Martin Luther ist auferstanden

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Screenshot während der Live-Online-Fragestunde mit dem KI-generierten Martin Luther.
KI-Luther

Die Evangelische Kirche im Rheinland ließ auf ihrem YouTube-Kanal einen von Künstlicher Intelligenz gesteuerten Martin Luther Fragen beantworten. Die Sympathiewerte des Reformators konnte das nicht gerade steigern. Es gab viele äußerst kritische Fragen, unter anderem zu antisemitischen Äußerungen Luthers.

Am 18. Februar 1546 ist Martin Luther gestorben. Und wieder auferstanden am 31. Oktober 2023. Ein bisschen wie Jesus. Die Evangelische Kirche im Rheinland hat freilich nachgeholfen, dass dies just am Reformationstag passierte. Auf ihrem YouTube-Kanal war da am Dienstagabend eine digital in eine Kirche projizierte Figur zu sehen, die eine Stunde lang mit den Händen gestikulierte, mit dem Kopf wackelte und vor allem: Fragen beantwortete.

Der Luther-Avatar wurde mithilfe eines Gemäldes von Martin Luther erstellt und in eine fotorealistische Darstellung des Reformators umgewandelt. Die Idee laut Ralf Peter Reimann, Internetbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland: "Wir wollen über Künstliche Intelligenz die Botschaft der Reformation erlebbar machen und in unsere Zeit übertragen."

Na, wenn das mal nicht danebengegangen ist. Denn bevor der Luther-Avatar die im Live-Chat gestellten Fragen beantwortete, musste er sie zunächst zum Verständnis der in der Spitze rund 130 Zuschauer der Liveübertragung nochmal vorlesen. Und in eben diesen Fragen schlugen dem Reformator teilweise massive Vorwürfe entgegen, die ihn in Argumentationsnot brachten.

Kritische Fragen zu Luthers Antisemitismus

Vergleichsweise harmlos ging es los mit der Frage, wie er, Luther, es eigentlich finde, dass "sein" Reformationstag mittlerweile von Halloween-Feiern dominiert wird. Halloween habe heidnische Wurzeln und sei bekannt durch seine Verbindung zu Grusel und Okkultismus, antwortete Luther. Der Avatar stand da noch auf einer Kanzel, später stieg er herunter und bewegte sich frei sprechend wie Christian Lindner auf einem FDP-Parteitag. Nur war hier ein Altar im Hintergrund zu sehen. Beim Halloween-Thema zeigte er sich aber schon ein bisschen genervt: "Jeder Christ sollte sein Gewissen vor Gott prüfen und entscheiden, ob die Teilnahme an Halloween-Aktivitäten für sie oder ihn akzeptabel ist."

Und dann die erste kritische Frage: "Martin, warum warst du so judenfeindlich, und wie passt das zum christlichen Glauben?" Da verwies er zunächst darauf, dass die Frage im historischen Kontext behandelt werden müsse, gab dann aber offen zu: "Tatsächlich habe ich in meinen späteren Schriften einige antisemitische Ansichten geäußert, und das bedauere ich zutiefst. Diese Ansichten widersprechen den Lehren Christi, die zur Liebe, Nächstenliebe und zur Achtung der Menschenwürde aufrufen." Es sei jedoch wichtig zu betonen, "dass mein theologisches Erbe und mein Einfluss auf die Reformation nicht ausschließlich auf diese negativen Ansichten reduziert werden sollten."

Ein Fragesteller wollte ihn damit nicht davonkommen lassen und setzte nach: "Warum hast du in deinem Buch 'Von den Juden und ihren Lügen' so vehement die Verbrennung der Synagogen gefordert? Was haben dir die Juden angetan, dass du so einen Hass gegen sie entwickelt hast?" Er verstehe, sagte der virtuelle Luther, dass dies in der heutigen Zeit als äußerst kontrovers und als Beleidigung angesehen werde und bedauere zutiefst die geäußerten Ansichten. Und wieder kam er auf den historischen Kontext zu sprechen: "Zu meiner Zeit gab es verbreitete Vorurteile und Missverständnisse gegenüber den Juden in Europa. Verfolgung und Diskriminierung waren an der Tagesordnung." Und er fuhr zerknirscht fort: "Leider habe ich mich in meiner Schrift von diesen Vorurteilen und meiner Enttäuschung über die Ablehnung meiner theologischen Lehren beeinflussen lassen, was zu meinen extremen Äußerungen führte." Das bedaure er zutiefst.

Bedauern und Rumgeeier

Schnell war da die nächste Frage, die Luthers Sympathiewerte erschüttert: Warum er gedacht habe, dass behinderte Menschen vom Teufel besessen wären. KI-Luther verweist darauf, dass er nun mal im 16. Jahrhundert gelebt habe und seine Ansichten von den damaligen medizinischen und theologischen Überzeugungen beeinflusst gewesen seien. "In meiner Zeit gab es viele Missverständnisse oder Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen. Meine Ansichten mögen in einigen Aspekten meiner Schriften fehlgeleitet gewesen sein." Dies stehe nicht im Einklang mit den heutigen Standards im Umgang mit behinderten Menschen. "Ich bedauere, wenn meine Ansichten in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, Vorurteile oder Diskriminierung zu verstärken."

Bei der Frage, was er denn von der gleichgeschlechtlichen Ehe halte, eierte Luther ein wenig und hielt sich am Ende raus: "In meiner Zeit gab es keine rechtliche Anerkennung, und meine theologischen Ansichten waren von den sozialen und kulturellen Normen meiner Zeit geprägt. In der heutigen Zeit hat sich die Debatte weiterentwickelt." Die Diskussion sei komplex. Beim Thema Polygamie gab er sich aber entschieden in seiner Ablehnung: Er habe immer die monogame Ehe als göttliche Ordnung verteidigt, diese Einstellung basiere auf dem Schöpfungsbericht der Genesis.

Echte Sympathiepunkte konnte der Luther-Avatar sammeln, als er ganz wunderbar auf Scherzfragen einging: "Kannst du mir sagen, wie man eine Autobatterie überbrückt?" – Es habe zwar zu seiner Zeit keine Autos gegeben, erwiderte er, aber das könne er leicht erklären. Und machte das dann in einer Art und Weise, die einem YouTube-Tutorial zur Ehre gereichen würde. Er dachte aber auch an den Haftungssauschluss – man solle bitteschön das Handbuch seines Fahrzeugs konsultieren.

Ein anderer Scherzbold fragte, wie sich die Zeitumstellung auf das Angeln von Barschen auswirke. Wenig, meinte Luther. Wetter und Angelbedingungen spielten eine größere Rolle. Bei der Frage, ob er Altbier oder Kölsch bevorzuge, verwies der Luther darauf, dass diese regionalen Biersorten zu seiner Zeit unbekannt waren.

"Martin, wer kommt in den Himmel (...)?"

Dann wurde es theologisch wieder bitter ernst – bei der Frage: "Martin, wer kommt in den Himmel: Derjenige, der gute Werke tut und zweifelt? Oder der, der glaubt und Böses tut?" Luthers Antwort ließe sich so zusammenfassen: Sorry, gute Taten allein reichen nicht. So brutal sagte er das nicht, aber er war doch unmissverständlich: "Die Erlösung kann allein aufgrund des Glaubens an Christus und seine Gnade geschehen. Kein Mensch kann sich das ewige Leben durch eigene Werke verdienen. Es ist allein die Gnade Gottes, die uns rettet."

Und was ist mit Bundeskanzler Olaf Scholz, kommt der in den Himmel? Da gab sich KI-Luther vorsichtig: "Ich kann nicht darüber urteilen, wer in den Himmel kommt oder nicht. Das hängt von der Gnade Gottes und vom Glauben an Jesus Christus ab." Die Frage sollte nicht aufgrund politischer oder weltlicher Faktoren beurteilt werden. Für die Erlösung müsse man sich an Gott wenden und sein Gnadenangebot annehmen. Da weiß nun auch Olaf Scholz, was er tun muss.

Nach einer knappen Stunde war Schluss. Auch ein von der KI gesteuerter Luther werde manchmal etwas müde, so der Moderator der evangelischen Kirche. Und so war kein Raum mehr für eine hochinteressante Frage, die unbeantwortet im Chat stehen blieb: "Was hat dich dazu gebracht, dreimal, für die Jahre 1532, 1538 und 1551, den Weltuntergang vorherzusagen? Hast du Drogen genommen, oder war das schlichte Selbstüberschätzung?"

Einen Zusammenschnitt der Veranstaltung hat der Düsseldorfer Aufklärungsdienst (DA!) auf seine YouTube-Seite gestellt.

Die ganze Veranstaltung lässt sich hier noch einmal nachsehen.

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