Interview

"Krisenlagen sind Katalysatoren für Verschwörungserzählungen"

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Giulia Silberberger bei der Verleihung des "Goldenen Aluhuts 2020".

Am 30. Oktober wird zum achten Mal "Der Goldene Aluhut" verliehen an Personen, die sich mit Verschwörungserzählungen und Geschwurbel besonders hervorgetan haben. Erstmals gibt es für Fakten-Heldinnen und -Helden, die dagegen halten, überdies den "Facts Heroes Award" zu gewinnen. Die Nominierungsphase für die Preise startete gestern. hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg sprach mit Aluhut-Gründerin Giulia Silberberger über die diesjährige Preisverleihung, aktuelle Trends bei Verschwörungserzählungen und den bevorstehenden "Wut-Winter".

hpd: "Der goldene Aluhut" ist ohne jede Frage weltberühmt – aber vielleicht könntest Du trotzdem nochmal kurz erklären, was "Der Goldene Aluhut" eigentlich genau ist, Giulia …

Giulia Silberberger: "Der Goldene Aluhut" ist eigentlich aus einem Witz von mir entstanden, den ich im Internet gemacht habe. Das war 2014, da war ich in einer Gruppe unterwegs, die sich mit Verschwörungserzählungen auseinandergesetzt hat, um selbige zu widerlegen. Und ich sagte: Die sind alle so verrückt, die kriegen von mir irgendwann mal einen Preis. Und den nenne ich dann entweder "Dunning-Kruger-Award" – nach dem Dunning-Kruger-Effekt – oder "Goldener Aluhut". Und die Gruppe hat Beifall geklatscht für den "Goldenen Aluhut". Und 2015 habe ich gesagt: Okay, goldener Aluhut ist 'ne tolle Sache, das machen wir wirklich. Und 2015 haben wir dann tatsächlich auch den ersten "Goldenen Aluhut" vergeben.

Wie kommt ihr zu euren Preisträgern?

Die Preisträger werden allein vom Publikum bestimmt. Auch wer nominiert wird, entscheidet das Publikum. Es gibt eine Nominierungsphase, in der die Leute einschicken, wen sie nominieren möchten, wer geschwurbelt hat, wer sich in der Pseudowissenschaft bekannt gemacht hat und so weiter. Und dann sortieren wir natürlich diejenigen raus, wo wir sagen können, da ist vielleicht eine seelische Erkrankung dahinter oder das ist eine Privatperson, die einfach mal so geschwurbelt hat, aber das ist keinen Award wert. Und dann wird abgestimmt. Was für uns genauso spannend ist wie für alle anderen, weil auch wir vom Team nur eine einzige Stimme haben. Und wer die meisten Stimmen auf sich vereint, gewinnt dann in der jeweiligen Kategorie den "Goldenen Aluhut". Und das machen wir jetzt schon zum achten Mal in Berlin. Und es macht wahnsinnig Spaß. Und es ist immer noch ein gutes Mittel zur Aufklärung.

Die diesjährige Aluhut-Verleihung findet am 30. Oktober in Berlin statt, im Heimathafen Neukölln. Wie weit seid ihr da aktuell?

Das Show-Konzept steht schon und die Nominierungsphase ist gestern gestartet. Das heißt, uns können jetzt zehn Tage lang Nominierungsvorschläge zugeschickt werden. Natürlich mit Begründung und mit Link, damit wir uns das noch in Ruhe angucken können. Dann nehmen wir uns zwei Tage Zeit, um das auszuwerten, und dann kann man zehn Tage lang abstimmen. Die Abstimmung wird vom 1. bis zum 10. Oktober laufen und unsere Gewinner stehen dann fest am 11. Oktober um 00:00 Uhr. Die werden dann auch schon bekanntgegeben und die Awards gehen in die Gravur. Dann benachrichtigen wir die Preisträger*innen, ob sie ihren Aluhut haben und abholen möchten. Rechtsextremistische Persönlichkeiten bekommen ihren Award natürlich vor der Verleihung. Die möchten wir nicht im Heimathafen Neukölln haben. Und wir möchten auch nicht, dass auf unserer Bühne jemand rechtspopulistischen Käse erzählt. Die Preise, die nicht abgeholt werden, die gehen dann in die Versteigerung für unsere gemeinnützigen Zwecke, also den Zwecken unserer gemeinnützigen Organisation: Aufklärungsarbeit, Druck von kostenlosen Broschüren, Durchführen von kostenlosen Workshops an Schulen zu den Themen "Medienkompetenz", "Faktenchecken", "Psychologie und Gefahren von Verschwörungsglauben" und diesen ganzen Dingen, die wir uns in unserer Gemeinnützigkeit auch auf die Fahnen geschrieben haben.

Ihr habt diesmal ja das Konzept des Preises verändert. Es gibt nicht nur Aluhüte für die größten Schwurbler, sondern auch den "Facts Heroes Award" für die besten Aufklärer. Warum habt ihr euch dazu entschlossen?

Nach acht Jahren finden wir, dass fünf Kategorien für den "Goldenen Aluhut" einfach auch nicht mehr so zeitgemäß sind. Die Idee dahinter war ja, die Problematik der Verschwörungserzählungen weiter in den gesellschaftlichen Fokus zu rücken, den Leuten begreifbar zu machen: Es ist real, es ist in der Mitte der Gesellschaft, das nimmt teil an unserem demokratischen Leben und es kann auch eine Gefahr für unsere Demokratie sein. Und in einigen Bereichen, zum Beispiel Pseudowissenschaft, Alternativmedizin und so, haben wir diesen Auftrag erfüllt. Natürlich nicht nur wir, sondern viele andere eben auch – wobei uns die Pandemie hier ein bisschen unter die Arme gegriffen hat. Deswegen haben wir dieses Jahr entschieden, den "Goldenen Aluhut" auf drei Kategorien zu reduzieren: "Gesellschaft und Politik", "Medien und Blogs" und "Pseudowissenschaften und Esoterik". Dafür wollen wir den Fokus mehr auf unseren neuen Preis legen, den "Facts Heroes Award". Wir haben jetzt so viel Zeit darauf verwendet, die destruktiven Sachen in die Öffentlichkeit zu bringen, dass wir es jetzt, im Jahr 2022, besser finden, den Fokus auf diejenigen zu legen, die die Facts great machen. Das ist ja auch der Claim von unserer Organisation: "Make Facts Great Again".

Wir haben das Facts-Projekt ins Leben gerufen und im Rahmen dessen wird es jetzt in drei Kategorien den "Facts Heroes Award" geben. Die gleichen Kategorien übrigens wie beim "Goldenen Aluhut". Nur "Pseudowissenschaften" ändern wir durch "Wissenschaften". Die Auswahl der Preistragenden erfolgt genauso wie beim Aluhut über Publikumsnominierung und Publikumswahl. Wir freuen uns dann, diese Preistragenden auf unserer Bühne begrüßen zu dürfen und wir werden ihnen unsere Bühne zur Verfügung stellen, um ihre Aufklärungsarbeit zu präsentieren. Deswegen nehmen wir den "Goldenen Aluhut" ja auch zurück. Er wird nur noch knapp ein Drittel der Veranstaltung einnehmen, während wir zwei Drittel auf die Facts Heroes verwenden werden. Weil wir einfach denken, dass diese Menschen, Projekte und Organisationen, die sich so um die Aufklärung bemühen, wie wir es ja auch schon seit so vielen Jahren machen – und wie ihr es ja auch tut –, dass die in den Fokus der Gesellschaft gerückt werden sollten. Deswegen hat der "Goldene Aluhut" dieses Jahr ein ganz neues Show-Konzept und diesen ganz neuen Award mit im Programm. Und deswegen freue ich mich auch schon wahnsinnig auf diese Verleihung.

Awards 2020
Die zu vergebenden Awards 2020 (Foto: © Der Goldene Aluhut)

Nochmal kurz zu den Nicht-Heroes, den Aluhut-Gewinnern: Diejenigen, an die ihr Aluhüte verleiht und über deren Verschwörungserzählungen ihr aufklärt, finden das ja teilweise überhaupt nicht witzig. Wie sind da die Reaktionen, die ihr kriegt?

Die sind tatsächlich unterschiedlich. Von totaler Ignoranz reicht es bis zu Wut und Zorn. Ich schreibe auch jedes Jahr um die Verleihung stapelweise Anzeigen wegen Hass-Mails, Beleidigungen, Ankündigungen von Tötungsdelikten und was weiß ich was. Je nachdem, wie groß die Community ist, die die Leute so haben, denn die mobilisieren natürlich auch ihre Anhängerschaft. Es gibt auch welche, die tatsächlich für sich abstimmen lassen. Die finden das ganz großartig. Wie zum Beispiel Michael Ballweg im Jahr 2020. Da waren ja viele Querdenker mit im Rennen, in allen Kategorien eigentlich. Und da wurde dann tatsächlich auch aus Querdenker-Kreisen dazu aufgerufen, für die abzustimmen. Leider bedienen die sich auch unlauterer Mittel, wie zum Beispiel Spambots, die man immer rausrechnen musste, um dann auf ein natürliches, korrektes Ergebnis zu kommen. Und einige versuchen dann sogar, rechtliche Schritte gegen mich einzuleiten und diesen Preis einzuklagen, wenn sie dann nicht gewinnen oder wenn ich sie wegen dieser unlauteren Mittel aus dem Rennen nehme, wie zum Beispiel Herr Ballweg. Das sind eigentlich alles ganz amüsante Sachen. Weil Ballweg diesen Fehler gemacht hat, hatte ich übrigens die Chance, rechtliche Schritte gegen ihn einzuleiten, und so konnten wir den Grundstein dafür legen, dass er der Steuerhinterziehung überführt wurde. Es hat also auch sein Gutes, wenn der eine oder andere den Goldenen Aluhut einklagen möchte mit einem Mandat für eine Organisation, die gar nicht existiert. Denn was macht man da? Man fragt natürlich beim Finanzamt nach, wer der Prozessgegner ist, ob man den eventuell kennt. Und der Rest ist in den Medien nachzulesen.

Nun verleiht ihr ja nicht nur Preise, sondern ihr bietet auch Schulungen an und ihr arbeitet auch in den Sozialen Medien für Aufklärung und gegen Verschwörungserzählungen. Gerade in den sozialen Medien arbeitet ihr dabei immer mit viel Humor und Satire. Und es gibt Leute, die euch genau das vorwerfen, weil das Ganze doch ein eher ernstes Thema ist. Was sagst du dazu?

Also zum einen ist das der Grund, warum wir seit Tag eins unseren Content beim "Goldenen Aluhut" zensieren. Weil ich es ganz schlimm finde, wenn zum Beispiel Screenshots durchs Netz gehen, wo die Klarnamen der Personen mit Profilbildern zu sehen sind, denn die sind dann auffindbar in den Sozialen Medien. Denn wir haben auch eine starke Community von knapp 170.000 Followern allein auf Facebook plus noch mal 70.000 auf Twitter, die diesen Content sehen. Das hat Radikalisierungspotenzial, das ist uns bewusst und deswegen wird da auch ganz klar zensiert. Es geht ja nicht um die Menschen, die diesen Content verbreitet haben, es geht um die Inhalte. Darum legen wir einen Balken über den Namen und das Profilbild, wenn wir sowas posten. Ich finde es vollkommen okay, sich über verschwörungsideologische Inhalte lustig zu machen: "Mit Reptiloiden und Nazis in Neuschwabenland" und "Hilfe, ich habe Kopfschmerzen wegen dem 5G" oder "Mein Schlüssel klebt am Arm von der Impfung".

Wir machen umgekehrt aber auch ernste Aufklärung. Der Großteil unserer Arbeit fokussiert sich spätestens seit der Pandemie ins Real Life, in die Workshops, in die Bildungsarbeit. Schulen, Erwachsenenbildungseinrichtungen, Konzerne aus der Privatwirtschaft, aber auch Behörden sind unsere Kunden. Das ist das, womit wir eigentlich unser Geld verdienen, indem wir zum Beispiel Medienkompetenz lehren. Das ist die Arbeit meines Mitarbeiters Rüdiger Reinhardt, der ist unser Faktenchecker und er lehrt die Medienkompetenz. Ich lehre die Psychologie von Verschwörungsglauben, warum Menschen daran glauben und was sie so gefährlich macht, diese bösen Geschichten und die Feindbilder, und wie wir uns selbst davor schützen können. Wobei Infotainment ein Konzept ist, das ich auch persönlich sehr gut finde. Denn ich vertrete den Grundsatz, dass ein entspanntes Gehirn einfach leichter lernt und das Gelernte auch eher behält. Humoristisch freundlich zu erklären, ist für die Leute ein Gewinn, weil viele sagen, sie haben auch die Schnauze voll von diesen ganzen trockenen, ernsten Vorträgen, wo man nur Zahlen präsentiert bekommt und der Redner einfach nur vom Blatt spricht. Und nur, weil man es als Infotainment präsentiert, heißt das ja nicht, dass man den Ernst der Lage nicht rüberbringen würde. Aber uns ist es wichtig, Menschen dazu zu motivieren, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen und tiefer rein zu gucken. Und so ist es auch bei unseren Social-Media-Kanälen: Die sind natürlich dazu da, die Leute zu unterhalten, aber eben auch, um sie an das Thema zu binden.

Gibt's inzwischen eigentlich auch Verschwörungserzählungen über euch?

Die gab es schon immer. Eine der allerersten war, dass der "Goldene Aluhut" gegründet wurde von der Bundesrepublik Deutschland als Bundesprojekt, um die "Wahrheitsbewegung" in Deutschland zu torpedieren und lächerlich zu machen. Ganz lustig. Wir haben in all den Jahren unseres Bestehens keinen einzigen Cent Fördergelder erhalten. Es ist also wirklich alles selbst und durch Spenden finanziert. Dann werden da manchmal auch komische Erzählungen über mich gesponnen, wenn irgendjemand wütend auf mich ist. Neulich ging international ein Twitter-Narrativ rum, dass in Deutschland "weiße linke Orgas" (in Anführungsstrichen) – womit wir natürlich mit gemeint waren – nur gegründet wurden, um den Antifaschismus zu kapitalisieren und Menschen, speziell benachteiligte Gruppen, auszubeuten. Das sind Sachen, die mir dann auch wehtun, weil es halt einfach nicht stimmt. Klar, wir müssen unsere Gehälter bezahlen und wir müssen natürlich Honorare für unsere Arbeit bekommen, das hat aber nichts mit Ausbeutung oder Kapitalismus zu tun. Wie gesagt: Es gibt die verrücktesten Erzählungen über uns.

"Menschen, die sich in Notlagen befinden, nehmen oft gerne verkürzte Antworten und Feindbilder an, in die sie ihre Wut hineinprojizieren können."

Ihr verfolgt die Entwicklung von Verschwörungserzählungen ja sehr intensiv. Wohin geht denn inhaltlich aktuell so der Trend im Verschwörungsgeschäft?

Spätestens seit dem Krieg in der Ukraine mit Russland haben wir wieder ganz viele neue Verschwörungserzählungen im politischen Bereich. Auch rechte Gruppierungen, die versuchen, sich auf die Seite der Ukraine zu schlagen. Früher war Putin ja immer der Gute. Russland war das Land, wo noch die Meinungsfreiheit galt. Inzwischen ist man sich da nicht mehr so sicher. Auch in der Querdenken-Bewegung gibt es neue Verschwörungserzählungen, nachdem die Pandemie ja etwas abgeflacht ist. Die Wut ist ja nicht verschwunden und die Leute, die sich da gruppiert haben, die Parteien gebildet haben, die wollen weiter aktiv sein, die gehen jetzt in die Themen der Klimakrise hinein. Die sagen entweder "Hey, der Klimawandel ist bloß Fiktion!" oder sie gehen gezielt auf das Thema Umweltschutz, aber eben mit Geschwurbel. Das ist momentan eine sehr große Gefahr, denn wir haben ja diese Klimakrise. Viele Menschen wollen sich engagieren, wollen etwas machen, wollen auf die Straße gehen, wollen sich aber vielleicht nicht unbedingt "Fridays for Future" anschließen oder eine eigene Demonstration machen. Und wenn sie sich dann bestehenden Demonstrationsangeboten anschließen, gucken sie eben nicht so genau hin, wo sie mitlaufen – wie am Anfang der Pandemie, wo viele bei den Querdenkern mitgelaufen sind und nicht verstanden haben, bei wem sie da eigentlich mitlaufen.

A propos Mitlaufen bei Querdenkern: Es gibt ja momentan die große Diskussion über einen möglicherweise bevorstehenden heißen Herbst. Also: Dass es massive Demonstrationen aus verschwörungstheorisch unterfütterten Kreisen geben könnte, weil die Infektionszahlen wieder steigen werden, dadurch erneut verschärfte Maßnahmen notwendig sind und es dazu dann auch noch massiv steigende Energie- und Lebenshaltungskosten gibt. Wie ist deine Einschätzung? Wird der Herbst/Winter diesbezüglich heiß werden?

Wenn es anfängt, richtig kalt zu werden, so im November, da erwarten wir auch wieder einen großen Anstieg an rechtsextremistischen Gruppen. Wir gehen davon aus, dass die Querdenker-Gruppen zurückkommen und die aktuelle Situation dann als Vorwand nehmen, um wieder gegen die Regierungen zu marschieren und die Menschen noch wütender zu machen, als sie es sowieso schon sind. Wir sind ja jetzt in einer Situation, in der unsere Gesellschaft nach über zwei Jahren Pandemie ausgebrannt ist. Viele haben ihre Jobs verloren, leben in finanzieller Unsicherheit, wissen nicht, wie es weitergehen soll. Diese Pandemie hat uns alle in globale Krisen gestürzt. Dann kam auch noch der Krieg. Was uns in die nächsten Krisen gestürzt hat, wie die Inflation. Lebensmittel und Sprit wurden teurer, die Leute wussten vielleicht nicht mehr, wie sie zur Arbeit kommen sollten. Diese ganzen Krisenlagen sind Katalysatoren für Verschwörungserzählungen. Menschen, die sich in Notlagen befinden, nehmen oft gerne verkürzte Antworten und Feindbilder an, in die sie ihre Wut hineinprojizieren können. Und jetzt stehen die nächsten Krisen vor der Tür, die Energiekrise und die Klimakrise, in der wir ja schon mittendrin sind. Also wir befinden uns kurz gesagt in einer Zeit voller Krisen und das befeuert die Verschwörungserzählungen, macht Menschen wütend, bringt uns in den Wut-Winter und in die Wut-Klimakrise, die sich in den nächsten Jahren auch noch weiter steigern wird.

Das ist die nächste große Sorge, die wir in unserem Team haben. Also unsere Sorge ist nicht nur die aktuelle Wut, sondern auch der langfristige Umgang mit der Klimakrise, denn da grassiert sehr viel gezielte Desinformation und gefährliches Halbwissen. Und es sind auch noch viel zu wenige niedrigschwellige Bildungsinformationen dazu vorhanden, wie zum Beispiel der aktuelle Forschungsstand. Wir lesen sehr oft dramatische Headlines in den News Feeds: "Das 1,5-Grad-Ziel kann nicht erreicht werden – alles vorbei". Das ist sehr fatalistisch. Das macht Menschen Angst. Natürlich macht die Klimakrise zu Recht Angst. Aber Angst ist ein schlechter Berater, wenn es darum geht, rationale Entscheidungen treffen zu müssen. Da müssen wir eine Balance finden. Dazu kommen dann diese ganzen rechtsextremen Gruppen, die sich ja sowieso schon im Kleinen zusammenschließen, Umstürze planen und versuchen, zum Beispiel per Telegram-Gruppen an diesen Schwachpunkten anzusetzen, um neue Menschen zu radikalisieren. Das sind Prozesse, die sind im Long Run leider nicht so schön. Darum müssen wir uns jetzt dafür wappnen. Sowohl in der gesellschaftlichen Aufklärung insgesamt als auch jeder für sich persönlich im Umgang mit dieser Krisenlage. Denn wir sind ja auch nur Menschen und auch wir sind von diesen Ängsten und Unsicherheiten betroffen. Darum geht dieser Appell eben nicht nur an die diejenigen, die Gefahr laufen, auf Fake News hereinzufallen, sondern an alle Menschen.

"Wir müssen den Grundstein für eine rationale Gesellschaft schaffen, die auf Fakten aufbaut und die sich nicht von diesen Rattenfängern fangen lässt."

Natürlich ist rechtzeitige Aufklärung und Sensibilisierung für Radikalisierungsmechanismen eine ganz wichtige Sache. Aber diejenigen, die in diesem Sumpf der Verschwörungserzählungen schon versunken sind, erreicht man damit ja meistens nicht mehr. Darum ist die Frage, wie die Gesellschaft und wie der Staat mit solchen Gruppierungen umgehen sollte. Während der Pandemie ließ man die Querdenker-Demonstrationen und "Spaziergänge" ja ganz oft einfach laufen, obwohl die sich an keine Demonstrationsauflagen hielten. Ist das ein sinnvoller Umgang, in der Hoffnung, dass man nicht noch mehr Wut erzeugt, oder müsste man da von Anfang an härter vorgehen?

Schwer. Ich spreche auch öfter mal mit Polizeibeamtinnen und -beamten über dieses Thema, da sie mir die gleiche Frage stellen: Wie gehen wir mit diesen Demos um? Wenn die eine Kundgebung anmelden, ist das ja erst mal vollkommen in Ordnung, wir haben Versammlungs- und Redefreiheit, können sie also machen, ist von der Verfassung gedeckt. Aber wenn dann immer mehr Leute kommen und diese Demonstrationen anfangen, unbegleitet loszumarschieren, das darf nicht passieren. Da müssen unsere Polizeikräfte von Anfang an auch wirklich die Autorität zeigen und sagen "Nein, ihr könnt eure Demo machen, hier ist euer Plätzchen und ihr geht aber bitte nicht vom Weg, weil das haben wir euch zugewiesen oder das habt ihr beantragt". Unbegleitet durch Städte marschieren zu lassen, wie wir das jetzt gesehen haben in 2020 und 2021, das ist eine Katastrophe. Das hat diesen Menschen auch noch mal Auftrieb gegeben, weil sie das Gefühl hatten, den Staat in der Hand zu haben, und dass die Polizei zahnlos und machtlos ist – denn das denken Sie ja sowieso. "BRD GmbH"-Geschwurbel und so weiter – und das beweist es ihnen eben.

Umgekehrt kann ich natürlich auch die Polizei verstehen, die nicht mit Gewalt gegen friedliche Demonstrierende vorgehen möchte. Deswegen diese November-Berieselung mit den Wasserwerfern in Berlin. Man wollte das natürlich auch vorsichtig machen, auch in Anbetracht dessen, dass diese Gruppen ja das gezielte Vorgehen haben, ihre Schwächsten in die erste Reihe zu stellen. Da werden Kinder und Alte und Menschen mit Behinderungen in ihren Rollis vorne in die erste Reihe geschoben, wohl wissend, dass die Polizeikräfte niemals gegen diese Bevölkerungsgruppen vorgehen würden. Kein Polizist würde ein Kind verprügeln oder einen Rollifahrer – und das wissen die natürlich.

Da ist überhaupt sehr viel Taktik dabei. Zum Beispiel hätte in Zwickau im Mai ein multikulturelles Fest stattfinden sollen, ein von der Stadt ausgerichtetes Fest auf dem Marktplatz direkt vorm Rathaus. Das hat so eine kleine Gruppe Rechter und Querdenker natürlich ausgenutzt, um eine Demonstration anzumelden an genau diesem Tag und genau diesem Ort. Die sind damit vors Verwaltungsgericht gegangen und das Verwaltungsgericht musste sich beugen. Das Stadtfest musste abgesagt werden, damit Rechte aufmarschieren konnten. Einfach auf der Basis unserer Verfassung, weil eine Demonstration durch unsere Verfassung geschützt ist, ein Stadtfest aber nicht. Somit wird gezielt unser Rechtsstaat ausgehebelt und unsere Verfassung ausgenutzt, um rechte Interessen durchzudrücken. Und das sind Sachen, von denen wir in Zukunft noch mehr erleben werden, weil sie aktuell ihre Grenzen austesten und Präzedenzfälle schaffen in der Justiz. Und nachdem sie die Grenzen ausgetestet haben, werden sie anfangen, sie gezielt zu überschreiten. Das wird auch in diesem Winter passieren.

Wie ist Deine persönliche Gefühlslage, nachdem Du Dich jetzt so lange mit Verschwörungserzählungen rumgeschlagen hast? Fühlst Du Dich eher zuversichtlich, dass man das Phänomen noch irgendwie in den Griff bekommt, oder überwiegt eher die Frustration? 

Aktuell überwiegt ein bisschen die Frustration, aber das ist nur ein temporärer Zustand. Erst mal bin ich viel zu stur, um langfristig frustriert zu sein. Denn aus Frustration ziehe ich Motivation, meine Arbeit weiter durchzuführen. Wenn man sich mal vom Frust erholt hat, dann geht es wieder los. Und ich wusste von Anfang an, dass wir mit Aufklärungsarbeit alle zusammen diesen Berg erklimmen können. Es wird ein schwerer Aufstieg und wir müssen vielleicht auch noch durch manches tiefe Tal in unserer Gesellschaft. Aber es ist wie mit allen destruktiven Ideologien: Ihre Denkenden müssen aussterben und mit ihnen werden diese Ideologien aussterben. Wir müssen den Grundstein für eine rationale Gesellschaft schaffen, die auf Fakten aufbaut und die sich nicht von diesen Rattenfängern fangen lässt. Ich weiß nicht, ob ich das noch zu meinen Lebzeiten erleben werde – ich bin jetzt 41. Aber es ist schön zu wissen, dass man Teil dieser Aufklärung ist. Und daraus ziehe ich die Kraft, diese Arbeit auch weiter zu machen. Egal wie wütend ich manchmal bin, egal wie frustriert ich manchmal bin, wenn ich hier sitze und heule und sage: "Ich schmeiße alles hin!" Ich werde es nicht tun, ich werde weitermachen. Deswegen auch dieser "Facts Heroes Award". Nach all den Jahren nur mit Goldenen Aluhüten bringen wir jetzt diejenigen auf unsere Bühne, die Facts great machen. "Thank you for making facts great again!" – Das werde ich auch auf der Bühne zu jedem Gewinner und jeder Gewinnerin sagen, die diesen Preis bekommen.

Teilnahme an der Nominierung und der anschließenden Abstimmung ist über die Website des "Goldenen Aluhuts" möglich. 

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