält und deshalb dienstlichen Beurteilungen in der Beamtenlaufbahn nicht gleichzustellen ist, zumal offenbar von ihm nicht hinterfragt wurde (er war ja am Verfahren der Fertigung der Übermaßbeurteilung nach eigenem Bekunden nicht beteiligt), ob höchstes Lob eines katholischen Prälaten für langjährigen Kirchendienst uneingeschränkte Eignung für ein hohes staatliches Richteramt begründen kann?
  2. Wenn das kirchliche Arbeitszeugnis für die Überbeurteilung hohes Gewicht hat, wie begründet Justizminister Benjamin Limbach, dass die langjährige Vertretung der Anliegen und Standpunkte der katholischen Kirche "in absoluter Loyalität mit den deutschen Bischöfen" die Bewerberin für die Präsidentschaft des Oberverwaltungsgerichts herausragend qualifizierte bzw. warum dies keine Bedenken hinsichtlich des Neutralitätsgebots für das Präsidentenamt des OVG darstellt?
  3. Welche Kriterien waren es ganz konkret, die dafür sprechen, dass die Favoritin des Justizministers, Frau J., mit ihrem Kirchendienst höchste Qualifikationen für Aufgaben im staatlichen Amt als OVG-Präsidentin gewinnen konnte?
  4. Aus welchen Anhaltspunkten im Arbeitszeugnis oder anderen Dokumentationen nimmt der Justizminister bei der von ihm übernommenen Überbeurteilung, dass seine favorisierte Bewerberin trotz ihrer über neun Jahre religiösen Tätigkeit bei der Katholischen Kirche sie als Präsidentin des Oberverwaltungsgericht in keine Konfliktsituation bei Ausübung als Richterin gerät?
  5. Anhand welcher objektiv nachvollziehbaren und überprüfbaren Kriterien ist unter Beachtung der Neutralitätspflicht des Staates und der Beachtung des Prinzips der "Bestenauslese" bei angeblich drei gleich guten Kandidaten die Wahl auf die "Favoritin", Frau J., durch den Justizminister gefallen?

Die Antworten, die Pfeil auf seine Kleine Anfrage erhält, dürften interessant werden. Interessant auch, wie es nun im Bewerbungsverfahren um den bereits seit 2021 vakanten Präsidentenposten des Oberverwaltungsgerichts Münster weitergeht.

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