Aleksandra Domanovičs Computer-Druck-Skulpturen in der Bundeskunsthalle

Kunstkälber

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Alexandra Domanovic: Bullen ohne Hörner

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Alexsandra Domanovic: Kalbstragerin

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Alexsandra Domanovic: Kalbstragerin

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Der Kalbsträger bei seiner Auffindung im Perserschutt 1865 auf der Akropolis in Athen

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Moscophoros

Einst Opfertier, heute agrarindustrielles Massenprodukt. Das Rindvieh hat in der Geschichte der Menschheit viele Rollen gespielt. Auf die verweist in multiplen Variationen die "Kalbsträgerin" der jungen serbischen Künstlerin Aleksandra Domanovič, geboren 1981 in Novi Sad, deren Ausstellung jetzt in der Bundeskunsthalle zu sehen ist.

Im sogenannten Perserschutt bargen französische Archäologen 1865 auf der Akropolis den Torso eines Kalbstägers aus dem späten sechsten Jahrhundert vor der Zeitenwende, dem archaischen Griechenland. Die Perserkriege hat er nur geschunden überlebt. Doch blickt er bis heute mandeläugig, gleich seinem Kalb, das er auf seinen Schultern hält.

Alexsandra Domanovic: Kalbtraegerin, Foto: © Domanovic/Bundeskunsthalle
Alexsandra Domanovic: Kalbtraegerin, Foto: © Domanovic/Bundeskunsthalle

Domanovič ersetzte die menschlichen Leiber durch Stelen, kopflose; nur die Arme ragen heraus, die das Tier halten, das noch immer mandeläugig dreinblickt, doch eher süß – weil neu geborene Kälber eben süß sind. Die Künstlerin hat die Skulpturen dieser Schau im 3D-Druckverfahren hergestellt, nach dem Vorbild von frisch geborenen Jungtieren. Die Kanten der Teilstücke bleiben, nur roh verspachtelt, sichtbar. So gleichen die Arme und Hände denen von Robotern, die Proportionen den Silhouetten antiker griechischer Vasenmalerei .

Die Genderkarte – im alten Griechenland lebten die Frauen ähnlich verborgen wie heute fast überall im Orient - wird angespielt, aber nicht ausgereizt, wenn der Leib wie von einer Stele umschlossen scheint. Auch Erinnerungsräume an diverse Balkankriege werden aufgetan.

Doch vor allem anderen war es die Nachricht, dass Wissenschaftler um Alison Van Eenenaam an der University of California hornlose Kühe gezüchtet haben, die Aleksandra Domanovič zu diesen Skulpturen anregte. Sie fuhr hin und machte eine Fotoserie, die ebenfalls in der Bonner Ausstellung zu sehen ist. Auch das Urbild der Skupturenserie ist solch eine Züchtung. Es sieht auf den ersten und auch auf den zweiten Blick so aus, wie gerade geborene Kälber eben aussehen, und die Kunststoffskulptur entgeht deshalb nicht ganz der Gartenzwergästhetik, trotz der archaischen Strenge der haltenden Arme. Vollständige menschliche Figuren wären in diesem Stil wohl zu viel des Guten und Schönen.

Alexsandra Domanovic: Hase, Foto: © Domanovic/Bundeskunsthalle
Alexsandra Domanovic: Hase, Foto: © Domanovic/Bundeskunsthalle

Die Arme sind mal an der Vorder-, mal an der Rückseite der in allen Spektralfarben getönten Quader angebracht, mal nur als Hohlform sichtbar. So will die Künstlerin auf die Züchtung mittels Zerstückelung von Gensequenzen anspielen. Sie halten nicht nur das Kälbchen, sondern an anderer Stelle ein Kaninchen oder eine Taube.

Inspirieren ließ sich Domanovič zu diesem artifiziellen Streichelzoo wiederum durch einen tiefen Griff in die Geschichte. Auf den Grabstelen jung verstorbener Mädchen fanden die Archäologen auch die Reliefdarstellungen von Kindern mit Tauben und Kaninchen in der Hand. Heute sind sie im Athener Nationalmuseum zu sehen, und mancher mag sich noch an Abbildungen von ihnen in Schulbüchern erinnern.

Wie schwer wir uns heute dahingegen tun, Mensch und Tier bruchlos miteinander darzustellen! Längst ist die Einheit zerbrochen. Oder hat es sie nie gegeben?

Bundeskunsthalle: "Aleksandra Domanovič – Kalbsträgerin"; Museumsmeile Bonn Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn bis 24.9.2017