Kommentar

Konzept zur Prävention und Deradikalisierung im Strafvollzug vorgestellt

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Bereits am 21. Februar stellte der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty in der JVA Remscheid ein bundesweit "einmaliges Konzept" vor, wie er berichtete. Mit einem Drei-Säulen-Konzept will die Justiz in NRW in Zukunft gegen religiös und politisch-motivierte Kriminalität vorgehen und dabei auch in den Haftanstalten bessere Maßnahmen in die Wege leiten, die der Radikalisierung vorbeugen. Inwiefern das nur ein hilfloser Versuch des Justizministeriums ist, das Versagen eines Ergreifens des mutmaßlichen Berliner Weihnachtsmarktattentäters, der sich zwischenzeitlich in NRW aufhielt, in Zukunft zu verhindern, bleibt Spekulation.

"Radikales Gedankengut, gleich welcher Religion oder Couleur, darf in unserer Gesellschaft und erst in unseren Haftanstalten keine Chance haben. Die Justiz in Nordrhein-Westfalen hat daher ein bundesweit einmaliges Konzept von Zentralstellen geschaffen, das den gesamten Geschäftsbereich der Justiz erfasst, von der Strafverfolgung bis zum Strafvollzug", so der Justizminister erläuternd. Dafür werde in Essen ein Kompetenzzentrum geschaffen, bestehend aus Juristen, Islamwissenschaftlern, Soziologen und Religionswissenschaftlern, die "die Ursachen religiös und politisch motivierter Kriminalität zu erforschen und aus den gewonnenen Erkenntnissen präventive Handlungskonzepte für die Justizpraxis" entwickeln sollen.

Von dem aus zwölf Mitarbeitern bestehenden Team des Kompetenzzentrums haben bereits zwei Islamwissenschaftler (der eine spricht türkisch und kurdisch, der andere arabisch) ihren Dienst in der JVA Remscheid aufgenommen und sollen, speziell für Gefangene, die radikalisierungsgefährdet sind, ein Präventionsprogramm erarbeiten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gefängnisse im Umgang mit muslimischen Gefangenen schulen. Weiterhin sollen sie soziale Kompetenz und Werte vermitteln und eine muslimische Seelsorge in den Haftanstalten organisieren. Dies ist also ein weiterer Versuch, nach der im Sommer 2016 geschaffenen Zentral- und Ansprechstelle für Cyberkriminalität zur Sichtbarmachung von Kommunikationsstrukturen und Verbindungen zu Radikalen im Internet, in Zusammenarbeit von BKA und LKA die erforderlichen juristischen Maßnahmen zur Daten- und Beweissicherung zu erleichtern, um zukünftige Anschläge noch schneller und effizienter bekämpfen und verhindern zu können.

Ob ein solches Konzept, in den JVAs Maßnahmen zur Deradikalisierung von sogenannten Gefährdeten und Präventionsprogramme zur Verhinderung der Herausbildung zukünftiger Extremisten, nicht zu spät angesetzt ist, sollte Gegenstand einer Diskussion werden.

Inwiefern das außerdem eine wahlstrategisch geschickte Veröffentlichung dieses Konzeptes wenige Monate vor den nächsten Landtagswahlen ist, um in der heißen Wahlkampfphase, nachdem das Programm einige Wochen läuft, medienwirksam die ersten vermeintlichen Erfolge zu verkünden, um das infolge der Terroranschläge der jüngeren Vergangenheit gestiegene Bedürfnis vieler Menschen nach vermeintlich mehr Sicherheit zu befriedigen, bleibt abzuwarten.

Tatsächlich löblich ist, dass das Land NRW ein Expertengremium geschaffen hat, dass überhaupt erst mal untersucht, was ursächlich dafür verantwortlich ist, dass Menschen zu religiös und politisch-motivierten Kriminellen werden. Gleichzeitig wäre aber schön, wenn das Land einen ähnlich großen Beitrag in die Bekämpfung und Prävention von bedrohlich zugenommener, rechtsmotivierter Kriminalität stecken würde (nachzulesen in den jährlich vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Verfassungsberichten).

Dass zukünftige und im Laufe des Jahres noch auszubauende Drei-Säulen-Modell besteht Kutschaty zufolge aus der verbesserten Bekämpfung von Radikalisierung und Kriminalität, die aus dem Internet kommt oder über das Internet organisiert wird, einer verbesserten Bekämpfung von Geldwäsche und Austrocknung "illegaler Finanzsümpfe von Extremisten" aus dem Ausland über die seit März bestehende Zentralstelle zum Thema Geldwäsche und in einer verbesserten Arbeit bei der Identifizierung von "Gefährdern, Gefährdeten und Radikalen" in den Justizvollzugsanstalten, die über ein in Essen gebildetes Experten- und Kompetenzzentrum koordiniert wird.

Bei all der positiven Absicht, die als Brutstätte zukünftiger extremistischer Anschläge ausgemachten Justizvollzuganstalten auszutrocknen, bleibt die Frage, warum in Sachen Bildung und Aufklärung seit Jahren geschlafen wird und im Ländervergleich NRW immer weiter zurückfällt. Gib den Menschen eine vernünftige Ausbildung, Perspektiven und sorge für ausreichende berufsqualifizierende Abschlussmöglichkeiten und ein Großteil des extremistischen Problems hat sich von ganz alleine geregelt. Das müsste parallel entschieden angegangen werden und nicht erst bei Menschen, die bereits mindestens einmal straffällig geworden sind.